Kapitel 23 [überarbeitet]

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Stille hatte sich um Themba und mich gelegt. Im Schneidersitz saß ich vor dem großen Ahornbaum und betrachtete die unebene Rinde. Staub tanzte in der Sonne.

Meine Hände zitterten, doch ich hatte sie vorerst auf meine Knie gelegt und versuchte so den Drang wegzurennen zu unterdrücken. Wärme breitete sich von meiner Kette aus, so als wüssten die Geister genau, was ich vorhatte. In meinem Kopf rasten die Gedanken, einer nach dem anderen. Ich versuchte sie fest zu halten, doch jedes Mal wenn ich nur hinter einem her haschte, glitt er mir durch die Finger wie Sand und war verschwunden.

Die Wölfin saß neben mir, ihre hellen Augen ebenfalls auf den Baum vor sich gelenkt. Wir hatten schon eine Weile nicht mehr miteinander gesprochen. An ihren zuckenden Ohren bemerkte ich, dass sie auf jedes Geräusch lauschte das sie wahrnahm und ihre Nase zitterte manchmal, wenn jemand zu nah an die Tür herantrat. Jetzt noch konnte sie mich warnen, sollte die Meisterin oder einer ihrer Handlanger kommen. Doch sie musste mir helfen mit dem Freisetzen der Magie, und mit großer Wahrscheinlichkeit würde dabei ihre Aufmerksamkeit nicht mehr auf das Äußere gelenkt werden.

Owen war noch immer nicht da. Wahrscheinlich stritt er sich noch mit den Bewachern von Gabriels Leiche. Dafür hatten wir jedoch unseren zeitweiligen Beschützer, den Blätterkrieger, nicht abschütteln können. Ihm war es deutlich unangenehm, gegen die Befehle der Meisterin zu handeln, doch sollte mir etwas geschehen, wollte er nicht derjenige sein, der sich zuschreiben lassen musste es verhindert haben zu können.

Langsam hob ich meine Arme und nestelte am Verschluss meiner Kette herum, bis ich den Anhänger samt Band abgenommen hatte. Ich legte ihn in die Handfläche meiner rechten Hand.

Sag mir noch einmal, dass es gut gehen wird, flüsterte ich in meinem Kopf. Themba machte ein undefinierbares Geräusch und antwortete mir dann: Es wird gut gehen.

Themba wusste ebenso gut wie ich, dass ich noch nie in meinem Leben so eine große Kraft an Magie heraufbeschworen hatte. Selbst das Erscheinen der Waldgeister hatte nicht so viel Anstrengung gekostet, denn ich hatte sie nicht willentlich gerufen.

Ich ließ die Kette zwischen meinen Händen nervös hin und her wandern. Mit einem letzten Blick auf mein Patentier versicherte ich mich, dass wir tatsächlich bereit waren das zu tun. Angst glitzerte selbst in ihren Augen.

„In Ordnung", flüsterte ich leise, mehr zu mir selbst als irgendjemand anderem. Ich legte meine flache Hand auf Thembas Stirn, spürte ihr weiches Fell unter meiner Haut. Sie schloss die Augen und senkte leicht den Kopf. Ein Kribbeln ging von ihrem Körper auf meinen Arm über, vorsichtig, sanft. Irgendwie fragend. Es floss durch mich hindurch wie ein sanfter Bach in einem Wald. Für einen Moment breitete sich Frieden in mir aus.

Die Gerüche um mich herum wurden stärker, die Farben. Ich konnte mehr hören. Das Atmen des Blätterkriegers neben der Tür schien fast ohrenbetäubend.

Trotzdem versuchte ich alles auszublenden, konzentrierte mich darauf was kommen würde. Ich hob meine Hand, den Anhänger noch in meiner Faust verschlossen. Nur die Kette blitzte hervor.

Ich drückte das Auge gegen den Baum, dann, mit purer Angst in meinem Bauch, meine Finger. Der Anhänger konnte nicht herunterfallen, war gefangen in der Höhle meiner Hand. Stattdessen wurde er immer wärmer und in dem Augenblick, in dem ich in die erste Dunkelheit des Baumes abtauchte, so heiß, dass ich am liebsten geschrien hätte.

Es war stockduster. Anders als bei meinen anderen Versuchen des Baumlesens wurde mein Bewusstsein nicht überflutet von allerhand Bildern und Gefühlen. Ich befand mich nur in einem dunklen Nichts, spürte keinen Boden, keine Decke, keine Wände, einfach keinerlei räumliche Eigenschaften. Es war die wahre Definition des Wortes Nichts.

Die WaldläuferWhere stories live. Discover now