Wasser für die Seele

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Der Februar brach an und verging genauso schnell wie der Januar zuvor. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Ich hatte probeweise damit angefangen, Severus wann immer wir uns begegneten mit einem verzagten Lächeln zu begrüßen. Es war offensichtlich, dass dieser Schritt zur Versöhnung Severus große Freude bereitete und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir anders ging als ihm. Ich konnte nicht leugnen, dass ich gerne wieder Zeit mit Sev verbracht hatte. Mit dem alten Sev von früher, mit dem man gut reden konnte und der mich verstand. Wenn der heutige Sev und ich uns jetzt unterhielten, lag stets etwas Verlegenes und Unausgesprochenes in der Luft. Wir fanden kaum Themen, die uns beide gleichermaßen interessierten und nicht selten herrschte ein unangenehmes Schweigen. Aber das würde sich mit der Zeit bessern, dessen war ich mir sicher. Ganz bestimmt. Ich konnte nicht anders, als mich an dieser verzweifelten Hoffnung festzuklammern. Meine Freunde hießen diese neu aufkeimende Verbindung alles andere als gut, ja, mit offener Verachtung missbilligten sie Severus' Verhalten mehr denn je. Besonders James wurde jedes Mal rot vor Eifersucht, wenn ich auch nur ein paar Worte mit seinem Rivalen wechselte. Wie konnte er nur eine Sekunde lang ernsthaft glauben, dass Sev eine Konkurrenz für ihn wäre? Niemals, wirklich nie in meinem gesamten Leben, würde ich jemanden für sein Aussehen verurteilen, und schon gar nicht Severus. Aber ich sprach nur die Wahrheit, wenn ich sagte, dass ich mich nicht sexuell von ihm angezogen fühlte. Wie also sollte ich mich in ihn verlieben, wenn er doch bei mir nicht im Ansatz eine Erregung oder zumindest Wohlwollen auslöste? Es schien gar unmöglich, sich in jemanden zu verlieben, den man äußerlich nicht hübsch fand, ganz gleich wie traurig das klingen mochte. Tatsächlich hatte es eine Zeit gegeben, in der ich ihn ganz süß gefunden hatte. Das war allerdings gewesen, als er noch nicht mit Leuten wie Avery oder Mulciber rumhing und noch in Ordnung war. Aber er konnte sich doch wieder ändern! Irgendetwas in mir gab mir die unüberwindbare Gewissheit, dass in Severus Snape etwas unerschüttlich Gutes ruhte und immer da bleiben würde. In seinem Herzen war er ein guter Mensch und verdiente es mehr als sonst wer, aufrichtig geliebt zu werden. Nur konnte ich das nicht, zumindest nicht in dieser Weise. Meine früheren Gefühle für ihn waren von zarter Natur gewesen und weit entfernt von meiner leidenschaftlichen und bedingungslosen Liebe gegenüber James. Auch wenn ich mich freute, wieder mehr mit Severus zu unternehmen, so dauerte meine ausgelaugte Erschöpfung weiter an. Nachts lag ich oft wach und tat kein Auge zu, dafür war ich tagsüber stets gestresst. Mitllerweile hatte ich das starke Gefühl, dass nur der Kaffe und James mich am Leben hielten. Tatsache war, dass ich morgens mehrere Tassen von dieser süchtig machenden Flüssigkeit brauchte, um überhaupt ansprechbar zu sein. Auch nachmittags sparte ich nicht mit dem Koffein, da ich es zur Zeit einfach brauchte. Meine Ernährung ließ bezüglich der Gesundheit und der Ausgewogenheit ebenfalls zu Wünschen übrig. Aber was sollte ich tun? Ich war am Ende meiner Kräfte und wusste nicht wieso. Nun gut. Der wahrscheinlichste Grund für mein Problem war die Schule. Sturköpfig wie ich war, hatte ich mir fest vorgenommen, die ZAG-Prüfungen nur mit Ohnegleichen abzuschließen. Dafür lernte ich