Kapitel 26 [überarbeitet]

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„Hallo", flüsterte ich leise und legte meine Hand auf die kalte Stirn von John. Über uns tröpfelte leiser Regen auf die Decke, während die Sonne hell ihre Strahlen im Wald verteilte.

„Heute wird es einen Regenbogen geben", sagte ich und lächelte bei der Vorstellung.

Der vor mir liegende Junge wirkte so friedlich in seinem Bett, dass ich kaum glauben konnte, dass er nicht einfach nur schlief. Noch immer hatten die Heiler keine Ahnung, wie sie John aus seinem Koma erwecken sollten. Drei Tage waren mittlerweile vergangen. An jedem von ihnen war ich zwischen dem mir auferlegten Unterricht hergekommen und hatte nach ihm gesehen.

Die Meisterin hatte meinen Stundenplan gut ausarbeiten lassen. Die Pausen waren zu kurz, um sich lange mit etwas Anderem zu beschäftigen und die Stunden so anstrengend, dass ich abends kaum noch in der Lage war mich auf den Weg zu den Untergründlern zu machen. Meistens schmerzte mein Kopf von den vielen Informationen, die man versuchte in mich hinein zu prügeln und meine Knochen vom Kampftraining der Waldschauer und Blätterkrieger. Abends, bevor es ganz dunkel wurde, empfing mich die Meisterin dann zum Baumlesen.

Elijah war auf eine Mission in den Wald geschickt worden, eine erneute Suche nach den verschwundenen Waldläufern. Niemand dachte mehr daran, dass man sie lebend fand, aber keiner traute sich, diese Gedanken laut auszusprechen. Stattdessen hoffte das Dorf leise und betete für ein Wunder.

Statt Elijah hatte ich einen mir fremden Blätterkrieger zugeteilt bekommen, der, ganz zu meinem Bedauern, seine Aufgabe sehr ernst nahm. Auch jetzt stand er noch vor der Treppe des Hauses, allzeit bereit mich maszuregeln und zur Meisterin zu schleppen, sollte ich nicht auf die Regeln achten. Am vorigen Tag hatte ich es geschafft, mich für eine knappe Stunde fort zu stehlen, und war in mein Zimmer gelaufen, um mich einmal mit dem Buch der Geschichtenerzählerin auseinander zu setzen. Doch statt Informationen hatte ich nur jede Menge Ärger bekommen. Nicht, weil die Meisterin mich in irgendeiner Weise einfach nur tadelte. Nein, am Abend ließ sie mich so lange die Geschichte eines alten Baumes lesen, dass ich am Ende nur noch mit Hilfe meiner Klette, wie ich den Blätterkrieger nannte, zurück ins Bett gelangte. Es war die einzige Nacht, in der ich nicht bei den Untergründlern auftauchte.

Nun schlug mein Herz jedoch schon schneller. Heute würde Elijah von seiner Mission wiederkommen. Drei Tage, bevor ich verschwinden würde. Ich hatte mittlerweile Angst davor wie er reagieren würde, wäre ihm bewusst, dass die von mir angesetzte Woche beinahe vorbei war. Hailey, die aus ihrem Bücherwahn kaum noch herauszukommen schien, hatte mir bei einer kurzen Tasse Tee geraten, mir einen Seher zu holen sobald klar wäre, dass ich ihn treffen würde. Ich hatte an Clara gedacht, das kleine blonde Mädchen, das ich lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Also war ich kurzerhand bei ihr und Bree vorbeigegangen. Bree erzählte mir, dass auch sie John besuchen wolle, also verabredeten wir uns für heute. Sie würde ihre Tochter mitbringen und selbst kurz am Bett des Schülers verweilen, um nach ihm zu sehen. Dann könnte ich Clara den ganzen Tag Kindersitten, was ihr wohl selbst ganz recht kam, denn sie musste für die nächsten zwei Tage zum Beerensammeln hinaus in den Wald.

„Natürlich mit einer Eskorte", hatte sie mir zugezwinkert, als ich sie ängstlich angesehen hatte.

„Elijah verhält sich ganz merkwürdig", flüsterte ich nun leise und sah hin zu dem blassen Jungen im Bett.

„Ich weiß, du konntest ihn nie wirklich leiden. Du und Alexis habt ihm immer misstraut. Aber trotzdem hast du ihn damals in Schutz genommen, wegen seiner Lüge mit dem Seher." Zitternd atmete ich ein.

„Was soll ich tun?", fragte ich dann.

Schritte waren zu hören und das laute Protestieren meines Blätterkriegers. Ich verdrehte die Augen.

Die WaldläuferWhere stories live. Discover now