...Verlobt. Geschieden.

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Ana wusste nicht mehr wie sie an diesem Abend nachhause kam. Ihre Gedanken waren von einem undurchlässigen Nebel umgeben und irgendwann fand sie sich einfach vor ihrem Bett wieder. Sie legte sich komplett angezogen, mit Schuhen, Jacke und Schal, auf die weiche Matratze und starrte die Wand an. Ohne es zu wissen, war sie hier heute morgen in den Armen Michaels erwacht, hatte sich auf einen ruhigen Sonntag im Bett gefreut und dort, an ihn gepresst, wäre ihr niemals in den Sinn gekommen, das es das letzte mal sein könnte, das sich an diesem Tag ihr Schicksal so entscheiden würde.
Ana schloss ihre Augen, die mittlerweile nicht nur unangenehm brannten, sondern wirklich schmerzten.
Schniefenden, mit pochenden Kopfschmerzen in der Stirn, schlief sie kurz darauf erschöpft ein.

Am nächsten morgen ging es ihr nicht wirklich besser. Ihr Gesicht, vor allem ihre Augen und Wangen, waren angeschwollen und rot, der Kopf schmerzte unaufhörlich und sie hatte nach wie vor keinen Appetit. Nach kurzer Suche nach einem Aspirin, fischte sie ihr Handy aus der Handtasche und rief Kimba an, während sie darauf wartete das sich die Tablette im Wasser auflösen würde,
"Helloooo" trällerte Kimba in den Hörer,
"Hey Kimba-" Ana konnte nicht glauben das, das ihre Stimme war. Es war kaum ein Krächzen und auch Kimba schien erschrocken,
"Ana alles ok?" Die Frage trieb Ana wieder Tränen in die Augen, und sofort fingen sie wieder an zu brennen,
"Ah"- zischte sie leise und atmete langsam durch, "ja alles ok, also ich glaube ich bin erkältet. Ich bleibe erstmal zuhause, sag Nadia bitte Bescheid. Oder ich schreibe ihr ne Mail, sie macht das dann schon..."
"Ehm... Ok. Sicher das alles in Ordnung ist?"
"Was meinst du?"
"Ana ich bin deine beste Freundin ich merke doch das-"
"Ich muss jetzt los, tut mir leid... Muss zum Arzt, morgens kommt man schneller dran. Bis dann!"
Hastig legte sie auf und stützte ihr Gesicht in ihre Hände, sie stand mittlerweile ganz kurz vor ihrem Limit und fragte sich wie viel sie noch ertragen konnte. Vielleicht sollte sie sich wirklich zur Arzt Praxis schleppen und direkt ein paar Tage krank machen. Also stand sie irgendwann auf, immer noch in den Klamotten von gestern, knotete ihr Haar unwirsch zu einem Dutt hoch und hastete aus dem Haus. Der Arzt lag ganz in der Nähe, aber Ana wollte mit diesem Gesicht, von niemandem gesehen werden und stieg lieber ins Auto.

Der Doc schrieb sie tatsächlich ohne zu zögern, die ganze Woche krank, redete von Burnout, Depressionen, PMS. Ana nickte nur geschlagen, nahm die Baldrian Tropfen und die Schlaftabletten die er ihr gereicht hatte und machte sich wieder auf den Weg heim.

Die Tabletten wirkten, der Arzt hatte diese sicherlich für die Nacht vorgesehen aber Ana warf sich direkt nach einem langen Bad, zwei der gelben Dinger ein, schloss am ganzen Haus die Jalousien und schlief bis weit in den Nachmittag rein. Traumloser, tiefer Schlaf, genau das was sie brauchte.
Als sie erwachte und versucht aufzustehen, zeigte allerdings erstmalig auch die fehlende Nahrung und das wenige Wasser seinen Effekt, Ana war wackelig und schwach, viel auf dem Weg zur Küche sogar einmal fast auf die Schnauze und zwängte sich kurz darauf erstmal einen Apfel, Traubenzucker, einen Joghurt und eine ganze Flasche Wasser rein.

Sie verbrachte die nächsten Tage im Bett und auf der Couch, wie ein Geist Schlich sie von Zimmer zu Zimmer. Sie ertrug ihre eigenen Gedanken nicht und versuchte, in denen Momenten in denen sie nicht schlief, immer ein Buch oder Film vor sich zu haben. Besuch von Romeo oder Freunden lehnte sie ab und redete sich mit "ansteckender Grippe" irgendwie raus. Und obwohl sie tatsächlich etwas kränkelte, so wollte sie in Wirklichkeit nur ein wenig Zeit für sich, Zeit zum trauern. Sie fühlte sich wirklich als wäre jemand gestorben und ertrug den Verlust dabei nur schwer.

