Kapitel 32 [überarbeitet]

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Meine Beine bewegten sich, ohne dass ich darüber nachdenken musste. In rasender Geschwindigkeit rannten Clementine und ich durch den dunklen Wald, sprangen über kleine Hindernisse und kletterten über ganze Felsformationen, die sich in unserer rauen Umgebung auftaten. Verfolgt wurden wir von einer ganzen Schar von Elstern, die kreischend und ohne zu stoppen hinter uns herflogen. Bis jetzt hatte sich uns noch kein Neris gezeigt.

Ich hatte Clementine ganz am Anfang gefragt, weswegen jetzt plötzlich Neris' auf uns Jagd machen sollten. Sie hatte nur mit den Schultern gezuckt und geantwortet, dass es ihr nichts ausmachte, keine Antwort auf diese Frage zu erhalten.

Während der Wind mir Tränen in die Augen trieb, fragte ich mich immer und immer wieder, wer diese Neris überhaupt genau waren. Die Elstern schienen die Einzigen zu sein, die sie erkennen konnten, so wie es Clara tat. Starke Magie schien sie ebenso anzuziehen wie es die Gelben taten, aber sie schienen im Gesamten vorsichtiger zu sein als ihre fauchenden Verbündeten. Weswegen war diese Art Feind noch nicht bei uns in den Wäldern aufgetaucht?

Ich kannte die Antwort, auch wenn ich sie nicht wahrhaben wollte. Sie waren schon da gewesen. Wir hatten es nur nie bemerkt. Wenn Clara die Einzige war, die ihre Gegenwart sehen und spüren konnte, dann war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich Neris' in unserer Gesellschaft hatten aufhalten können, ohne dass das Mädchen davon etwas mitbekommen hatte. Aber trotzdem. Elijah hatte die Dunkelheit in sich gehabt, war aber vorher und auch danach mit Clara zusammengestoßen. Dabei war ihr nie etwas aufgefallen. Warum?

Ein Wurfstern verfehlte meinen Kopf nur im eine Haaresbreite. Ich schrie auf, beschleunigte meine Schritte. Doch auch Clementine war bereits unter Beschuss gekommen. Von einem Pfeil gestreift hielt sie sich ihren blutenden Arm.

„Ich kenne diese Gegend!", rief sie laut und stöhnte, als sie einen Sturz mit beiden Armen auffangen musste.

„Wir lassen hier manchmal Patroullien entlanglaufen!"

„Meinst du diese?", rief ich aus und deutete auf eine Gestalt in den Bäumen. Clementine wurde langsamer, ihr Gesicht verlor jegliche Farbe.

Hoch in den Bäumen hingen leblos drei Männer, ihre Körper ohne jegliches Zeichen von Leben von langen Seilen herabbaumelnd. Ihre Silhouetten warfen Schatten auf den Boden unter ihnen.

Ich riss Clementine von den Füßen und bewahrte sie vor einem heransausenden Speer. Wütend sah ich sie an, doch ihr Gesicht war noch immer in die Ferne gerichtet, die Augen groß und mit Tränen gefüllt.

„Verdammt, renn weiter!", schrie ich sie wutentbrannt an. Wie hatten keine Zeit um die Toten zu bedauern, sonst würden wir alsbald dazugehören.

Arro, Sistea!"

Ich zuckte zusammen. Eine dunkle Stimme hallte durch den Wald, und ließ alles für einen Moment stillstehen. Clementine schluchzte laut auf, hielt sich aber dann die Hand vor den Mund.

„Clementine, was geht hier vor?", fragte ich leise. Angsterfüllt sah ich mich um, lauschte auf Geräusche unserer Verfolger, doch es war totenstill geworden.

Wieder ertönte die Stimme, laut und bedrohlich, und schickte mir eine Gänsehaut über den Rücken.

„Hallo, Schwesterherz", sagte der Mann. Langsam konnte ich den Ursprung der Worte finden, über uns. Doch nur langsam trat er aus dem Schatten, vorsichtig und an die Rinde des Baumes gedrückt, um den dünnen Ast auf dem er stand nicht zum Brechen zu bringen.

„Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht", fauchte die dunkle Silhouette. Der Wald war erfüllt von Schatten, die die Sonne nicht vertreiben konnte. Wie um die Dramatik der Situation weiter zu steigen, wehte ein kühler Wind zwischen den Pflanzen hindurch.

Die WaldläuferWhere stories live. Discover now