(30) Überleben? Läuft! Higgins retten? Läuft! Liebe? Läuft... (schreiend davon)

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Ich musste mich einfach nur umdrehen. Nur wenige Meter hinter mir befand sich der Ausgang. Aber diese paralysierende, mich zerfressende, überwältigende Angst hinderte mich daran, mich auch nur einen tausendstel Millimeter von der Stelle zu bewegen. Es war, als hätte man mich auf dem Boden festgeklebt, während ich wimmerte und plötzlich wieder ein kleines Mädchen war, das in dem lauten Knistern, dem gleißenden Flammenmeer und der stickigen Luft nichts tun konnte, außer regungslos zuzusehen. Vor meinen Augen erschienen die Bilder der brennenden Wohnung meiner Familie. Ich hörte meinen Bruder schreien und mein eigenes, kleinkindliches Wimmern durch den Flashback, der über mir einbrach. Es war wie zum schlimmsten Erlebnis meiner Vergangenheit. Mit dem Unterschied, dass diesmal kein Alexander da war, um mich zu retten.

Ich konnte nichts im Hier und Jetzt mehr wahrnehmen. Nicht, wie ich weinte, nicht, wie laut Higgins Bruder wurde und nicht, wie neben mir ein brennender Balken herabkrachte. Stattdessen versank ich in diesen schrecklichen Erinnerungen und hörte nur noch das furchtbar laute Knistern von brennendem Holz. Es stellte sich als falsch heraus, anzunehmen, dass meine Reaktion auf Feuer durch die Erlebnisse der letzten Tage besser geworden wäre. Nein, das Gegenteil war der Fall. Sie war noch viel furchtsamer geworden. Aber in der Rangliste meiner möglichen Todesursachen stand ‚Feuer' ganz oben, dicht gefolgt von ‚Autounfall' und ‚Mord durch rachsüchtigen Liam'.

Jemand zerrte an mir, doch ich war viel zu sehr in meinen schrecklichen Erinnerungen gefangen, um irgendetwas mitzubekommen. Weder, wie erneut ein Balken brach, noch, wie zu allen Geräuschen auch nahende Hubschrauber und die nebenan aufgeregt mähenden Schafe hinzukamen. Ich bemerkte nicht mal annähernd, wie Liam mich anschrie, packte und schließlich unsanft über seine Schulter warf und im Rekordtempo aus der Scheune beförderte, geschweige denn, dass das ganze Gebilde im nächsten Moment in sich zusammenfiel und Liam mit mir in den Wald rannte. In meiner Trance konnte ich noch nicht einmal sagen, wie viel Zeit bei all diesen Ereignissen vergangen war. Ich kam erst wieder zu mir, als Liam mich schließlich völlig atemlos von seiner Schulter auf dem Waldboden absetzte und die alten Erinnerungen vor meinen Augen sich langsam lichteten.

Statt der ohrenbetäubend knisternden Flammen hörte ich nun das Rascheln von Laub, Liam, der nach Luft schnappte, und über uns den auf die Baumkronen prasselnden Regen. Während meine Wangen eben noch geglüht hatten, fror ich jetzt plötzlich schrecklich. Das einzige, was sich nicht veränderte, war mein Zittern, die Tränen, die mir über die Wangen liefen und mein rasendes Herz, das vermutlich sogar Liam klopfen hörte. Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich mich schluchzend in Liams Arme geworfen und er hielt mich schützend fest. Wir standen bestimmt eine Ewigkeit einfach nur aneinandergeklammert da, auch wenn mein Zeitgefühl gerade nicht einsatzfähig war. Ich ließ erst zu, dass er mich loslassen durfte, als ich mir sicher war, dass ich nicht mehr heulte und mein Herz nur noch durchdrehte, weil er anwesend war und nicht mehr wegen den Erlebnissen. Nicht mehr hauptsächlich zumindest.

Verlegen wischte ich mir mit der Handfläche über die Augen, während Liam mich sanft auf die Stirn küsste. „Tief durchatmen, es ist alles gut. Ich bin da. Ich hab dir versprochen, auf dich aufzupassen, Nina, und ich werde niemals zulassen, dass dir was passiert."

Seine Worte gingen mir so nahe, dass ich eine Gänsehaut bekam, aber ich schaffte es trotzdem, gleichzeitig zu schluchzen und zu lachen. „Sowas lahmes kannst auch nur du labern, Liam."

Wenigstens war Liam immerhin noch so geschockt, dass er mitlachen konnte, mich kopfschüttelnd umarmte und in mein Ohr flüsterte. „Du bist echt - unglaublich! Jedes normale Mädchen würde mir dankbar um den Hals fallen und mich ein bisschen als Lebensretter anhimmeln! Aber wenn du das machen würdest, müsste ich mir ja Sorgen machen."

Grinsend lehnte er seine Stirn an meine und wir schauten uns lange in die Augen, bis wir beide wieder genug zu Atem gekommen waren, um endlich in einen Kuss zu verfallen, der mir förmlich die Sinne raubte. Liams Lippen, seine nach wie vor erschöpft auf- und absinkende Brust und seine mich fast schon beschützend haltenden Hände gaben mir endgültig den Rest, und das erste Mal in meinem Leben gaben meine Knie kurz nach und ich wäre beinahe auf den Boden gefallen, wenn Liam mich nicht schnell wieder nach oben gezogen hätte. er hielt mich besorgt.„Ist alles gut? Oh, verdammt, der Schock, du bist bestimmt noch traumatisiert, Mist, vielleicht hast du eine Rauchvergiftung, wir müssen-"

(N)One DetectionWhere stories live. Discover now