(10) Habe mein Leben überdacht. Jetzt regnet es nicht mehr rein.

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Irgendwie hatten mir Agententhriller und James-Bond-Filme eine falsche Vorstellung davon verschafft, wie es war, unterzutauchen. Dort verschwanden die Leute in spektakulären Locations, trugen Designerklamotten, machten denkwürdige Sprüche und außerdem trafen sie sich mit anderen Leuten im Untergrund, die voll lässig und einfach mal endcool waren.

Ein Film über unsere Truppe wäre wohl nicht mal mit Daniel Craig als Paul Higgins spannend gewesen. Wir saßen jetzt nämlich seit unserer Ankunft in diesem seltsamen Büroraum fest und taten so ziemlich nichts, wenn man vom Austauschen böser Blicke und Gähnen mal absah. Naja. Und von Louis und Harry, die auf Bürostühlen ihre Kreise drehten. 

Und von dem Nervkollegen, der direkt neben mir saß und lautstark einen Apfel verspeiste. Boar, das war so anstrengend, das gab mir gleich noch einen Eintrag für meine „Warum ich Menschen umbringen würde"-Liste! Hatte ich bereits erwähnt, dass ich ihn hasste?

Ich saß eingekeilt zwischen Higgins und dem Mitarbeiter am Schreibtisch. Die drei Fünftel der Band, die nicht gerade auf Schreibtischstühlen ihre Kindheit nachholen mussten und mit Linealen fochten, hatten sich in die Zimmerecke auf den Teppichboden gesetzt, gegen die Wand gelehnt oder gleich gelegt und standen kurz vorm wegdämmern. Anscheinend waren sie schon die gesamte Nacht unterwegs gewesen, und zwei von ihnen hatten versucht, ihre Müdigkeit mit einem Energydrink zu bekämpfen. Das Ergebnis sah man ja jetzt. 

Der andere Topgeheimmissionsmitarbeiter, den ich liebevoll Fahrertyp nannte, war mit einem Auftrag verschwunden. Übrigens waren ich, Higgins, Fahrertyp und David Beckham die einzigen, die mit untertauchen durften.

Also, nicht der David Beckham. Während ich gedanklich die Besetzungsliste für die Verfilmung der Undercoveraktion festlegte, fiel mir eben auf, dass Mitarbeiter Nummer 3 eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Fußballer aufwies, und deshalb nannte ich ihn so. Der war sowieso total auffällig. Neben seiner Vorliebe dafür, Äpfel mit der Lautstärke einer Kettensäge zu zermalmen, war er auch von der Statur anders als der Rest von Higgins Lemmingen. Die Teamleute waren in der Regel die Herkulessorte von Mensch, vollbepackt mit Muskeln und mit der Statur von überdurchschnittlich fülligen Türstehern. Naja, und das Beckham-Double war im Vergleich dazu ein Strohhalm. Also, er war auch durchtrainiert, aber neben Fahrertyp und Higgins ging er unter. Trotzdem war er von allen im Raum am gefährlichsten, hatte die beste Agenten-Ausbildung genossen und stammte von der alliierten Sicherheitsfirma paon, mit der Higgins All Star Security Truppe wegen der Alpha Verschwörung zusammenarbeitete. Noch dazu hatte er diese Überlegenheits-Aura, als wäre er zu cool für die Welt und unsere Undercover-Aktion sowieso. Vielleicht musste er seine Trauer darüber an unschuldigen Äpfeln auslassen? Mit aufgerissenen Augen sah ich ihm dabei zu, wie er den Apfel inklusive Kerne, Stiel und dem ganzen Zeug, das man normalerweise übrigließ, hinunterschlang. Hui. Von dem würde ich mich besser mal fernhalten.

Da Louis und Harry gerade lautstark versuchten, den jeweils anderen vom Stuhl zu schubsen, und die anderen Jungs sich in ihren Kapuzen eingekuschelt hatten und Kopfhörer trugen, konnte Higgins mit den einzig fähigen Leuten in diesem Raum reden und unsere Aufgaben besprechen, ohne dass jemand etwas mitbekam. Er hatte schon eine Weile herumtelefoniert und auf einem Tablet irgendwelche Nachrichten gecheckt, allerdings ohne positives Ergebnis. Seufzend betrachtete er seine Schützlinge, also, bessergesagt Louis, der kurz davor stand, samt Drehstuhl umzukippen. Jaja, Higgins hatte schon ein deprimierendes Leben, wenn er das da täglich aushalten musste. Andererseits musste ich das ab sofort auch. Sogar auf eigenen Wunsch hin. Wenn ich nach der Aktion hier keinen Psychiater brauchte, dann aber nur, weil ich sie nicht überlebt hatte.

Mein Boss flüsterte uns geknickt zu. „Alphas Leute schweigen natürlich, wir müssen sie laufen lassen." Ähm, wie bitte?

Mein Apfelumbringkollege verstand Higgins anscheinend. „Etwas anderes war ja auch nicht zu erwarten."

(N)One DetectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt