Kapitel1.2

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Sarah


Ich war auf einen letzten Test gefasst, vielleicht auch einen Kampf. Irgendwelche Fragen, auf die man am besten eine Antwort gab, die auf das passte, was sie hören wollten. Ehrlichkeit war da bei mir meist weniger hilfreich und hätte mich bestimmt nicht so weit gebracht.


Stattdessen aber sitze ich nun in einem ledernen Sessel und starre auf den Schreibtisch vor mir. Das Zimmer ist nobel eingerichtet, der Schreibtisch aus dunklem, wuchtigen Holz und mit der neusten Technik ausgestattet. Ich kann einen Bildschirm mit neuestem 3D-Simulations-Projektor erkennen, Hightech Screens mit Non-Touch-Oberfläche und, und, und. Nicht, dass ich mich dafür interessieren würde, doch ein klein wenig bekommt man eben doch mit, wenn man sich hauptsächlich mit Jungs abgibt.


Ich trommele ungeduldig mit den Fingern auf das schwere Leder und lege den Kopf in den Nacken. Selbst die Decke ist mit edel wirkenden Holzplatten verkleidet, verdeckt jedoch nicht die kleinen Kameras. Am liebsten wäre ich auf den dämlichen Sessel geklettert und hätte sie jede einzeln herunter gerissen. Doch stattdessen atme ich aus und versuche meine Wut im Zaum zu halten. Ich möchte an Search teilnehmen, und dazu gehört auch, mein Temperament zu zügeln wenn es nötig ist. Alles andere wäre schwach.


Gleichzeitig erscheint jedoch Erens Gesicht vor meinem inneren Auge und erinnert mich daran, was passiert ist. War er bis vor wenigen Monaten noch mein bester Freund, so ist er jetzt ein nichts. Nichts ist mehr von ihm übrig, seitdem er 18 geworden ist und sie ihn operiert haben. Ich weiß nicht, auf wen ich wütender sein soll: die Regierung, die ihm so etwas angetan hat; oder auf ihn, der mich allein gelassen hat. Der sich dazu entschieden hat, den sicheren, einfachen Weg zu gehen und seine Seele in den Müll zu werfen.


Ich knirsche mit den Zähnen und kralle meine Nägel in das beschissene Leder. Soll es doch später Abdrücke davon tragen. Dann hätten sie wenigstens eine Erinnerung an mich.
Als ich die Türklinke höre, entspanne ich mich sofort und setze ein ruhiges Lächeln auf. Freundlichkeit wird gut ankommen, solange ich nicht versuche, ihnen in den Arsch zu kriechen.


„Guten Tag Miss Kane", die kühle Stimme der Frau lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Sie blickt mich aus stechend grauen Augen an und scheint darauf zu warten, dass ich aufstehe. Währenddessen mustere ich sie. Der Blazer ist grau, ebenso der Bleistiftrock, in dem sie gezwungen ist, kleine Tippelschritte zu machen. Die Absätze dagegen sind mörderisch und passen zu ihrem langen Hals und dem messerscharfen Blick.


Ich beiße mir kurz auf die Lippe, ehe ich mich schließlich dazu zwinge aufzustehen. Bevor ich jedoch etwas Höfliches sagen kann, geht erneut die Tür auf und ein etwa 50-jähriger Mann betritt den Raum. Auch er hat diesen kühlen Adlerblick, doch ich lasse mich nicht einschüchtern. Stattdessen reiche ich ihm die Hand und lächle. Ein Wunder, dass das Lächeln in meinem Gesicht noch nicht festgefroren ist.


„Guten Tag", grüße ich und bemühe mich, seine Hand nicht zu eilig loszulassen. Die Frau ignoriere ich absichtlich, und nachdem sie ihre Unterlagen vor dem Mann auf den Schreibtisch gelegt hat, verlässt sie wortlos den Raum. Immerhin.


Als der Mann, dessen Namen ich immer noch nicht kenne, eine kleine Ewigkeit in meine Unterlagen geschaut hat, rutsche ich unruhig auf meinem Sessel herum. Sofort sieht er mich über seine Brille hinweg an. Verdammt.


„Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Miss Kane?", fragt er in leicht herablassendem Tonfall und ich kann es mir nicht verkneifen, eine Augenbraue hochzuziehen. „Mir geht es gut. Danke der Nachfrage.", antworte ich ruhig und entgegne seinem Blick ohne mit der Wimper zu zucken.


Er macht sich Notizen in die Unterlagen, welche meine Akte zu sein scheinen, dann legt er sie zur Seite und rückt seine Brille zurecht, ehe er mich ansieht und langsam mustert.

„Also Miss Kane. Warum sind Sie hier?"

Die Frage trifft mich unvorbereitet und ich brauche eine Sekunde, bevor ich antworte. „Aus demselben Grund, wie jeder hier, schätze ich. Ich möchte zu den Besten gehören und weiterhin meinen Kopf benutzen können." Und nicht zu einer Ihrer namenlosen Sklaven werden, füge ich in Gedanken noch dazu.


Er nickt, doch ich habe das Gefühl, dass er mein Zögern registriert hat. Ich muss mich besser konzentrieren, wenn ich ihn überzeugen will.


Der Rest des Gesprächs verläuft tadellos. Ich ziehe meine Show ab, gebe die perfekten Antworten und spiele meine Rolle mit Bravour. Wahrscheinlich hätte man mich in früheren Zeiten mit einem Oskar bedacht. Oder zumindest nominiert.


Als ich ihm zum Abschied erneut die Hand gebe, ist mein Lächeln echt. Zum einen, da ich zufrieden und mir meiner Teilnahmebestätigung so gut wie sicher bin, zum anderen, weil ich meinem Gegenüber Respekt zolle. Mich beeindruckt seine Kontrolle und die Konzentration, mit der er jedes noch so kleine Detail zu bemerken scheint. Diese Kontrolle könnte mir bei Search noch das Leben retten.


Er dagegen nimmt nur meine Hand, lässt sie nach einem festen Griff wieder los und geht, ohne eine Miene zu verziehen. Ich habe keine Ahnung, was er von mir denkt.
Erst einige Sekunden nachdem die schwere Tür ins Schloss gefallen ist, fällt mir auf, dass ich noch immer nicht seinen Namen kenne.

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SEARCH - Das Spiel der SeelenWhere stories live. Discover now