gefühlt Tag und Nacht, auch wenn meine Motivation zu schwinden schien. Trotzdem gab ich nicht auf und klammerte mich verzweifelt an meine Hoffnung, auch wenn meinen Freunden das zunehmend gegen den Strich zu gehen schien. Aber ich wollte einfach nicht aufgeben und setzte mir in den Kopf, dass mein Kämpfen lobenswert war. Dabei machte es mich von innen kaputt, fraß mich auf wie ein Schädling und schien mich in all meine Einzelteile zu zerlegen zu wollen. Aber mein Motto war und blieb: Wenn irgendjemand auf dieser Welt das schaffen konnte, dann konnte ich das auch. Und so war es! Das gab mir neuen Mut und Kraft. Zum weiteren Lernen. Nicht zu Leben. Nur zum Lernen. Lernen. Lernen. Lernen. Nicht nur meine Freunde waren langsam genervt, auch ich wurde gereizt, wenn mich einer von ihnen unterbrach oder zu glauben schien, er wüsste was das Beste für mich war. Nein, verdammt! Das wusste niemand, nicht einmal ich selbst. Leider führte mein Ehrgeiz auch dazu, dass ich des Öfteren nicht dabei war, wenn die anderen sich trafen. Eines Tages platzte James schließlich der Kragen, als ich unsere Verabredung kurzfristig abgesagt hatte. "Es reicht, Lily!", knurrte er wütend und in einer Lautstärke, die die Drittklässler vor uns zusammen zucken ließ. Er schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Wir befanden uns gerade nach Schulschluss in der Eingangshalle. Schulschluss. Lächerlich. Für mich gab es keinen Schulschluss, da sie einfach mein komplettes Privatleben einzunehmen schien. Für mich war es gerade kurz nach 16:00 Uhr, also Hausaufgabenzeit. "Aber James, ich konnte doch nicht wissen, dass Professor Flitwick uns noch so spontan so einen langen Aufsatz als Hausaufgabe aufgeben würde! Du verstehst das nicht, ich muss den bis heute Abend fertig haben, weil ich noch nichts für den Test in Alte Runen für nächste Woche getan habe und das ist wirklich viel Stoff, fast der halbe Hefter, es werden sogar die grammatischen-", doch er unterbrach mich barsch. "Spar die deine Ausrede. Seit Wochen dreht sich bei dir alles nur um Schule, ich mache das nicht länger mit! Bedeute ich dir überhaupt noch irgendetwas?", fragte er mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck. Ich raufte mir die Haare. "Meine Güte, natürlich! Was ist das denn für eine Frage? Aber wenn ich dir etwas bedeute und du mich tatsächlich so sehr liebst, dann müsstetst du eigentlich erkennen, wie wichtig mir die Prüfungen und gute Noten sind!", anklagend sah ich ihn an. Er schüttelte verächtlich mit dem Kopf. "Und wenn du mich  tatsächlich liebst, würdest du etwas mehr Zeit mit mir verbringen!", gab er nur zurück. So standen wir mit verschränkten Armen da und funkelten einander an. "Ich liebe dich, James", bestätigte ich dann mit erstickter Stimme. "Es tut mir Leid, dass ich momentan etwas anstrengend bin. Wirklich." Mir schossen Tränen in die Augen. Doch anstatt mich in den Arm zu nehmen wie sonst, ließ er den Kopf hängen. "Fuck, Lily, wir drehen uns im Kreis", stellte er betrübt fest und fuhr sich über die Lippe. Ich musste schwer schlucken. "Bitte, James. Von dir hätte ich eigentlich erwartet, dass du etwas mehr Verständnis für meine Ziele aufbringen kannst", antwortete ich in einem leicht vorwurfsvollem Ton, doch ich hatte genau das Falsche gesagt. "Lily", schrie er beinahe mit unterdrückter Wut. Trotzdem war es laut genug, dass ich zurück schreckte. "Nicht nur mich kotzt dein Verhalten in letzter Zeit an. Falls du es nicht mitbekommen hast: Allen geht dein streberhaftes Getue zunehmend auf die Nerven. Ich sage das nicht, um dich zu verletzen, sondern um dir zu helfen. Kaum will ich glauben, dass du wegen guten Zensuren deine Freunde verlieren willst. Aber das riskierst du damit! Verstehst du das denn nicht? Tut mir Leid, aber das musste sein, weil sich von all den anderen nämlich niemand traut, dir mal ordentlich die Meinung zu sagen!", James atmete stoßweise aus und fuchtelte wild gestikulierend mit den Händen herum. Unfähig ein Wort zu sagen starrte ich meinen Freund an. Was bei Merlins Bart war denn jetzt bitte los? War ich wirklich so schlimm wie er es beschrieb? War ich tatsächlich auf dem besten Wege, meine besten Freunde mit meinem Ehrgeiz zu vergraulen? Er sprach glücklicherweise rasch weiter: "Ich liebe dich, Lily. Wir alle lieben dich, okay? Aber so geht das nicht. Ich denke, wir haben das lange genug mitgemacht und es ist dringend an der Zeit, dass du ein wenig runterkommst. Du musst dich entscheiden: Was ist dir wichtiger? Die Schule oder wir? Deine Noten oder ich?" Seine Stimme drohte zu versagen, aber ich fühlte mich noch nicht bereit, etwas zu erwidern. James sah zu Boden und holte tief Luft, bevor er seine Belehrung mit folgenden Worten abschloss: "Bitte sag mir Bescheid, wenn du es weißt. Bin gespannt, wofür du dich entscheidest." Abrupt drehte er sich um, die Hände in den Taschen vergaben, und ging mit schnellen Schritten davon. Ich wollte ihm hinterher rufen, dass das lächerlich sei und dass er mir natürlich wichtiger sei als alle guten Noten dieser Welt, doch kein Ton verließ meinen Mund. Nur ein Krächzen kam heraus und ich musste mich erschöpft und schockiert zugleich gegen die Wand lehnen, um das eben Gehörte erst mal zu verkraften. Wow. So etwas hatte ich nicht erwartet. Ich meine, in unserem Freundeskreis war ich immer die Streberin gewesen, die sich für die Schule reinhängte, und von allen war das bisher stets belustigt akzeptiert und lediglich mit ironischen Sprüchen kommentiert worden. Dass es sie so störte hatte ich nicht wissen können. Oder? Hatte mein Wunsch nach schulischen Leistungen meine Wahrnehmung so vernebelt? Jetzt liefen mir tatsächlich mehrere Tränen die Wangen hinunter. Ich wollte kein schlechter Mensch sein und auch keine schlechte Freundin, aber genauso schien ich mich in letzter Zeit verhalten zu haben. Wie eine übereifrige Zicke, ein ehrgeiziges Arschloch. Verwirrt und verzweifeltz schniefte ich auf. Gleichzeitig hörte ich, wie eine ganze schnatternde Schülerschar die Treppe herunter kam. Verstohlen wischte ich mir über die Augen. Da ich momentan keine Lust auf neugierige Blicke, peinliche Begegnungen oder anschuldigende Gespräche hatte, nahm ich meine Beine in die Hand und rannte durch das große Tor hinaus in die Kälte. Es war jetzt Ende Februar und obwohl der Schnee schon lange geschmolzen war, blieben die Temperaturen kühl und unfreundlich. Passte ja prima zu meiner Laune. Frustriert lehnte ich mich gegen einen Baum und ließ meine schwere Tasche plump zu Bpden fallen. Es war doch alles scheiße. Ich wollte so sehr wütend auf James sein, weil er mir auf eine so unhöfliche die Wahrheit direkt ins Gesicht gesagt hatte. Das wollte ich wirklich! Aber ich schaffte es nicht und verspürte eher so etwas wie Scham und ein klitzekleines bisschen Dankbarkeit. Ja, Schule war wichtig. Sehr sogar! Nicht nur, weil meine Leistungen mein gesamtes Leben beeinflussen würden, sondern auch weil gute Noten mein Selbstvertrauen steigerten, egal wie blöd das für so manch einen