Kapitel 2.2

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Sarah

Während meines Trainings habe ich mich stets darauf konzentriert, meine Ängste zu kontrollieren. Als die anderen Anwärter ins Fitnesscenter gingen um ihre Muskeln zu stählen, balancierte ich auf den Kanten von Hochhausdächern, kletterte mit Eren auf Berge und lernte so, nicht nur Kraft aufzubauen, sondern gleichzeitig auch meine Angst in Schach zu halten. Ebenso haben wir es mit den Spinnen gemacht.

Doch während ich mit der Zeit sogar besser darin wurde, Aufgaben in schwindelerregender Höhe zu lösen, als die anderen Teilnehmer es je sein werden, ist mir eine Angst immer geblieben: die Klaustrophobie.



Als ich jetzt zum ersten Mal in Search die Augen öffne, wird es sofort eng in meiner Brust. Ich bin von Schwärze umgeben, die so dick und undurchdringlich erscheint, dass sie schwer wie ein Güterzug auf meiner Lunge liegt. Ich schnappe panisch nach Luft und blinzle, in der Hoffnung, dass meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen und wenigstens ein paar Umrisse mir Anhaltspunkte dazu geben, wie groß meine Umgebung ist. Doch es tut sich nichts.

Ich darf jetzt nicht die Beherrschung verlieren, mahne ich mich und beiße mir fest auf die Lippen, kneife die Lider zusammen und versuche meine Atmung zu beruhigen. Einatmen. Und langsam ausatmen. Und einat- ich schnappe erneut nach Luft.
Verfluchter Mist! Meine Fingernägel graben sich tiefer in meine Haut und ich denke an den Schmerz, rufe mir Erens Gesicht in Erinnerung.
Du machst das gut Sarah. Denk immer daran: du kannst hier raus, wenn du dich beruhigt hast. Und dazu darf die Panik auf keinen Fall die Oberhand gewinnen!
Sein Gesicht ist so deutlich vor meinem inneren Auge, dass ich gar nicht anders kann, als mich ein Stück weit zu beruhigen. Ich konzentriere mich erneut auf meine Atmung, immer mit seinem festen Blick vor Augen, der mir Sicherheit schenkt.

Nach einigen weiteren Atemzügen öffne ich vorsichtig die Augen. Die Schwärze stürzt erneut mit aller Wucht auf mich ein, doch ich gebe nicht nach. Stattdessen denke ich an meine Wut, meine unglaublich große Wut auf Eren, der mit mir trainiert und mich dann im Stich gelassen hat.

Niemals würde ich aufgeben, so wie er es getan hat. Ich balle die Hände zu Fäusten, und während ich weiter mit zornigem Blick in die Dunkelheit starre, höre ich auf einmal ein lautes Platschen.

Sofort zucke ich zusammen, doch dann durchströmt mich Erleichterung. Was auch immer das Geräusch ausgelöst hat, hat mir gezeigt, wie groß der Raum tatsächlich ist. Das Platschen von Wasser hallt noch immer an den Wänden um mich herum wieder und ich weiß, dass ich nicht alleine bin.

Einige Sekunden lang ist es wieder still, doch dann ertönt erneut ein lautes Klatschen, gefolgt von einem wütenden Fluch. Wenn mich nicht alles täuscht, kam das Geräusch von rechts und gibt mir somit weiter Aufschluss über meine Situation. Mein Gegner dagegen hat vermutlich noch keine Ahnung, dass er nicht alleine ist.

Vorsichtig, darauf bedacht kein Geräusch zu machen, stehe ich auf und halte dabei immer Kontakt zu der Wand, an der ich bis jetzt mit dem Rücken gelehnt habe. Erleichtert stelle ich fest, dass mein Wille und das Training erfolgreich wieder die Oberhand übernommen haben, denn die Angst bleibt weiter tief in mir vergraben, dort wo sie hingehört. Stattdessen sind meine Ohren gespitzt, die Muskeln in höchster Alarmbereitschaft.

Als ich erneut das diesmal deutlich leisere Geräusch von schwappendem Wasser höre, bin ich mir sicher: Der Junge befindet sich rechts von mir und scheint durch das Wasser zu waten. Und wenn mich nicht alles täuscht, bewegt er sich dabei von mir weg.
Sollte ich ihm folgen? Vermutlich.

Denn er würde zuerst in eine der Fallen laufen, die sie in Search aufgebaut haben. Und solang er nichts von meiner Anwesenheit weiß, wird er auch keine Gefahr für mich darstellen. Auch wenn ich bezweifle, dass er mich sonst besiegen könnte.

Langsam setze ich einen Schritt vor den anderen, in dem Bewusstsein, dass früher oder später die Kante kommen muss, über die mein Konkurrent vorhin ins Wasser gefallen ist.
Gleichzeitig taste ich mich vorsichtig an der Wand entlang, denn wenn ich Glück habe, hat das Becken einen Rand, sodass ich gar nicht erst ins Wasser muss. Ich würde mich sofort verraten, sobald ich mich bewege und das Wasser zu schwappen beginnt.

Nach einigen weiteren Schritten erreiche ich schließlich die Kante und muss feststellen, dass das Becken bis zur Wand führt, ohne eine Möglichkeit darum herum zu laufen.
Ich beiße mir erneut auf die Lippe. Dann wohl doch ins Wasser.
Solang ich mich nur bewege, wenn er weiter geht, hört er mich vielleicht nicht. Oder wenn ich tauche... was mich nur auf den Gedanken bringt, was sich sonst noch alles im Wasser befinden könnte. Eine Gänsehaut macht sich auf meiner Haut breit, doch dann reiße ich mich zusammen, gehe in die Knie und strecke eine Hand ins Wasser. Es ist eiskalt.

Trotzdem beginne ich, mir ohne wertvolle Zeit zu verlieren die Schuhe auszuziehen – ziemlich fest zugeknotete Turnschuhe, wie ich überrascht feststelle, denn ich kann mich nicht daran erinnern sie angezogen zu haben.

Langsam lasse ich mich ins Wasser hinab gleiten und bin froh darüber, dass meine Armmuskeln gut trainiert sind. Gänsehaut legt sich über meinen Körper und noch bevor meine Füße den Boden berühren, fange ich an zu zittern. Die Oberfläche geht mir bis zum Bauch und ich bin froh, dass ich somit wenigstens leicht meine Schuhe über Wasser halten kann. Wenn sie später trocken sind, werde ich deutlich leiser vorankommen, als mit Nassen.

Im Hintergrund ist weiterhin das leise Geräusch meines Gegenspielers zu hören, was mir verrät, dass er immer noch in Bewegung ist.

Vorsichtig mache ich einige Schritte vorwärts, um zu testen, wie gut mein Plan funktioniert. Als ich stehen bleibe ist weiterhin das Schwappen zu hören, also hat er mich nicht bemerkt. Es klappt.

Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, in der wir so weiter machen. Dann wird es auf einmal still und ich erstarre mitten im Schritt. Was ist passiert?

Ein erneutes lautes Geräusch hallt durch den Raum und ich vermute, dass der Junge den Rand des Beckens erreicht hat. Verflucht. Wenn er klug war, sind seine Schuhe trocken und er wird sich von jetzt an deutlich leiser bewegen als ich. Das wäre mein Aus, außer ich warte ab bis er weiter gelaufen ist... Meine Zähne beginnen wie aus Protest genau in diesem Moment zu klappern.

Doch zu meinem Glück löst sich das Problem ganz von selbst, als ich höre, wie mein Gegner beginnt mit schmatzenden Schritten weiter zu gehen. Was für ein Idiot.

Das Geräusch seiner Schritte wird von allen Wänden widergeworfen und strömt aus sämtlichen Richtungen auf mich ein. Für einen Moment keimt erneut das Gefühl der Erdrückung und der Angst in mir auf, doch ich denke an Eren und kämpfe das Gefühl erfolgreich nieder.

Leise setze ich meinen Gang fort und als ich an den Rand komme, ziehe ich mich langsam aus dem Becken, ziehe die trockenen Turnschuhe an und lausche. Das Hallen seiner Schritte hat sich weiter entfernt, ist jedoch weiterhin deutlich zu hören. Verloren gehen wird er mir so jedenfalls nicht.

Ich grinse, ehe ich kaum hörbar die Verfolgung aufnehme.

*

SEARCH - Das Spiel der SeelenWhere stories live. Discover now