23. Vernebelt

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Eine Woche ist längst vergangen. Heute ist wieder Montag und die Film-AG hat soeben begonnen.

"Ich habe versucht von jedem Drehbuch ein wenig ins Originale hineinzupacken und ihr alle hattet wirklich super Ideen gehabt! Ganz besonders gut - und das muss ich jetzt wirklich erwähnen - ist die Idee von Lara gewesen." Alle sehen mich überrascht und lobend, aber zum Teil auch ein wenig neidisch an. Peinlich. Am Ende meines Drehbuchs hat die Puppe, die vorher eine ganze Weile lang in Büchern des Professors heimlich studiert hat, ihn wortwörtlich zu ihrem Versuchskaninchen gemacht. Das Schicksal hat sich gewendet. "Heute werden wir mit den Dreharbeiten anfangen. Filmmusik haben wir ja schon. In etwa einem Monat sollte dann auch schon der Film fertig sein. Ich werde dann einen Elternabend organisieren, bei welchem wir ihn uns alle anschauen werden! Ladet eure Eltern, Verwandte und Freunde ruhig alle ein! Je mehr kommen, umso besser!" Nach dieser Ansage schreibt Frau Rudolf alle verfügbaren Rollen an die Tafel. Ich bekomme am Schluss eine, die auch viele andere gerne gehabt hätten: Die Marionette.

Szene 1. Frau Rudolf hat zu unserem Glück den Raum schon passend eingerichtet, sodass wir jetzt proben können. Den Text auswendig zu lernen wäre ihrer Meinung nach unsinnig gewesen, deswegen wird er neben der Kamera so hingehalten, dass er nicht gefilmt, aber von den jeweiligen Schauspielern gelesen werden kann. Mit einem professionellen Programm wird sie zu Hause noch Special Effects hinzufügen, Sachen wie den Nebel zum Beispiel.

"Lauter, bitte!" Das geht an mich. Obwohl die Rolle aufgrund meiner ruhigen Art gut zu mir gepasst hat, rede ich dennoch nicht laut genug für sie. Ich probiere mich zu verbessern und eine aufrechtere Haltung einzunehmen. Da niemand mehr etwas zu mir sagt, deute ich die eben vorgenommene Änderung als positiv. Das ist gut.

Nach den viel zu schnell vergangenen eineinhalb Stunden gehen wir gut gelaunt und inspiriert zurück in die Jugendstation. Meine Laune heute könnte definitiv nichts mehr verderben. Abends schlafe ich so fest und tief, dass ich nicht einmal etwas träumte...

Am nächsten Tag ging der Vormittag ruckzuck herum und Papa ist in der Besucherzeit zum zweiten mal zu mir gekommen, was mich jetzt sehr erfreut! Dieser bringt mir nämlich interessante Informationen herbei: Er erzählt mir, dass er versucht hätte aufzuhören, aber er hat natürlich sofort bemerkt, dass das nicht so einfach ginge. Also hat er sich vorgenommen jeden Tag ein bisschen weniger zu rauchen. Das heißt, langsam statt abrupt aufzuhören. Die Idee seines Konzepts finde ich gut. Nun bleibt nur noch die Frage offen, wie groß die Gefahr für Rückschläge hierbei ist. Er meint, bisher lief bei ihm alles gut...

Also gut. Ich zeige ihm ein wenig später einige Mangas, die ich in der Zwischenzeit gezeichnet habe und er ist mehr als begeistert von ihnen gewesen! Er meint, ich hätte richtiges Talent und aus mir könnte noch was werden! Ich sollte auf jeden Fall weitermachen, nie aufhören. Ich war ihm wirklich dankbar für sein Lob - ohnehin hätte ich ohne ihn gar nicht erst damit angefangen! "Ach Papa!", fällt es mir plötzlich noch ein: "Hast du Lust einen Film, den wir zur Zeit gerade drehen, irgendwann einmal anzuschauen?" "Klar!", ruft er unverzögert. "Toll! Also in etwa einem Monat sollte er fertig sein." "Kommt Mama auch?" Ich überlege kurz, was ich darauf antworten soll... "Nein." "Echt? Okay... Dann werde ich wahrscheinlich dabei sein." Ich strahle ihn mit glänzenden weißen Zähnen freudig an. Er strahlt, auch wenn nicht ganz so schön, zurück. Ich bin so stolz auf ihn und froh, einen so tollen Vater wie ihn haben zu dürfen!

Abends zur Telefonzeit ruft Mama mal wieder an. Ich lade auch sie herzlichst ein - wenn sie nur wüsste... Ihr ist genauso wie meinem Vater praktisch die Sicht vernebelt.

Den Tod vor Augen (Magersucht)حيث تعيش القصص. اكتشف الآن