Sprechstunde

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Gluckernd fließt die rote, heiße Flüssigkeit in den provisorischen Becherdeckel der Kanne und sie genießt den Duft des Tees. Seufzend betrachtet sie die Mengen von Schülern vor sich und fixiert jeden einzelnen für eine kurzen Augenblick. Seit Gestern hat sie sich wieder gefangen und macht ganz normal weiter. Das passiert oft. Diese Aussetzer und diese Momente wenn sie realisert das sie sich ausgetobt hat, dann atmet sie durch, setzt ein Lächeln auf und überlegt sich neue Spiele. Sie weiß das sie Gestern zwei Familienhäuser, im Viertel der reichen und hohen Personen abgeschlachtet hat und sie weiß das das nicht so weitergehen kann. Nicht für immer, denn die Abstände dieser Zwischenfälle werden häufiger, werden aggressiver und werden unvorsichtiger. Diese andere Doll ist... es ist als wolle sie erwischt werden, als wolle sie mehr Aufmerksamkeit und mehr Spaß dadurch, doch das will die jetzige Doll nur in kleinen Schritten. Es passierte das erste Mal, als sie...
Schritte holen sie in die Wirklichkeit zurück und sie spitzt die Ohren.

"Was machst du da?" Sie schaut zwischen den Augenwinkel zu dem altbekannten Jungen oder besser der Nervensäge ihrer Klasse und meint belanglos:"Ich trinke Tee." Er atmet laut aus:"Puh! Ich dachte es sei Blut." dann schwingt er sich auf den Platz neben ihr und sie meint abwägig:"Menschen vertragen kein Blut." er legt den Kopf schief:"Das war doch nur ein Spaß! Und du bist ein Mensch? Naja..." Sie verdreht die Augen und pustet in den Deckel:"Ich mag deine Späße nicht. Was ich bin geht dich auch nichts an. Was willst du überhaupt hier?" Schulter zuckend betrachtet er sie:"Ist nicht wichtig... ehm du wirkst so müde und ruhig. Ist alles ok?" Sie weiß genau was er damit meint, sie hat ihn längst durchschaut, was einfacher war als gedacht:"Mir geht es Bestens und jetzt antworte auf meine Frage! Was willst du von mir? Du scheinst beliebt zu sein, also geh mit denen spielen." Er streckt sich und lehnt sich etwas zurück:"Du warst halt so allein und da dachte ich, dass ich meiner Freundin etwas Gesellschaft leiste. Du kennst hier ja noch-","Ich bin nicht deine Freundin und du nicht mein persönlicher Aufpasser." sie trinkt knirschend einen Schluck und unterdrückt den heißen, kurzen Schmerz.
Er lässt den Kopf für einen Augenblick hängen, dann fragt er:"Wie heißt du eigentlich." Sie schaut starr nach vorne, als sei sie in einer ganz anderen Welt. In ihrer eigenen. "Das brauchst du nicht wissen." Er fuchtelt etwas mit den Armen:"Komm schon! Ich kann dich doch nicht dauerhaft mit "Du" ansprechen." Ihr Mundwinkel zuckt leicht:"Doch, dass kannst du. Steht dir frei." Gerade als er was erwiedern will, ruft jemand seinen Namen. Ein Mädchen aus einer der vielen Gruppen und winkt ihm. Er verabschiedet sich und geht geradewegs zu dem Mädchen.
Doll mag sie nicht. Ihr Name und ihr Aussehen gehen ihr verdammt stark auf die Nerven, auch jemand aus ihrer Klasse, nur ihren Namen fällt dem Puppenmädchen einfach nicht ein.
Das Klingeln beendet dann die Pause und sie steht auf, nachdem fast alle schon wie wild sich durch das Schultor gezwängt haben. Sie nimmt sich Zeit, denn ihre jetzige Stunde wird eine neue Qual. Da sie ja letztens so verdammt freundlich zu einer Lehrerin war und im Nachhinein ihr Auto angefackelt hat, muss sie nun zur Schulpsychologin. Das sich eine Schule sowas leisten kann, aber nun gut. Langsam schreitet sie durch den Flur und sofort ist sie der Mittelpunkt. Manche weichen aus, andere starren sie wie ein Insekt an, bis sie vor der Tür stehen bleibt, sie einfach aufreißt und in dem Raum der Ärztin steht.
Die Tür geht knallend zu und die Schüler gehen ihrem Alltag nach.
Ein weiterer Freak. Denken sie nur.

"Du solltest anklopfen." Sagt die Frau mit den streng zurückgemachten Haare, was das Mädchen nur mit einem süffisanten Lächeln entgegen nimmt, sich setzt und meint:"Sie sollten meine Zeit nicht verschwenden." Räuspernd blickt sie durch ihre spitzgerahmte Brille:"Jemand freches und aufmüpfiges anscheinend, aber du wirkst nicht als ob du ein Auto anzünden könntest und eine Lehrerin tyrannisieren könntest."
Sie zupft an ihren spitzen Ärmeln, dann hebt sie den Kopf:"Das höre ich oft, aber wissen sie: fangen sie jetzt endlich an. Ich will pünktlich zu Hause sein.  Heute Abend wird es lust-","Wie sieht es bei dir zu Hause aus? Warum musst du pünktlich sein?" sie holt Luft und schüttelt angewiedert den Kopf, jedes Mal das Gleiche. "Wissen sie ich wohne allein. Und heute Abend? Ohhhhh, dass wird ein Spektakel. Doch ich darf es nicht erzählen." Sie notiert etwas auf dem Klemmbrett.
"Viele Kinder wollen somit, also mit solchen Anstiftungen auch Aufmerksamkeit. Sei es von Gleichaltrigen, Erwachsenen oder den Eltern. Das ist nicht unnormal...-"
"Lassen sie das einfach. Das wird nichts bringen." unterbricht sie wieder. Sie hat die Hand abwehrend erhoben und ihr Kopf dröhnt. Die Therapeutin legt den Kopf schief und umklammert das Klemmbrett fester mit den Händen, während sie das Mädchen ganz genau betrachtet:
"Man muss sich erst an sowas gewöhnen, aber glaub mir, nach den ersten paar Sitzungen wird es dir-",
"Sie sind nicht die erste. Und immer wieder diese gleichen Fragen: Fühlst du dich wohl in der Schule? Mobbt dich auch niemand? Hast du Stress zu Hause? Ich bitte sie ... Meine Mutter war Psychologin. Glauben sie, dass ihr langweiliges  Gesülze irgendwas bringen wird?" Nun zieht sie eine Augenbraue hoch, spitzt ihren viel zu rot geschminkten Mund und fragt:"War? Was ist mit deiner Mutter?" sie beugt sich nach vorn und sagt leiser:"Sie ist tot .... und sie auch bald, falls sie nicht in Erwähgung ziehen, diesen ganzen Mist für Heute zu beenden."
Die ältere Ärztin nickt mit einem gefassten Blick, doch innerlich erschaudert sie. Dieses Kind hat einen Blick, als habe sie schon genug erlebt, dass der Tod schon nichts als ein Umgangswort für sie geworden ist.
Dann steht sie einfach auf und lächelt wieder süß, wie sie es immer tut:"Ich danke ihnen. Nun werde ich mich verabschieden. Ich hoffe sie werden keine weiteren Zwischenfälle haben."

He Called Me DaughterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt