Kapitel 41 [überarbeitet]

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Es hatte geschneit. Eine weiße Decke hatte sich um die Welt gelegt und die Geräusche gedämpft. Die Vögel waren leiser geworden, versuchten ihre Energie zu sparen und sich warm zu halten unter ihrem dicken Gefieder, während die restlichen Waldbewohner darum bemühten Fressen zu finden.

Aus meinem Mund traten kleine Atemwolken. Ich sah hinab auf den dunklen See. Eine kleine Kruste aus Eis hatte sich darübergelegt, reflektierte die schwachen Strahlen der Sonne die sich mit einer großen Hartnäckigkeit durch die dünne Wolkendecke kämpften.

Ich hörte wie sich Schritte näherten. Sie waren leise und leicht und kaum zu hören, schienen über den Boden zu schweben.

Serena.

Ohne ein Wort zu verlieren legte sie mir einen dicken Mantel um den Körper und stellte sich dann neben mich. Ihre ruhige Anwesenheit strahlte auf mich ab. Mein in letzter Zeit so schneller Herzschlag beruhigte sich langsam.

„Er ist noch immer nicht wieder aufgetaucht", sagte die Urwäldlerin irgendwann. Ich drehte meinen Kopf zu ihr und betrachtete sie. Das schmale Gesicht mit den golden glitzernden Augen. Sie hatte sich die langen roten Harre zu einem hohen Pferdeschwanz geflochten, in dem immer wieder kleine Federn durchblitzten.

„Ihr solltet aufhören nach ihm Ausschau zu halten", erwiderte ich ruhig. „Sein Verschwinden war meine Bedingung ihm zu helfen."

„Ihr habt einen guten Krieger verbannt", bemerkte Serena nun und wandte sich ebenfalls mir zu. Nun sahen wir uns gegenseitig in die Augen, und obwohl sie größer war als ich hatte ich nicht das Gefühl, dass sie mich als klein darstellte.

„Ich habe mich vor weiteren Lügen beschützt", korrigierte ich die rothaarige Frau. „Troy hat mit seiner Rettungsaktion mehr Leben riskiert als ich aufzählen möchte."

Ich sah wieder zurück auf den See. Als Kinder waren mir manchmal mit meinen Eltern an einen See gefahren und Schlittschuh gelaufen. Ich erinnerte mich an unsere aufgeregten Schreie und das Geräusch der Kufen, wenn sie über das gefrorene Wasser schlitterten.

Es war drei Tage her, seitdem ich Troy konfrontiert und somit seine Schwester und Flynn zurückgebracht hatte. Heute war der erste Tag an dem ich es geschafft hatte wieder alleine aufzustehen. Als ich das erste Mal aufgewacht war hatte ich gedacht, ich wäre gelähmt. Beim zweiten Mal war ich mir sicher gewesen und beim dritten Mal hatte ich damit begonnen, mir voller Wut mit der Faust in den Oberschenkel zu schlagen in der Hoffnung, endlich wieder etwas zu spüren. Noch immer hatte ich große, dunkle Flecken.

Serena maß regelmäßig meinen Pulsschlag, der nur in den seltensten Fällen den Normalwerten entsprach. Das Fieber und die Krampfanfälle waren glücklicherweise nach dem ersten Tag verschwunden, wobei ich gerne sagen würde, dass ich mich daran kaum erinnerte. Wahrheit war jedoch, dass ich noch jeden Fiebertraum vor mir sah, jeden Schrei in meinen Ohren hörte und meine Muskeln immer noch spürte, wie sie sich zusammenzogen und meinem Körper jegliche Kontrolle nahmen.

Um dem Husten vorzubeugen nahm ich jeden Morgen, Mittag und Abend einen Löffel Honig. Flynn, dem es gut ging, hatte mir aus zwei langen Stöcken Krücken gebaut, nachdem das erste Kribbeln meine Oberschenkel entlanggekrochen war. Nun lagen die langen Stücke Holz hinter mir Gras, wehrte ich mich immer öfter dagegen sie dauerhaft bei mir zu tragen.

„Nina geht es nicht gut" sagte Serena. „Troy ist intelligent, aber er weiß nicht wie er sie wieder gesundmachen kann. Die Zwillinge müssen zurückkommen wenn sie wollen, dass sie lebt."

Ich dachte einen Moment lang nach. Ihr hörte Ninas Stimme in meinem Kopf, wie sie mich anflehte sie in der Welt der Pflanzen zu lassen und stattdessen ihren Bruder zu retten. Ich hatte nicht auf sie gehört. Noch lebte Troy, aber keiner von uns wusste für wie lange der Wald auf sein Opfer verzichten würde. Bis klar war, dass Nina überlebte? Bis der Krieg gewonnen war?

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt