Kapitel 19

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Heute ist Montag und somit mein erster richtiger Arbeitstag. Doch zuerst muss ich die Höhle des Grauens bestehen. Vor allem werde ich vermutlich Reeve über den Weg laufen und darauf kann ich nun wirklich verzichten.

Nachdem ich mich angezogen und gefrühstückt habe, fahre ich mit dem Fahrrad zur Schule und sehe sofort Karen an dem Baum stehen.

»Hey, lange nicht mehr gesehen. Wie war dein supercooles Wochenende?«, grinse ich und schaue sie vielversprechend an.

»Gott, es war so ... ereignisreich und dir auch ein hey«, sagt sie und verdreht die Augen. »Was war denn bei dir los?«

»Gar nichts«, sage ich schnell, doch sie sieht mich etwas misstrauisch an. Hmpf. »Wir sollten uns beeilen, der Unterricht fängt gleich an«, sage ich hektisch und ziehe sie am Ärmel mit ins Gebäude.

»Warte doch mal, seit wann willst du pünktlich zum Unterricht?«

»Seit heute?! Ich hatte eine Erkenntnis«, antworte ich und ziehe sie weiter.

»Oh wow«, höre ich sie hinter mir erstaunt sagen. Okay, das hätte sie stecken lassen können.

In der Klasse setze ich mich direkt auf meinen Platz am Fenster und schaue raus. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass Karen ihre Sachen herausholt und sich auf die Tür konzentriert. Ein paar Sekunden danach springt sie auch schon auf und Bobby kommt hereingestürmt. Reeve und Lois im Schlepptau.

»Wo ist meine wunderschöne Freundin?«, ruft er durch die Klasse und sein Blick bleibt an Karen hängen, woraufhin sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln ausbreitet.

Ich stöhne leise auf und vergrabe meinen Kopf in meiner Armbeuge.

1. Wie kann man so fröhlich und voller Energie an einem Montagmorgen sein?

2. Womit habe ich das nur verdient?

»Hey Six, du musst doch jetzt nicht traurig sein. Dich mag ich auch, aber Karen steht nun mal an erster Stelle und-«

»Ich warne dich Bobby. Führe diesen Satz zu Ende und du kannst dich von deiner Cap verabschieden«, murre ich und erdolche ihn mit meinen Blicken.

Bobby reißt erschrocken seine Augen auf und versteckt sich hinter Karen, die sich nur schwer zurückhalten kann, um nicht zu lachen.  

»Du weißt ganz genau, dass ich lange nach so einer gesucht habe, das ist nicht fair«, schmollt er. »Reeve, bring ihr mal Manieren bei.«

Sofort schnellt mein Blick in Reeves Richtung, doch der sitzt nur teilnahmslos auf seinem Stuhl, hört Musik und hat sich seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ich bin mir sicher, dass er Bobby gehört hat, da es leicht um seine Mundwinkel zuckt. Aber wirklich nur ganz leicht.

Irgendwie habe ich gehofft, dass er für nur eine Sekunde herschauen würde. Nur um zu sehen, was in ihm vorgeht. Seit gestern Morgen habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen, aber kann man es mir verübeln? Nein, ich denke nicht.

»Okay, den können wir erstmal vergessen, der ist völlig abwesend«, klärt Bobby uns spaßig auf, aber mir vergeht sein besorgter Blick, den er Reeve unauffällig zuwirft, trotzdem nicht.

***

»Dich habe ich gesucht«, ruft Maddy durch den Gang und kommt entschlossen auf mich zu.

»Und offensichtlich auch gefunden«, murmele ich in meinen Spind und suche meine Bücher, die unter dem ganzen Müll liegen müssten.

»Six, du solltest unbedingt mal da drin aufräumen, bevor noch etwas zum Leben erweckt wird«, sagt Maddy kritisch, als sie neben mir steht.

Mit einem Seufzen schließe ich die Spindtür und schultere meine Tasche. »Du solltest nicht so viel Ordnung in der Schule versprühen, das macht die Leute krank«, sage ich und laufe an ihr vorbei.

