(N)One Detection

(28) So etwas wie Sinn suche ich in meinem Leben bisher vergeblich.

Immer, wenn ich so kurz davor stand, aufzufliegen, wurde ich plötzlich die abergläubigste Person dieser Welt. Ich rief nicht nur meinen Schutzengel um Rat, nein, auch gleich noch Karma, die Erdgeister und da es zum Land passte, flehte ich gedanklich spontan die irischen Kobolde um Beistand an. Im Ernst, ihr kranken Wesen, wenn ihr jetzt, in dem Moment, aus eurem Regenbogen geflogen kommt und das Auto anhaltet, dann werde ich euch ein fettes Goldopfer darbringen und nie wieder Witze über euch machen!

Ich stand aufgelöst an die Hausecke gepresst und rechnete fest damit, dass der nahende Wagen neben mir auftauchte, doch - tatsächlich – er hielt, bevor ich ins Sichtfeld kam! Na super, und welches von den vielen Fabelwesen, die ich um Hilfe angefleht hatte, war jetzt dafür verantwortlich? Jetzt musste ich mich bei allen bedanken, wie anstrengend war das denn bitte!

Dankenswerterweise konnte ich mich nicht weiter darauf konzentrieren, gedanklich durchzudrehen, da plötzlich eine herrische Damenstimme zu mir hinüberschallte, und was sie sagte, bereitete mir eine Gänsehaut. „Gut, hier ist niemand, Sie können aussteigen. Die Aktion Alpha wird jederzeit gestartet. Dann haben Sie endlich Ihren Plan erfüllt und können in Ihr neues Leben starten, Higgins."

Higgins? Higgins? Verdammt, mein Boss war also doch- Wie, um meine Gedanken zu bestätigen, zerstörte ein verdammt nerviges Piep-Geräusch die unheimliche Stille. Es kam aus meiner Jackentasche. Mein Pieper, den ich aktiviert hatte, wurde angepeilt - und verriet mich heimtückisch in meinem ohnehin unsicheren Versteck. Lautlos fluchend suchte ich meine Tasche nach dem Teil ab und schaltete es mit schweißnassen Händen aus, aber irgendwie war diese merkwürdige höhere Macht jetzt weiterhin auf meiner Seite und nichts geschah. Nur ich war ein einziges Nervenbündel und presste mich mit wild klopfendem Herzen gegen die Hauswand. Meine Güte! Dieses Glück im Pech (oder von mir aus auch er andersrum) war echt mein ständiger Begleiter! Die Kobolde würden eine ganze Wagenladung Gold bekommen, wenn sie wirklich dafür verantwortlich waren, das schwor ich mir feierlich.

Nervös schob ich mich wieder an die Ecke der Halle, um behutsam herumzuschielen. Man könnte meinen, ich wäre lebensmüde, aber es stellte sich wirklich als gute Entscheidung heraus. Denn mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als Higgins nirgends zu sehen war. Nur ein bulliger, grob aussehender Mann mit leicht grauen Haaren, Bartstoppeln und sichtbaren Tattoos im Nacken, der befremdet die blonde, durch einen straffen Pferdeschwanz noch strenger wirkende Frau ansah. Ich tat es ihm gleich, denn sie strahlte so eine Autorität aus, dass man gar nicht anders konnte, als sie unweigerlich anzugaffen. Bestimmt war sie um die 45, doch soweit ich das sehen konnte unheimlich faltenfrei und ihre kurzen Haare nicht mal ansatzweise grau. Sie checkte mit ihren knochigen Fingern ein Tablet und war ähnlich gekleidet wie die ganzen Alphaleute, nur irgendwie spürte man durch ihr superagentenhaftes Benehmen, dass sie eine höhere Position innehatte ... und ich spürte, dass ich sie hassen würde. Ihr knochiger Finger zeigte auf den Mann und ihre Mundwinkel verzogen sich leicht.

„Gleich ist es vorbei. Da wir endlich wissen, dass Ihr Bruder in Irland untergetaucht ist, macht unser Plan sogar noch viel mehr Sinn. Sie locken ihn einfach in die Falle und den Rest übernehmen wir. Unsere Verstärkung trifft später ein, aber keine Sorge, trotz der wenigen Zeit, die wir hatten und obwohl wir so spontan nach Irland aufgebrochen sind, kann nichts schiefgehen. Alles ist perfekt."

Meine Augen hatten jetzt in etwa die Größe von Tennisbällen. Oh Gott, das war Higgins Bruder, den ich als Alpha im Verdacht hatte. Stopp mal – er war gar nicht Alpha, diese Frau war das! Der andere, böse Higgins hatte hier eindeutig nichts zu sagen und wirkte eher ein wenig verloren. Also war Alpha eine Frau! Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber ich hatte mir Alpha immer als alten, bärtigen Mann mit gruseligem Albinotier vorgestellt, das er streichelte, während er sich in seinem Bürostuhl drehte und schurkenmäßig lachte ... und die hier war einfach mal eine durchtrainierte Frau mit einem Botoxproblem und gruseligen Eisaugen. Enttäuschend. Aber vielleicht versteckte sie ja einen coolen Albinopfau im Auto.