Donnerstag Mittag wankte sie grade vom Wohnzimmer zurück zum Schlafzimmer als es bei ihr Sturmklingelte, dicht gefolgt von lautem klopfen. Hastig ging sie zur Tür, es war Kimba die mit sorgenvollem Blick und einer großen Plastiktüte eintrat.
"Kimba was machs-"
"Ja ja, lass stecken ich weiß was los ist."
Sagte diese aufgebracht und ging an Ana vorbei in die Wohnung.
"Ich habe nur ne Grippe, ich wollte euch nicht anstecken das wars..." Sagte Ana geschlagen und ließ sich aufs Sofa fallen, von wo aus sie, sofort wieder eingewickelt in eine dicke Decke, Kimba in der offenen Küche umher wuseln sah,
"Du hast den Arsch offen, mehr nicht... Ich hab mir das jetzt lange genug mit angesehen..." Sagte diese schnippisch und setzte Tee-Wasser auf, während sie  in einem großen Topf auf Anas Herd, ihre mitgebrachte Suppe aufwärmte. Ana verstand nicht wovon Kimba da redete, beobachtete stattdessen stillschweigend wie sie ihr kurz darauf, eine Schüssel Hühnersuppe und eine große Tasse Tee hinstellte, bevor sie ebenfalls aus der Plastiktüte, eine Flasche Rum hervor zog und davon zwei große Schlücke in ihren und Anas Tee mischte.
"Kimba-"
"Iss! Trink!" Sagte diese mit versteinertem Blick und beobachtete wie Ana artig zu essen begann, während sie langsam ihren Tee trank.
Als Ana wenig später die Schüssel und die Tasse geleert hatte, fühlte sie sich angenehm satt und der große Schluck Rum, wärmte sie angenehm von innen. Sie wickelte sich wieder in die Decke ein und sah Kimba aus großen roten Augen an.
"So und jetzt rede..." Sagte diese, überschlug die Beine und schloss die Augen, wie eine sehr konzentrierte Therapeutin.
"Ich weiß nicht was du meinst..." Erwiderte Ana leise, Kimba seufzte schwer,
"Wieso beleidigst du mich so Ana?" Ihre Stimme war bedrohlich ruhig,
"Ich beleidige dich nich-"
"Denkst du ich bin dumm?"
"Nein! Was-"
"Denkst du ich bin blind und taub und geistig zurück geblieben?"
Ana schüttelte ungläubig den Kopf und richtete sich auf, sie verstand garnichts, doch Kimba fuhr unbehelligt fort, ihre Augen jetzt geweitet und ernst,
"Denkst du ich sehe nicht wie unglücklich du bist, wie du dich rumschleichst, mir seit Wochen aus dem Weg gehst? Dein schlechtes Gewissen und deine Frustration?" Kimbas stimme wurde lauter, "und ich denke die ganze Zeit nein, das kann nicht sein, sie würde doch über alles mit mir reden. Und dann sehe ich Michael gestern..." Plötzlich zog sich alles in Ana zusammen und sie senkte den Blick,
"Und er sieht aus wie der gottverdammte Tod höchstpersönlich! Verheult und zerknittert, ernährt sich nur von Kippen und Kaffee, und ich wusste sofort das ich die ganze Zeit recht hatte. Weil ich dich kenne. Besser als du selbst. Wie ihr euch anguckt. Wie ihr immer gleichzeitig aus dem Raum verschwindet. Ich liebe dich, aber Verkauf mich nicht für dumm, und jetzt hör auf mit diesem scheiss und er-zähl-mir-verdammt-nochmal-was-los-ist!"
Stille.
Ana sah zu Kimba hinüber die wieder die Beine überschlagen hatte und die Augen geschlossen. Ana räusperte sich, sie dachte sie müsse weinen aber vielleicht waren die Tränen alle verbraucht oder etwas in ihr nutze den Moment um endlich klar zu denken, denn als sie nun begann, mit ihrer chaotischen Geschichte, blieb sie völlig ruhig, bis zum Ende.
Sie erzählte von dem Wiedersehen mit Michael, ihren Gefühlen und Zweifeln, dem Kuss, dem Sex auf der Verlobungsfeier. Ihrer Wut und der Schuld gegenüber Romeo. Sie erzählte von den letzten Wochen, den Treffen, Telefonaten, warum sie Kimba gemieden hatte. Und von diesem Wochenende. Ihrem Vorhaben. Dem Moment, der alles beenden sollte mit Romeo und stattdessen alles beendete mit Michael. Ihrer Entscheidung, ihrem Schmerz. Sie hatte alles gesagt, was gesagt werden musste und schloss nun die gesamte Erzählung, mit einer einzigen Bitte,
"Bitte hass mich nicht, bei Gott ich hasse mich schon selbst genug. Ich mache alles wieder gut, ich werde Romeo so glücklich machen. Bitte, bitte glaub mir..." Sie brach ab, ihre eigenen Finger knetend und auf die leere Tasse vor sich starrend wartete sie die vernichtenden Worte von Kimba ab, ihrer guten, lieben Freundin, die sie ebenfalls so hintergangen hatte.

