Kapitel 27 [überarbeitet]

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Meine Augen waren verklebt von Schlaf und ich brauchte einen Moment, um mich daran zu erinnern wo ich war. Erst, als ich den ruhigen Atem von Clara neben mir hörte wusste ich wieder, was geschehen war. Leise seufzend ließ ich mich zurück in die Kissen sinken.

Ich hatte kaum geschlafen. Clara hatte die ganze Nacht über Alpträume gehabt, gewimmert und geweint. Einmal hatte sie so laut geschrien, dass die Klette mit gezogenem Schwert ins Zimmer gestürmt war. Der Blätterkrieger hatte mich, todmüde aber aufrecht sitzend vorgefunden, ein weinendes kleines Mädchen in den Armen. Natürlich hatte er mitbekommen was in dem Baumsaal geschehen war. Zum ersten Mal hatte ich Gefühle in seinem dunklen Gesicht lesen können. Traurig hatte er das Schwert weggesteckt, einen Moment gezögert und auf Clara hinabgesehen. Dann, nach ein paar Sekunden, hatte er sich mit einem leichten Nicken umgedreht und war wieder gegangen.

Jetzt war der Morgen angebrochen und die Sonne schob sich durch den leichten Wolkenschleier. Kälte lag in der Luft und fröstelnd zog ich die Decke unter mein Kinn. Ich würde nicht wieder einschlafen können, das wusste ich. Noch einmal wanderten meine Augen über den kleinen Körper von Clara. Ihre wasserstoffblonden Haare lagen wie ein Fächer verteilt auf dem Kissen. Ihre Haut schien in dem schwachen morgendlichen Licht fast zu leuchten. Die Frage, wie sie als Albino-Mädchen wohl bei den Menschen aufgewachsen wäre, schlich sich in meinen Kopf. Ob die Gesellschaft sie wohl mehr akzeptiert hätte als die Waldläufer? Oder wäre sie auf die gleiche Ablehnung gestoßen? Egal wie, ich wusste, sie hatte keine leichte Zeit vor sich. Sie würde immer anders sein, so wie ich.

Morgen würden Shay, Hailey und ich aufbrechen. Ich hatte Angst. Wenn ich daran dachte, wurde mir schlecht. Im Grunde genommen wussten wir einzig und allein, dass wir gen Norden mussten. Hailey hatte die Karten genau studiert, wollte uns dorthin führen, wo man die Bibliothek zum letzten Mal gesehen hatte. Aber worauf stützten wir uns? Die Erzählungen von vor hunderten von Jahren? Der Hoffnung, etwas zu finden, nur mit bloßem Willen? Es war ein Unterfangen, das andere als hoffnungslos abgetan hätten. Vielleicht war das der Grund, warum wir niemandem erzählt hatten, dass wir gingen. Doch in Wirklichkeit hatten wir einfach keine andere Möglichkeit. Wenn ich Antworten finden wollte auf die tausenden von Fragen, dann musste ich zur Bibliothek. Ich schuldete es jedem, der gestorben war, ich schuldete es Themba, der ich das Versprechen von einer Woche gegeben hatte. Eine Woche, und ich würde nachkommen. Nur Stunden später hatte ich jeglichen Kontakt zu ihr verloren. Sie konnte nicht tot sein, aber etwas hatte unsere Verbindung gebrochen. Es verhinderte, dass wir uns spüren konnten, dass sie mich irgendwie zu ihr lenken konnte. Etwas war geschehen. Ich musste versuchen sie zu finden.

Noch während ich in Gedanken vertieft dalag und überlegte, ob meine Wölfin wohl auch in den Norden gelaufen war, klopfte es an der Tür. Die Klette trat ein.

„Verzeiht, Leserin", entschuldigte er sich und sein Blick glitt schnell zu Clara. Vorsichtig sprach er leiser weiter. „Die Beerensammlerin Bree ist hier. Darf sie eintreten?"

„Die Beerensammlerin ist mir immer willkommen, ganz egal wann", sagte ich und stand vorsichtig auf. Ich trug eine bequeme Hose und ein T-Shirt, doch der Krieger senkte schnell verlegen den Kopf.

„Geht", sagte ich. „Lasst jemanden holen, der die morgendliche Schicht für Euch übernimmt. Ihr müsst Euch ausruhen."

„Mit Verlaub, Leserin, mir geht es gut. Auch ich fand ein wenig Schlaf in der Nacht, und Euch einem anderen zu überlassen läge nicht in meiner Natur."

„Ich bin keine schöne Kette die Ihr jemanden ausleihen müsst, Blätterkrieger", sagte ich leicht ironisch. „Ihr braucht keine Angst um mich zu haben."

„Oh, ich habe keine Angst um Euch", konterte er sofort. Ich blieb stehen, brauchte einen Moment um das leichte Lächeln seiner Lippen zu erkennen.

Die WaldläuferWhere stories live. Discover now