»Hey, was ich eigentlich wollte: hast du heute Zeit? Karen und ich wollten Filme schauen«, fragt sie und läuft neben mir her.

»Nein, ich kann nicht. Ich muss arbeiten, aber vielleicht wann anders?«

»Klar, kein Problem. Wir sehen uns morgen«, lächelt sie und rauscht um die nächste Ecke.

»Na toll.«

Im Klassenzimmer laufe ich durch den Mittelgang, um zu meinem Platz zu kommen. Ich weiß, dass mich gerade zwei hellbraune Augen verfolgen, doch ich will nicht hinsehen. Den ganzen Tag bin ich Reeve nicht über den Weg gelaufen und das ist gut so. Ich habe keine Lust auf seine Dramaseite, denn die lässt er in letzter Zeit ziemlich häufig raus.

»Six, hey«, hält mich eine Stimme auf.

»Oh, hey«, lächele ich und setze mich auf meinen Platz. Finnick lässt sich neben mir fallen und kramt seine Unterlagen raus. Vor mir höre ich ein abfälliges Geräusch und sehe, wie Reeve sein Handy wegsteckt.

»Was läuft eigentlich zwischen dir und Hunter?«, fragt Finnick auf einmal leise.

Geschockt reiße ich meinen Kopf in seine Richtung und schaue ihn ungläubig an. »Wa- Wie meinst du das?«

»Du weißt, was ich meine. Man sieht ihm an, dass er sich auf unser Gespräch gerade konzentriert und seine abfälligen Blicke, wenn er mich sieht. Du kannst mir nicht erzählen, dass du ihm egal bist.« Seine Augen richten sich kurz auf Reeve, ehe er sich wieder mir zuwendet.

»Äh, da läuft aber nichts und ich glaube, du interpretierst ein bisschen zu viel.« Ja, ich weiß, was ihr jetzt denkt: Wir haben uns geküsst und das schon dreimal, aaaber wenn man es genau nimmt, war Reeve derjenige, der mich geküsst hat. Ich bin nur miteingestiegen.

Okay, das macht es auch nicht besser.

Finnicks Blick sagt mir, dass er noch nicht überzeugt ist, dennoch lässt er es gut sein und wendet sich ab. Na klasse.

Seufzend stütze ich meinen Kopf auf meine Hand und schaue nach vorne. Also auf Reeves Hinterkopf. Ich habe das Gefühl, dass mich seine dunkelblonden verstrubbelten Haare anstarren, obwohl eher seine Haare sich von mir beobachtet fühlen sollten.

Gott, ich mutiere zum Haarstalker.

Schnell wende ich meinen Blick ab und schaue nach draußen.

»Du solltest nicht so viel nachdenken«, flüstert Finnick und schaut mich von der Seite an.

»Besser zu viel als zu wenig.«

Dauraufhin sagt er nichts mehr und schreibt weiter.

***

Nachdem ich im Aquapark meine Schicht beendet habe, bin ich nachhause gegangen und habe meine Hausaufgaben gemacht. Jetzt ist es zwanzig Uhr und ich liege nutzlos in meinem Bett. Nebenan höre ich Rufe, die sich nicht freundlich anhören.

Die Familie Hunter hat nicht nur Sonnenseiten. Der Schein kann trügen.
Ich höre eine Haustür zufallen, dann eine Autotür und dann den Motor eines fahrenden Autos.

Mit meiner Hand fahre ich mir über das Gesicht und erschrecke mich, als es pötzlich an der Tür klingelt. Wer klingelt jetzt noch an Türen? 

Im Schlafanzug gehe ich die Treppen runter und öffne die Haustür. Überrascht blicke ich meinen Gegenüber an.

»Was machst du hier?«, frage ich verblüfft.

»Also, hey«, lächelt Finnick. »Ich dachte, vielleicht könnten wir ja ...«

»Ja?« Ich höre nur ein Genuschel und auf einmal greifen seine Hände nach meinen Armen, ziehen mich näher und im nächsten Moment sind seine Lippen gegen meine gedrückt.

Neben mir höre ich ein leises Geräusch, was ich nicht zuordnen kann, aber das ist mit gerade sowas von egal.

My Bad NeighborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt