15. Verschwunden

1.4K 81 4
                                    

Draußen zirpen Grillen. Es ist mittlerweile schon recht spät geworden. "Wann gehst du normalerweise ins Bett?", will Sarah wissen. "Das willst du nicht wissen", antworte ich ehrlich. "Doch, ich will!", protestiert sie. "Das klang eben irgendwie wie so ein Heiratsantrag...", meine ich scherzhaft. Sie bricht kurz darauf in Gelächter aus. "Ja ja...", stöhne ich lächelnd, als plötzlich jemand an unserer Tür klopft. Es ist die Nachtwache. Nachdem sie die Tür öffnet und zu uns reinlukt, erkenne ich sie sofort wieder. Es ist Astrid, eine etwas ältere Dame. "Bitte leiser, Mädels! Ab sofort ist Nachtruhe." Okay. Sie macht wieder zu und lauert da draußen weiter. Sie passt auf, dass wir höchstens mal aufs Klo und dann wieder zurück ins Zimmer gehen. Kein Spaß gönnt sie uns. Das ist nun mal ihr Beruf.

"Hast du schon mal an so etwas wie Flucht gedacht?", frage ich Sarah im Flüsterton. "Was? Spinnst du?", flüstert sie zurück. "Ja." Jetzt hat auch sie es mal bemerkt. "Nein!" "Doch!" "Und wie sollte das überhaupt funktionieren? Ich meine, wie willst du das machen?" "Sieh nach oben", schmunzel ich hinterlistig. Mein Finger kreist dabei zielgerichtet Richtung oberes Fenster. "Da?" "Ja, da." Sie sieht hoch, dann zu mir. "Wie...?" "Ich zeig es dir." Ich kletter die Leiter hoch, steig in mein Bett und öffne das Fenster noch einen kleinen Spalt größer. "Bist du dumm?" "Vielleicht." Vielleicht bin ich das wirklich, aber das wird mich nur umso mehr unterstützen das zu tun. Ich stelle meinen linken Fuß unter dem Fenster ab und lehne mich mit den Händen nach vorne. Ich bin halb draußen. Nun folgt noch die andere Häfte. Mit einem Schwung fall ich raus auf die andere Seite. Ich bin draußen. "Bist du verrückt? Geht's dir noch gut?", schreit sie von drinnen. "Ja, mir geht es gut", antworte ich etwas gereizt und schlage eine Mücke von meinem Arm ab. Blödes Viech. Ich befinde mich vor unserem Zimmer der Station in einem zur Zeit beängstigend dunklen Park. Eine Rabe kräht aus der Ferne. Der Mond belichtet die Wege hier leicht mit seinem finsteren Strahlen. Erst jetzt beginne ich zu verstehen, wie sie die Frage wirklich gemeint hat. "Nein, dir scheint es nicht mehr gut zu gehen! Du bist vollkommen durchgeknallt! Dich sollten sie in den Überwachungsraum schicken!" Oh nein, bloß nicht der Überwachungsraum! Dort müssen wirklich nur Ernstfälle hin. "Ach, sei doch still." Sie starrt mich an. Zunächst erstaunt, dann böse. Mir ist es egal. Ich verschwinde in der tiefschwarzen Nacht hinter mir... Nur der sanfte Wind flüstert mir noch nach.

Den Tod vor Augen (Magersucht)Onde as histórias ganham vida. Descobre agora