Das zweite Gespräch bei der Beraterin...

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Auf dem gleichen Stuhl wie bei letzten Mal nahm ich Platz. Heute (04.05.16) sollte ja eigentlich besprochen werden, wie ich meinen Eltern sagen könnte, dass ich eine Essstörung habe...

Doch erst einmal haben wir über die letzten beiden Wochen gesprochen. Ich habe ihr erzählt, das ich wieder angefangen habe zu hungern und dadurch recht viel in kurzer Zeit abgenommen habe. Mein "Zielgewicht" lag und liegt heute doch recht weit im Untergewicht, das war und ist mir immernoch bewusst! Dieses Gewicht wollte ich bis zum 18.06., bis zu dem Tag meines Abiballs, erreichen. Das wären ungefähr 12Kilo in gut 6 Wochen gewesen...
Aber eigentlich habe ich mich fast dafür geschämt, der Beraterin das zu erzählen...

Naja, auf jeden Fall ging das Gespräch überhaupt nicht darum, wie ich mit meinen Eltern reden könnte, sondern es ist schon sehr in die therapeutische Richtung gegangen.
Ich habe über meine Kindheit, die Grundschule und die weiterführende Schule geredet. Wie ich es erlebt habe, das mein Wochenende durch die Familie "verplant" war, und ich so samstags oder sonntags nichts mit meinen damaligen Freunden ausmachen konnte. Wie ich wegen dem "Samstags-Familien-Ausflug-Tag" nicht an dem Kinderkirchtag, der nur einmal im Monat immer samstags stattgefunden hat, teilnehmen konnte.

Der Sonntag war immer durch den Ausflug oder auch nur das Treffen meiner Großeltern bestimmt. Wir sind meistens Kaffeetrinken gefahren, wobei mir bei den meisten Fahrten, wegen der kurvenreichen Strecken, meist schlecht geworden ist. Super, oder?! Dann hat mir das Ganze natürlich noch mehr Spaß gemacht! Ich hoffe, ihr spürt die Ironie...

Aber bitte versteht es nicht falsch, diese Ausflüge mit meiner Familie und meinen Großeltern waren meistens wirklich sehr schön, und es sind auch tolle Erinnerungen. Aber es war einfach zu viel! Außerdem hatte ich immer das Gefühl, dass mein Bruder bei den Ausflügen mit meinen Großeltern bevorzugt worden ist. Denn er wollte nach X fahren und ich nach Y, weil da z.B. weniger Kurven waren, aber wir sind so gut wie immer nach X gefahren, wohin mein Bruder unbedingt wollte!

Später "konnte" ich dann manchmal aus zeitlichen Gründen nicht mitfahren, weil ich noch so viel für die Schule machen musste. Das habe ich zumindest meiner Familie so gesagt!
Die Beraterin meinte auch, das mich das ziemlich eingeschränkt hätte, dass mein ganzes Wochenende so durch geplant war.

Und dann hat sie mich noch was gefragt, es war sehr direkt formuliert: "Meinst du, deine Eltern könnten eine Mitschuld an deiner Essstörung haben?!" Nach dieser fast schon rhetorischen Frage, war ich etwas durcheinander... ich konnte ihr nicht direkt sagen, dass ich auch so denke! Ich habe dann gemeint: "Naja, ich würde es ihnen nie so sagen, aber ich könnte mir es schon vorstellen."
Bei diesem Satz habe ich mich echt schlecht gefühlt, meine Eltern waren immer für uns Kinder, meinen Bruder und mich da, sowas könnte doch eigentlich gar nicht sein, dass sie schuld an meiner Essstörung sind! Oder vielleicht doch?!

Auf jeden Fall hatte ich mit der Beraterin auch noch das Thema mit dem Ausschließen, Ignorieren oder Beleidigen von anderen Kindern gegenüber mir. Sie hat mich gefragt, als ich halt mehr ins Detail gegangen bin, ob das wirklich so krass gewesen sei?!
Ehrlich gesagt, klar, es war scheiße so von Mitschülern behandelt zu werden, aber es war so, dass ich es ja ausgehalten habe, außerdem war es bei meinem Bruder ja viel mehr! Er wurde ja auch körperlich angegangen, was bei mir nur ein paar mal in der sechsten Klasse passiert ist.

Außerdem habe ich ja nie jemandem so alles darüber erzählt, also wie schwierig für mich der Umgang, aufgrund dessen für mich, mit den anderen Schülern war. Ich habe so gut wie nie mit meinen Eltern drüber geredet, weil ich wusste wie fertig meine Mutter immer war, weil mein Bruder von seinen Mitschülern so gemobbt wurde...

Später als ich mit der Beraterin noch tiefer auf die Thematik eingegangen bin und wir nicht, wie geplant darüber gesprochen haben, wie ich meinen Eltern darüber sprechen könnte, dass ich eine Essstörung habe, kam sie nach 1,5 Stunden Gespräch zu dem Entschluss, dass ich jetzt zwei Möglichkeiten habe:
1. Dass ich mein Zielgewicht erreichen möchte und wegen der mangelnden Konzentration vielleicht mein Abitur auf's Spiel setze. Also auch keinen Termin mehr hier bei der Beratungsstelle wahrnehmen brauche...

oder

2. Dass ich versuche wenigstens so viel zu essen, dass ich genug Konzentration für's Lernen habe und dadurch mein Gewicht annähernd halte.

Doch durch die schon recht starke Zunahme der letzten Wochen, wollte ich nur eines, und zwar endlich mein Traumgewicht erreichen, damit ich am 18.06.2016, an dem Tag meines Abiballs in meinem Kleid "schön" aussehe.
Also habe ich mich für Möglichkeit Nummer 1 entschieden und habe die Beratung in der Beratungsstelle bei Frau H. aus eigenem Willen abgebrochen.

Essstörung - Der Moment, als ich gesagt bekam, ich sei psychisch krank...Where stories live. Discover now