10. Unheilbar

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Die Tür ist zu. Feelings are on. Meine Kopfhörer spielen mir depressive Musik vor, während ich an meinem Tisch sitze und mich versuche allein auf das Bild zu konzentrieren, was ich gerade male. Es war eine Hausaufgabe von Frau Bauer, mal ein normales Mädchen, evt. auch mich selbst zu zeichnen. Normal sollte sich natürlich aufs Gewicht beziehen... Der Kopf ist fertig. Jetzt kommt der Körper. Zuerst der Bauch... Zu dünn, zu dick, wieder zu dünn... Wieder muss ich nochmal die Hälfte weg radieren. Ich habe echt keine Lust mehr! Das Bild wird nie fertig werden! Die Augen sind eh nicht gleich groß und die Haare sehen aus wie Stroh! Da sahen die Kinderbilder noch besser aus! Wieso können die es alle und ich nicht? Ich verstehe das nicht. Die Welt ist so groß und ich bin doch nur ein winzig kleiner Punkt auf ihr... Oh. Mein Handy ist plötzlich aufgeblinkt. Oha. Kelvin hat mir geschrieben!

"Treffen um 17 Uhr bei deinem Teich?"

Ich starre die Nachricht verdutzt an. Was will er?

"Okay."

Da kommt er, dieser Junge. Als er mich sieht, beeilt er sich noch etwas schneller. Ich warte schon lange hier, aber es macht mir nichts aus. Ich bin gerne hier.

"Danke, dass du nicht abgesagt hast! Hätte ich echt nicht gedacht!" "Kein Problem. Was soll ich denn sonst den ganzen Tag so tun?", lächel ich. "Vokabeln lernen?" "Ach, hör doch auf!", antworte ich ihm spaßig lachend. "Ähm... Ja. Ich wollte mit dir eigentlich nur nochmal ein wenig reden..." "Worüber?" "Darüber." Man. Ich atme tief durch: "Du hast dich echt verändert. Früher hast du dich nicht so wie jetzt für mich interessiert." "Habe ich auch nicht. Ich dachte, du willst nichts mit anderen Leuten zu tun haben", meint er. "Nein!", schrei ich laut aus und erschrecke mich selbst darüber. "Nein...", wiederhol ich es nochmal ruhiger: "Da war nur... Ich war nur... Es war nur..." "Hast dich nicht getraut, was?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Findest du mich erst jetzt besonders, nachdem du das weißt?" "Nein!", entfährt es ihm. Wieder zucke ich zusammen. Wie kann man nur so frei reden? "Ich habe dir übrigens etwas mitgebracht..." Er holt aus seiner Hosentasche einen Schokoriegel hervor. "Für dich." Ich nimm es zögerlich an und danke ihm unwillig. "Wenn du willst, nimm ich dir nächstes mal auch zwei mit. Magst du irgendeine besondere Sorte?" Also wenn er sich mit mir nur zum Fressen treffen möchte, kann er auch gleich zu Hause bleiben! "Ach, das ist doch jetzt schon zuviel... Also ich meine, dass du das doch gar nicht hättest tun müssen!" "Ich finde, du hast mehr in deinem Leben verdient für soviel, was du uns gibst." Das habe ich jetzt nicht verstanden. "Hä?" "Weißt du nicht, was ich meine? Es ist einfach schon schön, wenn du da bist! Noch schöner ist es aber, wenn du lachst. Und am aller schönsten ist es, wenn du mit uns lachst." "Oh man, dass ist echt... Süß." Warum sagt er sowas zu mir? Ich bin es doch gar nicht wert, mit ihm zu reden - schon gar nicht so!

Wieder kommt diese Vorstellung zurück: Wie er mich umarmt... Warm und sicher... Beschützend... Braucht er mich?

Der Gedanke platzt.

"Ich bitte dich, tu, was die Ärzte sagen..."

Auf wessen Seite bist du eigentlich? Meiner definitiv nicht.

"Ich versuch es." Warte. Habe ich das eben wirklich gesagt? Was habe ich ihm da eigentlich gerade versprochen?

Und er umarmt mich.

Den Tod vor Augen (Magersucht)Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz