20. Die Marionette

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Ich bin ein Engel, der schon viel zu tief gefallen ist... Jetzt kann es doch nur noch bergauf gehen, oder? Nur befinden sich leider auf dem Weg zum Gipfel so viele Gefahren, die man überqueren muss... Man kann immer wieder abrutschen.

Der Sonntag hier beginnt entspannend. Die fünf täglichen Essenszeiten - Frühstück, Mittagessen, Abendessen und Zwischenmahlzeiten - werden alle um eine Stunde am Wochenende zurückverschoben. Besser wäre es, sie wären gleich ganz ausgefallen...

Und es ist kaum zu glauben: Meine Therapeutin hat mich doch tatsächlich auch in die Film-AG angemeldet! Es sei scheinbar gut für mein Selbstbewusstsein...

Heute findet sie zum ersten mal statt. Nach der Zwischenmahlzeit I gehen ich, drei Mädchen und zwei Jungen aus der Jugendstation hinaus und suchen den entsprechenden uns vorgegebenen AG-Raum - auch Sarah ist dabei. Unsere Beziehung ist aber in letzter Zeit ein wenig still geworden... Als wir den Raum finden, klopfen wir an.

Eine Frau mit knallrotem zersausten Haar und einem frechen Lächeln öffnet uns. "Kommt rein," lädt sie uns erfreut ein.

Drinnen stehen viele Requisiten herum. Keine Kameras, aber Möbel, Wäsche etc... "Hallo! Ich bin die Frau Rudolf", grüßt sie und wirft einen Ball, den sie gerade in die Hand genommen hat, weiter zu mir: "Und wie heißt ihr?" "Ich bin Lara", sage ich und werfe weiter. Jeder stellt seinen Namen vor. "Gut, in der zweiten Runde erzählt jeder mal etwas über sich, was er so macht... Seine Hobbys halt. Also ich organisiere ja, wie ihr bereits wisst, die Film-AG. Privat schreibe ich auch Bücher." Nachdem wir auch das getan haben, erzählt sie weiter: "So. Ja, dann wäre das auch schon mal erledigt. Was meint ihr wäre denn wichtig, um einen Film drehen zu können? Es ist ja ein wenig ähnlich mit einem Theaterstück, wenn man so ein wenig darüber nachdenkt..." Einige melden sich. "Schauspieler?" "Regisseure?" "Das Drehbuch?" "Genau darauf habe ich gewartet! Eure Aufgabe ist es nun mit diesen paar Stichwörtern, die ich euch gleich vorgeben werde, eines zu schreiben. Ich schreib sie an die Tafel. Ihr könnt die Laptops schon mal anmachen!" Sie fasst für uns kurz noch zusammen, was man beim Schreiben eines Drehbuchs sonst noch so beachten muss, während wir sie anschalten. Auf der Tafel erscheinen sogleich folgende Wörter: Verrückter Professor, wissenschaftlicher Versuch, Fehlschlag. Frau Rudolf kommt danach zu jedem und zeigt uns, wie man das Schreibprogramm öffnet. Nun liegt es an uns. Kurz sammel ich in meinem Kopf ein paar Ideen zusammen und ordne das Gedankenwirrwarr sorgfältig. Dann beginne ich zu schreiben...

Szene 1
Professor startet Versuch; er geht schief.
Professor: Ach du meine Güte! Nicht schon wieder!
Er hustet, ein Nebel ist aufgekommen. Als er langsam wieder verblasst, sieht er ein tot aussehendes Kind auf dem Boden.
Professor: Mist.
Kind: Wo bin ich...?
Professor: Was war das?! Hat es eben gesprochen?
Beide schauen sich entsetzt an.
Professor: Du meine Güte! Ich muss dich wohl erschaffen haben - ich glaub es einfach nicht! Niemand sollte von dir erfahren. Sie würden mich umbringen, wenn sie erfahren würden, was ich aus einem stark an Hypotonie leidenden ohnmächtig gewordenen Mädchen gemacht habe! Sie sieht aus wie eine Puppe!
Kind: Wer bist du?
Professor: Ähm...? Hörst du mich? Verstehst du mich? Steh auf!
Kind tut, was der Professor befiehlt. Er ist beeindruckt.
Professor: Das ist ja toll!
Er testet, ob sie willkürlich jedem Befehl gehorcht und wertet diesen Versuch als positiv aus.
Professor (schmunzelnd): Du wirst meine Marionette sein.
Szene 2
[...]

Die Film-AG endet nach eineinhalb Stunden, viel zu früh. Frau Rudolf verspricht uns dafür, dass sie jedes einzelne Drehbuch durchlesen werden würde. Na, da bin ich aber mal gespannt.

Den Tod vor Augen (Magersucht)On viuen les histories. Descobreix ara