klingen mochte. Ich brauchte das einfach, um mich gut zu fühlen. Es war wie eine Droge, von der ich einfach nicht los kam. Und es vielleicht auch gar nicht wollte. Aber es stimmte schon: Ich hatte es einfach übertrieben, denn was noch viel bedeutender und wohltuender war als gute Resultate in Aufsätzen oder Prüfungen, war die Zeit mit Freunden. Was wäre, wenn ich heute sterben würde? Dann häte ich zwar gelernt, aber nicht gelebt. Ich hätte mein Leben verlernt, ich hatte das leben  verlernt! Mit fest zusammen gekniffenen Augen drückte ich die Hände gegen die Schläfe. Wann hatte ich denn das letzte Mal so richtig mit den anderen gelacht? Es schien eine halbe Ewigkeit herzusein . . . Dabei war Lachen doch so wichtig! Tausend mal wichtiger als Lernen. Das wurde mir in diesem Moment klar. Kurz entspannte sich mein ganzer Körper, dann holte mich die beängstigende Wirklichkeit wieder ein: Ich hatte fast meine Freunde vergrault. Meine wahren, tollen, einzigen, unbezahlbaren und unersetzbaren Freunde. Mir blieb fast die Luft weg und ich fürchtete mich bei dem Gedanken, ihnen gegenüber treten zu müssen. Hier draußen wurde es zu kalt, ab er ich wollte - konnte - nicht zurück ins Schloss. Noch nicht. Also rannte ich vorwärts, ohne einen einzigen Blick zurück zu werfen. Ich rannte so lange am Ufer entlang, bis ich kaum noch atmen konnte und meine Hüfte wie die Hölle schmerzte. Kühn sah ich über den See zum Schloss und griff kurzerhand einen Stein, um ihn so weit ich konnte in das unergründliche Wasser zu schleudern. Dann schrie ich all meine Wut und meinen ganzen Kummer heraus, brüllte so laut ich konnte, rief, kreischte, fluchte. Hier konnte mich niemand hören, hier war alles und nichts von Bedeutung. Irgendwann sank ich erschöpft und zugleich seltsam zufrieden ins feuchte Gras und schloss die Augen. Sanft wiegte ich mich mit dem Wind vor und zurück. Ich wusste nicht, wie lange ich so da saß, bis ich auf einmal das Bedürfnis nach Worten verspürte. Nicht nach all den falschen und bedeutungslosen Worten, die wir täglich miteinander und untereinander wechselten, sondern nach ehrlichen Worten voll von Wahrheit und Klang. Also schnappte ich mir entschlossen den Gedichtband, den ich von Remus zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte und den ich seit einiger Zeit mit mir herum schleppte, in der albernen Hoffnung, irgendwann mal etwas zu lesen. Nun nahm ich mir die Zeit, die ich brauchte, weil die Worte und die Sprache von Kalèko mich lebendig machten. Gleich das erste Werk hieß "Das Ende vom Lied" und mit heller und fast vergessener Begeisterung sog ich gierig jede einzelne Silbe in mir auf:

Ich säh dich gern noch einmal, wie vor Jahren
Zum erstenmal. - Jetzt kann ich es nicht mehr.
Ich säh dich gern noch einmal wie vorher,
Als wir uns herrlich fremd und sonst nichts waren.

Ich hört dich gern noch einmal wieder fragen,
Wie jung ich sei ... was ich des Abends tu -
Und später dann im kaumgebornen «Du»
Mir jene tausend Worte Liebe sagen.

Ich würde mich so gerne wieder sehnen,
Dich lange ansehn stumm und so verliebt -
Und wieder weinen, wenn du mich betrübt,
Die vielzuoft geweinten dummen Tränen.

- Das alles ist vorbei ... Es ist zum Lachen!
Bist du ein andrer oder liegts an mir?
Vielleicht kann keiner von uns zwein dafür.
Man glaubt oft nicht, was ein paar Jahre machen.

Ich möchte wieder deine Briefe lesen,
Die Worte, die man liebend nur versteht.
Jedoch mir scheint, heut ist es schon zu spät.
Wie unbarmherzig ist das Wort: «Gewesen!»