Kimba öffnete die Augen, ihr Mund war zu einem dünnen, strengen Strich verzogen und sie sah Ana mit unlesbarem Blick an.
"Ich hasse dich nicht." Schloss Kimba nach einer Weile. Sie stand auf und setzte neuen Tee auf.
"Kimba... Ich weiß du magst Romeo, ich mag ihn auch, ich habe das alles nicht gewollt... Ich wusste wirklich lange Zeit nicht, welche Entscheidung ich treffen sollte, und als ich mich für Michael entschieden habe und Romeo mir erzählte, was er für mich aufgegeben hatte. Vielleicht war das einfach ein Zeichen... Ich kann glücklich werden mit Romeo. Ich weiß das ich es kann. Denn er macht mich ja auch glücklich. Er ist perfekt."
Kimba musterte Ana, die vor sich hinbrabbelnd ihren Tee entgegen nahm und gleich danach, zu den Zigaretten griff.
"Ich kann ihn lieben, ich werde ihn lieben..." Sagte sie erneut, Kimba blieb weiterhin still,
"Und es wird alles gut. Ich werde ihn lieben. Sag doch was!"
Kimba zuckte mit den Schultern,
"Naja nenn mich altmodisch aber... Ich denke eine Beziehung ist immer Sinnvoller, mit dem Mann den man bereits liebt, immer geliebt hat, und nicht mit dem, den man eines Tages hoffentlich, vielleicht, mit viel Glück, lieben könnte... Aber was weiß ich schon. Ich denke du machst das ganz richtig, dich für immer zu hassen für einen einzigen, vielleicht gravierenden aber menschlichen Fehler, in deinem sonst komplett korrektem Leben. Sinnvoll ist auch, sich emotional erpressen zu lassen von Romeo und seinen Entscheidungen, obwohl du ihn gebeten hast, dies nicht zu tun. Aber Selbstgeisselung ist ja dein Ding oder? Wieso eigentlich, darfst du nicht aufrichtig glücklich sein, weil du jetzt ein paar mal unaufrichtig warst? Wach auf Ana. Wir sind alle schlechte Menschen. Willkommen in der Realität dieses abgefuckten Planeten. Keiner ist perfekt. Du musst nur unterscheiden was Auslöser für unsere Fehler oder Sünden oder was auch immer du sie nennen willst, sind. Wolltest du Romeo verletzen oder mir etwas verheimlichen? Nein! Hast du es gemacht um uns zu schützen? Ja! Und der Grund für den ganzen scheiss selbst, ist dieser Junge, den du seit zwei Jahren liebst, dessen Liebe du dir noch nie einfach gemacht hast und ich frage mich langsam warum. Ich weiß nich ob du Angst hast, ob du denkst das du das nicht verdienst. Aber das tust du. Jeder verdient Liebe und Glück, auch Betrüger und Lügner! Aber wie gesagt... Ich bin da vielleicht altmodisch. Du solltest definitiv bei Romeo bleiben und dich für immer fragen, was gewesen wäre, und vielleicht nicht gleich, aber in zwei oder vier Jahren, wirst du erst dich und dann Romeo dafür hassen und dann wird es hässlich... Aber dein schlechtes Gewissen sollte, wie gesagt, ab jetzt alle großen Entscheidungen deines Lebens beeinflussen!" Sie nahm einen langen genüsslichen Schluck aus ihrer Tasse und lächelte Ana dann lange sarkastisch an bevor sie sich räusperte und mit süßlicher Stimme sagte,
"Noch ein Tässchen Tee?"

Ein bisschen Klärung aber nicht so richtig, oder macht ihre Entscheidung für euch Sinn?! Was glaubt ihr wie es für Ana weiter gehen soll? Romeo, Michael? Keiner? (Ich bin ja für Kimba hahah)

Berliner Nächte (Shindy FF)Where stories live. Discover now