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Die Sonne ging auf und wieder unter. Die Tore öffneten und schlossen sich. Die Tage strichen an mir vorbei und das seltsame, ungewohnte Gefühl, was ich am Anfang meiner Zeit hier noch hatte, war verschwunden. Doch auch wenn ich mich allmählich an all das hier gewöhnt hatte, so trug ich den Drang nach Freiheit immer noch tief in mir.

Auch Jack hatte sich so langsam eingelebt. Er war zwar immer noch ängstlich, aber er konnte auch gut mit anpacken, sogar sehr gut, denn mittlerweile arbeitete er bei den Baumeistern. Ich verstand mich gut mit ihm und wenn er mich in der Küche sah, setzte er sich jedes Mal zu mir.

Die allgemeine Situation auf der Lichtung hatte sich beruhigt, ich war nun nicht mehr der umherwandernde Fremdling. Fast alle Jungs hatten mich inzwischen akzeptiert. Vielleicht lag das auch daran, dass Newt ihnen mit mehr Arbeit gedroht hatte, wenn sie nicht nett zu mir waren und dass Minho geschworen hatte, jeden zu schlagen, der es auch nur wagte mich anzufassen. Aber das sei mal dahin gestellt. Ich konnte nämlich auch sehr gut auf mich selbst aufpassen, doch Minho meinte trotzdem, den Beschützer spielen zu müssen. Er behandelte mich wie eine Prinzessin und ich nahm es ihm nicht übel, denn ich konnte seinen niedlichen braunen Augen einfach nicht wiederstehen. Hin und wieder erinnerte ich ihn aber daran, wie stark ich auch ohne ihn war.

Die einzigen, die nach wie vor gegen mich waren, waren Gally und seine Anhänger, doch sie waren deutlich in der Unterzahl. Und sie hielten sich zurück, meistens jedenfalls, nur Gally konnte es nicht lassen hin und wieder eine abfällige Bemerkung über mich zu machen. Newt wies ihn jedoch in die Schranken, bevor Minho davon Wind bekam und ihm seine Knollennase einschlug. Wie gesagt, manchmal war er etwas überfürsorglich.

Ansonsten passierte nichts Außergewöhnliches. Keine Erinnerung, nichts. Nur dieses ständige Kribbeln in meinem Kopf. Also nicht wortwörtlich Kribbeln in meinem Kopf, aber es war, als würde etwas versuchen zu mir hervorzudringen. Wie eine Erinnerung eben, aber irgendwie auch nicht. Es war seltsam, ich konnte es mir nicht erklären.

Jedoch träumte ich oft. Manchmal waren es Träume von der Außenwelt, wie ich sie mir vorstellte. Träume von meinen gesichtslosen Eltern, Träume von geliebten aber gesichtslosen Menschen. Träume von Dingen die da waren, in meinem Kopf aber nicht richtig existierten. Meistens aber bloß willkürliche Dinge, die für mich keinen Sinn ergaben. „ANGST ist gut"; dieser Satz kam ständig in ihnen vor, eine blonde, mittelalte Frau wiederholte ihn immer und immer wieder. Oft rannte ich auch durch endlose Korridore, sah dutzende von Bildschirmen vor mir und war umgeben von einem Haufen von Ärzten, die an mir rumfuhrwerkten und mich neugierig beobachteten. Diese Träume waren jedoch sehr durcheinander und brüchig. Ich würde sie noch nicht mal als richtige Träume bezeichnen, doch auch nicht als Erinnerung. Sie waren einfach nur seltsam.

Ich beschloss allerdings Newt vorerst nichts davon zu erzählen. Es ging ihm gerade besser, da wollte ich ihn nicht schon wieder mit dem Durcheinander in meinem Kopf belasten. Auch wenn ich versprochen hatte, ihm sofort von solchen Dingen zu berichten. Stattdessen redete ich viel mit Minho, denn im Moment war unsere Beziehung das Einzige, bei dem ich mir hundertprozentig sicher war. Er hatte immer ein offenes Ohr und war da, wenn ich ihn brauchte, was mir unheimlich gut tat. Manchmal musste ich gewisse Sachen einfach loswerden, denn mit der Zeit wurde die Lichtung immer kleiner und erdrückender. Ich war froh, wenigstens einen Ort zu haben, an dem ich meinen ganzen inneren Wind raus lassen konnte.

Irgendwann musste ich Newt jedoch davon erzählen, ich konnte es nicht ewig vor ihm verheimlichen. Er merkte es mir sofort an, wenn ich morgens etwas erschöpft war, weil ich nicht gut geschlafen hatte. Trotzdem traute ich mich nicht ihn darauf anzusprechen, weil ich seine gute Laune nicht ruinieren wollte. Aber Newt ließ sich natürlich nicht beirren und so kam er schließlich eines Tages nach dem Abendessen zu mir.