Wahnsinnig berührt schlug ich die nächste Seite um und las weiter, las laut, las wieder. Die lyrische Sprache gab mir die frische Kraft, die ich so dringend nötig gehabt hatte. Irgendwann, ich hatte die Zeit vergessen, ging die Sonne unter und ich machte mich still auf den Rückweg. Gedankenverloren schaffte ich so auch die andere Hälfte des Sees zum umrunden und kam so nahe des Quidditchfeldes heraus. Hier wurde ich blitzschnell wieder von der Realität eingeholt, die mich wie eine kalte Dusche überraschte und erschaudern ließ. Ich musste meinen Fehler eingestehen, wollte aber gleichzeitig zumindest zum Teil auf meiner Meinung beharren. Es war nun einmal so, dass Schule mir - wenn auch nicht immer - gut tat und mein Selbstvertrauen stärkte. Lernen machte mir Spaß, nun ja, hatte mir Spaß gemacht. Ich würde meinen Ehrgeiz auf ein gesundes Maß reduzieren und mehr Zeit mit meinen Freunden verbringen. Aber mein Ziel deshalb aus den Augen verlieren? Wenn ich tief in mich hin eingorchte, so wusste ich dass ich noch nicht bereit war, mich ganz und gar von dem Wunsch nach einem Ohnegleichen-ZAG-Zeugnis zu lösen. Mein Herz klammerte sich an diese Vorstellung und allein der Gedanke machte mich extrem stolz. Es war so verwirrend! Schon sehnte ich mich nach der friedlichen Ruhe auf der anderen Seite des Sees, nur ich und die Worte Kalèkos, wo all die Probleme und der Alltagsstress so fern erschienen. Ich sank mit dem Rücken an die äußere Wand des Stadions gelehnt hinunter und blieb tieftraurig und melancholisch sitzen. Ein paar rote Strähnen fielen mir ins Gesicht und ich strich sie träge zur Seite. Wenn das alles zum Erwachsenwerden gehörte, dann wollte ich lieber weiter ein Kind bleiben. Für immer kind sein. Klang doch gar nicht so schlecht. Damals hatte ich alles noch durch eine rosarote Brille gesehen, der Sandkasten war mir so riesig vorgekommen, Petunia war noch - mehr oder weniger - nett gewesen und Severus hatte mir immer helfen können. Tja, jetzt hatte man mir die Brille vom Kopf gerissen war, der Sandkasten war gegen die große weite Welt einfetauscht worden, Petunia erkannte ich nicht mehr wieder und Sev - nun, Severus war durch James ersetzt worden. Was? Nein! Nein, Sev konnte man nicht ersetzen. Und James war einzigartig. "Lily?", er stand vor mir. James. Mit verweintem Gesicht blickte ich zu ihm hoch. Er fasste meine Hand und half mir mut besorgtem Blick beim Aufstehen. Dann zog er mich in eine feste Umarmung und schien mich kaum noch loslassen zu wollen. "Tut mir Leid, das vorhin habe ich nicht so gemeint", flüsterte er in mein Ohr, doch ich schüttelte wild den Kopf. "Nein", widersprach ich mit fester Stimme. "Nein, du hast Recht. Danke." Mehr war gar nicht nötig. "Ich habe mir solche Sorgen und Vorwürfe gemacht, weil du plötzlich weg warst. Ich dachte schon, du- ich dachte, du-", fuhr er mit rauer Stimme fort, konnte den Satz aber nicht beenden. "Nicht doch", wisperte ich sanft und strich ihm über die Wange. Arm in Arm kehrten wir zum Schloss zurück. Ich glaube, ich weiß jetzt, was mich neben dem schulischen Erfolg stark macht. Weil, also, ich meine, das kan doch nicht alles sein! Das darf nicht alles sein. Einmal natürlich meine Freunde und James, all die grundlosen Lachanfälle und Kitzelattacken, die Erinnerungen und wertvollen Momente. Aber auch die Worte. Die Sprache, das Lesen. All das. So war es schon immer gewesen: Bücher hatten mir geholfen, schwere Zeiten zu überstehen, die Geschichten begleiteten mich schon mein Leben lang. Vielleicht war es an der Zeit, selber mit dem Schreiben anzufangen. Denn das war es, was mich belebte: die Geschichten. Sie waren das Wasser für meine Seele, das, was mich eigentlich am Leben erhielt. Das wusste ich nun und ich war mehr als dankbar dafür.

CollideWhere stories live. Discover now