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"Wie soll ich das nur aushalten? Kannst du Sophia nicht sagen, dass es dir nicht gut geht?" dringt die gedämpfte Stimme von Liam durch das Telefon.

"Nein, das geht nicht. Sophia ist meine beste Freundin und ich fühle mich schon schlecht genug, weil ich ihr in den letzten Tagen so vieles verheimlicht habe." antworte ich flüsternd und schaue dabei auf die weißen Fliesen der Badezimmer Wand.

"Das machst du aber nur, um sie und uns zu schützen. Es wäre viel zu gefährlich für alle, wenn sie von uns weiß." spricht Liam mir aufmunternd zu.

"Ich muss jetzt Schluss machen. Sophia wartet bestimmt schon." flüstere ich in den Lautsprecher und erhebe mich von dem kalten Boden.

"Okay, aber lange halte ich das nicht mehr aus, dich nicht zu sehen." kann Liam noch sagen, bevor ich ihn weg drücke. Er war natürlich nicht sehr begeistert davon, dass Sophia heute bei mir schlafen wird. Die letzten Nächte hat er sich nämlich immer heimlich durch mein Fenster geschlichen und sich zu mir ins Bett gelegt. Es war schon fast normal geworden. Doch ich muss auch an die anderen Menschen in meinem Leben denken. Seitdem ich mit Liam zusammen bin, sehe ich meinen Dad nur noch selten und Sophia auch nur noch in der Schule.

Damit meine Tarnung nicht auffliegt, lasse ich kurz den Wasserhahn laufen und trete dann aus der Tür heraus.

"Du brauchst dich nicht verstecken, wenn du mit Liam telefonieren willst." sagt Sophia, die plötzlich vor mir steht.

"Habe ich doch gar nicht." antworte ich mit hoher stimme und gehe an ihr vorbei, um mich auf mein Bett zu setzen. Zum Glück geht Sophia auch nicht weiter darauf ein, sondern setzt sich einfach zu mir auf das Bett.

"Da du die einzige von uns beiden bist, die momentan ein Liebesleben hat" beginnt sie und schaut mich abwartend an.

"Also schön, was willst du wissen?" frage ich sie schmunzelnd und setze mich bequem hin.

"Habt ihr eigentlich schon?" fragt sie neugierig nach.

"Wenn du meinst, ob wir schon miteinander geschlafen haben, dann nein." antworte ich knapp und schaue meine beste Freundin an, die gerade mit einer ihrer blonden Locken spielt.

"Dann ist es also so richtig ernst?"

"Ja das ist es. Solche Gefühle, die ich für Liam empfinde, hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben." gestehe ich ihr und schaue sie strahlend an.

"Man, dich hat es ja richtig erwischt." stellt Sophia mit einem Grinsen fest. "Und wann hast du vor, es deinem Dad zu sagen?"

Ja, richtig gehört. Ich habe es meinem Dad noch nicht gebeichtet. Irgendwie war dafür noch nicht der richtige Moment. So etwas sagt man ja auch nicht mal nebenbei beim Frühstück. Nein, ich möchte Liam zu uns nach Hause einladen. Dann kann mein Dad selbst sehen, wie toll Liam ist. Er wird erkennen, dass er mir gut tut und ihn als meinen Freund akzeptieren.

"Ich denke am Sonntag wäre es eine gute Idee. Da hat Dad immer gute Laune. Außerdem ist Sonntag ein heiliger Tag, an dem man niemanden böse sein kann." erkläre ich Sophia meinen Plan.

"Seit wann glaubst du denn an den ganzen Kirchen-Kram?" fragt sie belustigt nach.

"Ich glaube nicht daran, aber das Gefühl, etwas Unterstützung zu bekommen ist schön."

Bäume. Überall Bäume. Wenn ich nach links schaue- Bäume. Wenn ich nach rechts schaue- Bäume. Ja, selbst wenn ich nach oben schaue- Bäume. Nur wenn ich meinen Blick an mir herab gleiten lasse, sehe ich ein weißes Kleid. Ich besitze nicht einmal ein weißes Kleid und trotzdem umhüllt es meinen Körper.
Vielleicht entdecke ich ja etwas anderes außer Bäume, wenn ich ein Stückchen weiter gehe. Und so laufe ich und laufe ich, bis ich auf einmal ein Knacken in der Ferne höre.

"Hallo! Ist da jemand?!" rufe ich in den Wald hinein, doch erhalte keine Antwort. Also laufe ich wieder weiter. Irgendwann muss doch mal etwas anderes kommen außer Bäume.

Warum ich keine Angst habe? Ganz einfach, mein Bauch sagt mir, dass ich nicht in Gefahr bin. Außerdem befinde ich mich in keiner bedrohlichen Situation. Im Gegenteil, der Geruch des Waldes beruhigt mich.

Plötzlich höre das Schlagen von Flügeln. Ich bleibe sofort stehen und drehe mich um. Hinter mir sitzt eine weiße Taube auf dem dunklen Waldboden und schaut mich mit schrägem Kopf an. Langsam und darauf bedacht die Taube nicht zu verschrecken, nähere ich mich dem Tier und hocke mich zu ihm hin. Ganz aufmerksam hat die Taube jeden einzelnen Schritt beobachtet. Und so wie ich keine Angst vor ihr habe, hat sie auch keine Angst vor mir. Sie sitzt seelenruhig auf dem Boden und schaut mich immer noch mit geneigten Kopf an.

Behutsam lege ich meine offene Hand neben der Taube ab. Die Taube versteht und klettert auf meine Handfläche. Vorsichtig, dass sie nicht runter fällt, stehe ich wieder auf und halte meine Hand ausgestreckt vor mir hin. Vögel sollten fliegen! Dafür haben sie Flügel bekommen. Sie sollen die Welt von oben betrachten und die großen Probleme der Menschen ganz klein werden lassen.

Als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht habe, schlägt die Taube eine paar mal mit ihr Flügeln und erhebt sich von meiner Handfläche.

Luna - menschliche Gefährtin Where stories live. Discover now