„Hey Grünschnabel?", sagte Newt und ließ es absichtlich wie eine Frage klingen, als er auf einmal neben mir stand und seinen Teller neben der Spüle abstellte. „Was gibt's?", erwiderte ich und versuchte, es so beiläufig wie möglich rüberkommen zu lassen. „Kann ich mal mit dir reden? Allein?" Das letzte Wort flüsterte er fast schon. „Klar", antwortete ich schlicht. Ich wusste sofort, worum es ging. Wir gingen in den Wald, damit uns niemand hören konnte und ließen uns an einem Baum nieder. Als ich nach oben schaute, wurde ich ein wenig vom noch übrig gebliebenen Sonnenlicht geblendet, das über uns durchs Blätterdach fiel.

„Wie geht's dir?", unterbrach Newt die Stille und es erinnerte mich sehr an das Gespräch, das wir vor kurzer Zeit geführt hatten. Da hatte ich ihn dasselbe gefragt. „Naja...", fing ich an und mein Blick wanderte zurück zu ihm, „das weiß ich selbst nicht so genau." Er sah mich stumm an, als wäre ihm das nicht genug, also fügte ich noch hinzu: „Ich fühle mich seltsam." „Hast du dich... an irgendwas erinnert?", fragte er dann vorsichtig. Ich schüttelte bloß den Kopf und wendete meinen Blick wieder ab. Sekunden-, vielleicht auch minutenlang starrte ich ins Nichts, bis ich mich schließlich wieder fassen konnte. „Nein", murmelte ich. „Aber ich träume oft. Deswegen schlafe ich auch schlecht. Die Träume sind durcheinander und ich würde sie nicht als Erinnerung einordnen. Sie fühlen sich, wie gesagt, einfach... seltsam an."

Seltsam. Seltsam. Seltsam. Auf einmal fühlte ich mich besonders... seltsam. „Das ist alles einfach nur seltsam." Ich wusste nicht, was dieser Satz zu bedeuten hatte, doch er tauchte auf einmal auf und wollte mir nun nicht mehr aus dem Kopf gehen. Es war zwar kein außergewöhnlicher Satz, aber ich hatte das Gefühl, jemand bestimmtes hatte ihn mal zu mir gesagt.

„Claire?", riss mich Newts Stimme plötzlich aus meinen Gedanken. „Ist bei dir auch wirklich alles okay?" „Ja, ja, ja...", erwiderte ich, sagte es aber mehr zu mir als zu ihm. „Seltsam...", murmelte ich so leise, dass ich dachte, Newt hätte es nicht gehört. Doch wir sprachen hier immerhin von Newt, er war der aufmerksamste Mensch den ich kannte. Vorsichtig legte er eine Hand auf meine Schulter, woraufhin ich leicht zusammenzuckte und ihn etwas verwundert anblickte. „Claire du brauchst dringend etwas Schlaf. Nimm dir mal nen Tag frei und entspann dich. Das alles tut dir nicht gut", sagte er und schaute mich besorgt an. „Nein, nein, nein ist schon okay. Mir geht's gut", erwiderte ich und versuchte mir ein Lächeln abzuringen. Seine Augen bohrten sich regelrecht in meine, als wollte er sagen „Das kauf ich dir nicht ab". „Wirklich", versicherte ich ihm.

Doch es war einfach nicht die Wahrheit. Und dabei waren es noch nicht mal die Träume selbst, die mir so zu schaffen machten. Manchmal schlief ich tagelang nicht und das war nicht gerade förderlich, wenn man jeden Tag durch ein riesiges Labyrinth laufen musste. Es kam phasenweise und wenn es vorbei war ging es mir gut, auch wenn ich dann schon wieder Angst vorm nächsten Mal hatte. Doch es raubte mir einfach unheimlich viel Energie und ich hasste es, nicht richtig funktionsfähig zu sein.

Minho hatte es natürlich inzwischen auch schon bemerkt und am nächsten Morgen, als er mich wie eigentlich immer wecken sollte, tauchte er nicht auf, weswegen ich einfach durchschlief. Und es tat mir gut. Insgeheim war ich ihm dankbar, weil ich wusste, dass er es absichtlich gemacht hatte.

Ich weiß nicht wieso, aber dieser eine Ruhetag bewirkte unheimlich viel. Seit langem konnte ich mich endlich mal wieder entspannen, ohne ständig an alles Mögliche denken zu müssen. Danach ging es mir besser. Ich schlief nicht mehr so schlecht und Träume hatte ich auch nur noch selten. Alles wendete sich wieder zum normalen, soweit man das alles hier als normal bezeichnen konnte.

Just Human ⎡ The Maze Runner ⎦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt