Kapitel 29 [überarbeitet]

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Ich holte meinen Rucksack und zusammen liefen wir in Richtung Hirschställe. Clara starrte nun still über Ethans Schulter nach hinten auf das einsame Grab ihrer Mutter. Nichts deutete darauf hin, dass sich unter dem großen Baum eine Waldläuferin befand. Eine Freundin, eine Ehefrau – Claras Mutter. Während ich mir Claras nun so matte blaue Augen ansah wurde mir bewusst, wie viel Bree für mich getan hatte. Sie hatte mich aufgenommen, in vielen Dingen erzogen und zurechtgewiesen. An anderen Tagen war sie einfach nur da, tröstete und trocknete meine Tränen.

Als ich aufschluchzte sah Ethan kurz zu mir herüber, sagte aber nichts.

Wir kamen verspätet bei den Ställen an und wurden langsamer. Alle meine Sinne waren geschärft, lagen blank da und reagierten auf die kleinsten Bewegungen und Geräusche die ich wahrnahm.

Ethan setzte Clara ab. Das Mädchen sank einfach auf den Boden, als habe sie keine Muskeln in den Beinen, und starrte weiter zurück in den Wald.

Der Waldschauer zog vorsichtig einen Pfeil und spannte seinen Bogen. Vorsichtig bedeutete er mir, still zu sein. Im Schatten der Bäume blickte ich wieder auf die Lichtung. Alles schien ruhig zu sein. Keine Spur von Hailey oder Shay oder sonst irgendjemandem. Ich sah zu den Baumhäusern, doch mein Blick wurde versperrt durch das Dach der Stallung.

Ethan stieß mich an, deutete auf Clara und sah dann zurück auf die Lichtung. Ich verstand. Langsam beugte mich herab, darauf achtend, kein Geräusch von mir zu geben. Denn jetzt hatte auch ich gesehen, was der Waldschauer bemerkt hatte. Drei Gelbe saßen hoch oben in den Bäumen, verrieten sich einzig und allein durch ihre stechenden Augen. Sie konnten uns nicht bemerkt haben, wir waren zu leise an sie herangetreten und wurden versteckt durch das dicke Laub. Doch sie wussten, der einzige und direkte Weg war über die Brücke, die über die große Koppel der Hirsche führte die nun leer war.

Ich beugte mich hinab zu Clara, hob mit zwei Fingern vorsichtig ihr kleines Gesicht Ihre Augen waren rot und ihr Atem zitterte.

„Hör mir zu", flüsterte ich nahe an ihrem Ohr, sodass nicht einmal Ethan mich verstehen konnte.

„Wir müssen zu den Anderen. Ich habe deiner Mama versprochen auf dich aufzupassen. Wirst du mit mir kommen?"

Die Frage überrumpelte Clara, sie war nicht darauf vorbereitet gewesen heute mit mir abzureisen. Doch ich sah, wie es in ihrem kleinen, intelligenten Köpfchen begann zu arbeiten. Ihr Blick war immer noch undurchdringlich, aber sie sah mich an und hielt den Augenkontakt, was ich als gut wertete. Also sprach ich einfach weiter.

„Es wird schwierig werden. Oben in den Bäumen sitzen Gelbe und wir müssen von hinten an den Stall. Dort drin sind die Anderen." Ich deutete auf das große Gebäude und sie folgte der Spur meines Zeigefingers.

„Es gibt eine einzige Möglichkeit, um nicht von den dreien entdeckt zu werden. Wir müssen um die gesamte Koppel rechts herumlaufen. Das wird einige Minuten länger dauern als der normale Weg und wir wissen nicht, ob da noch weitere Gelbe sitzen, aber es ist momentan unsere eigene Möglichkeit. Verstehst du mich, Clara?"

Sie hob ihren Kopf. Senkte ihn langsam wieder. Bei der Erwähnung unserer Feinde war sie zusammengezuckt und Tränen liefen ihr über die Wangen, so als habe man einen Wasserhahn aufgedreht. Kein Ton drang aus ihrer Kehle.

Ich sah hoch zu Ethan und nickte. Vorsichtig machte er zwei Schritte zu uns, entspannte den Bogen und bückte sich hinab zu Clara.

„Komm", flüsterte er und hielt ihr die Hand hin. Das Mädchen sah auf zu dem großen Mann. Still beobachtete ich die Situation, musterte die beiden engelsgleichen Gesichter und horchte auf das Rauschen meines Blutes in den Ohren.

Die WaldläuferWhere stories live. Discover now