Kapitel 4.3

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Amelie


„Du siehst genauso aus wie sie...", flüstert sie ehrfürchtig und bringt mit diesem kleinen Satz mein Herz dazu, einen Schlag auszusetzen.



Völlig überfordert starre ich zu dem Mädchen auf, dessen Umrisse ich gegen das Licht nur schwer erkennen kann. Meint sie Ailene? Hat sie sie vielleicht gesehen? Oder ist sie sogar bei dieser Gruppe gelandet? In Sicherheit?


Elias hat immer noch die Hand nach mir ausgestreckt, und als ich nicht darauf reagiere, packt er kurzentschlossen mein Handgelenk und zieht mich einfach zu sich hinauf. Ganz so, als wäre ich leicht wie eine Feder.


Finn klettert hinter mir ebenfalls aus der Luke und Misa schlägt sie zu. Als meine Augen sich endlich ein wenig an das Licht gewöhnt haben, sehe ich mich erstaunt um. Wir befinden uns im unteren Stock eines Wolkenkratzers und der Boden besteht größten Teils aus Beton. Nur an der Stelle, wo wir aus den Tunneln gekommen sind, ist ein ca. 4m2 großes Loch, welches mit Brettern abgedeckt ist und als Ein- und Ausgang zum Labyrinth dient.


An einer Seite des rechteckigen Raumes befindet sich eine Treppe, die hinauf in den nächsten Stock führt, welcher so gut wie gar nicht existiert. Der einzige Boden ist wie eine Art Ring an der Wand angebracht, ähnlich einem Balkon. Es fühlt sich an, als säßen wir hier unten in einer Arena, beobachtet, ausgeliefert und völlig entblößt. Eine Gänsehaut macht sich auf meinen Armen breit. Wäre die Treppe nicht, säßen wir in einem großen Käfig, der nur durch die großen Fensterfronten im ersten Stock beleuchtet wird.


„Gruselig, oder?", unterbricht eine Jungenstimme meine Gedanken. Ich sehe kurz zu ihm auf, nicke benommen und drehe mich zu Finn, da ich aus irgendeinem Grund das Gefühl habe, er sei die einzige Sicherheit, die ich hier habe. Oder zumindest das einzig vertraute.


„Ist sie hier?", meine Stimme klingt zittrig und der Junge von eben sieht mich etwas irritiert an. Dafür antwortet Elias: „Nein, ist sie nicht. Aber wir sind deiner Schwester begegnet."


„Geht es ihr gut?", meine ganze Aufmerksamkeit liegt bei Elias, ich hänge geradezu an seinen Lippen.


Er zuckt fast schon schuldbewusst die Achseln. „Sie ist davongerannt. Wir haben versucht sie zu uns zu holen, aber sie war wie ein aufgescheuchtes Reh. Ich bin ihr nachgelaufen und habe sie verloren."


Die Enttäuschung trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich spüre Finns Arm beruhigend um meine Schulter, doch ich nehme es kaum war. Sie war hier, so nah... und doch ist sie genauso weit entfernt wie zuvor. „Wo habt ihr sie gesehen?"


„Im Wald", schaltet sich nun auch Misa ein und zum ersten Mal mustere ich sie genauer. Sie ist klein, trägt die blonden Haare zu zwei Zöpfen gebunden und hat die Augen dunkel geschminkt, sodass sie beinahe aussieht wie ein Panda. Es wundert mich, dass sich ihre Wimperntusche noch nicht auf ihrem gesamten Gesicht verteilt hat, nachdem sie eine Nacht damit geschlafen hat.


„Welcher Wald?", Finn hat noch immer seinen Arm um mich gelegt und ich befreie mich davon, indem ich einen Schritt nach vorn gehe.

SEARCH - Das Spiel der SeelenWhere stories live. Discover now