Kapitel 1

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Miri fährt ihren roten VW in eine große Hofeinfahrt.

Letztendlich hat sie es doch geschafft mich so zu nerven, dass ich nachgegeben habe. Jeden Tag hat sie mich mit dem Casting genervt. Seitdem ich vor einer Woche zugestimmt habe, lässt Miri mir keine ruhige Minute mehr. Sie hat mir jeden Song von Paradise vorgespielt und mir alles mögliche über die Bandmitglieder erzählt. Ich weiß sogar den Geburtstag aller drei Jungs. Das ist doch verrückt. Miri steigert sich da total rein und redet von nichts anderem mehr. Paradise hier. Paradise da. Paradise überall. So langsam nervt es. Die Jungs werden sich nicht für mich entscheiden. Da bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, aber meine beste Freundin sieht das anders. Miri ist fest davon überzeugt, dass ich es schaffe und die drei Jungs sich für mich entscheiden. Egal was ich gesagt habe, sie ist hält felsenfest an dieser Meinung fest.

Ich sehe aus dem Fenster. Das Haus, oder besser gesagt Anwesen ist riesig und unglaublich angeberisch. Derjenige der hier wohnt, wird mir nicht gefallen, da bin ich mir ziemlich sicher. Vor einer Garage steht ein großer Bentley, der wie frisch poliert aussieht. Das Haus hat drei Etagen, große Glasfronten und ist in einem tadellosen weiß gestrichen. Miri parkt den Wagen hinter dem Bentley. Ich zupfe an dem Saum meines Kapuzenpullis herum. Eigentlich will ich gar nicht hier sein. Die Situation macht mir totale Angst.

"Jetzt komm schon", fordert Miri mich auf und steigt lächelnd aus dem Auto. Wie kann sie nur so gelassen bleiben? Ach ja, sie muss ja nicht singen. Außerdem habe ich Miri noch nie nervös erlebt. Sie bleibt in allen Situationen locker, ob es vor einer wichtigen Arbeit in der Schule ist, einem Auftritt mit ihrer Theater-Ag oder einem Treffen mit Superstars. Ihre Ruhe hätte ich jetzt gerne. Meine Hände schwitzen jetzt schon und ich habe die Jungs noch nicht einmal gesehen. Langsam steige ich aus dem Wagen und verbanne, den Gedanken mich irgendwo zu verkriechen, in die hinterste Ecke meines Hirns. Eigentlich muss ich doch nur meinen Namen sagen, kurz was singen und dann wieder gehen, aber wieso macht mir das solche Angst? Miri hakt sich bei mir unter. In ihrem Gesicht thront ein breites Grinsen. Ihre Haare sind mittlerweile nur noch zu Hälfte violett. Die spitzen hat sie vorgestern mit meiner Hilfe blau gefärbt. Unter meinen Fingernägeln ist immer noch blaue Farbe. Miri meint, wenn man nicht so genau hinsieht könnte man es für Nagellack halten. Sie träg ein weißes Top, das knapp über dem Bauchnabel endet und man ihr Piercing sieht. Über dem eine Lederjacke und dazu Jeans mit Rissen. Ich habe wie immer einen verschlissenen Kapuzenpulli an und eine Jeans. Dazu meine heiß geliebten schwarzen Chucks. Neben Miri sehe ich wie ein totales Mauerblümchen aus. Ich bin ja aber auch eins.

"Wo müssen wir eigentlich hin?", meine Stimme klingt rau und kratzig und ich muss mich ein paar mal räuspern, ehe sie sich wieder normal anhört.

"Da hinten müsste ein Garagentor sein", beantwortet Miri meine Frage und zieht mich über den Hof, der aussieht als würden drei Gärtner gleichzeitig ihn pflegen müssen. Die Grashalme habe alle dieselbe Länge, keiner ist auch nur ein Millimeter länger als der andere. Die hecken sind kunstvoll beschnitten und am Gartenzaun sind kleine Blumenbeete. Ich glaube ja nicht, dass ich diese Jungs mögen werde. Diese Haus sieht viel zu perfekt aus, fast so als würde hier gar niemand wohnen. Es sieht viel mehr nach einem Bild aus einem Immobilienkatalog aus.

"Da", sagt Miri und zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ein Garagentor, auf dem ein Graffiti einer Gittare und Noten pragt. In der linken Seite ist eine kleine Tür eingelassen. Rechts neben dem Tor stehen ein paar Gartenstühle und ein Tisch. Auf ein paar Stühlen sitzen Mädchen, die alle samt hübsch sind. Jetzt wird der Drang gehen zu wollen noch größer. Was mache ich hier überhaupt? Miri würde perfekt hier rein passen, aber ich doch nicht. Eine braun haarige Frau streckt den Kopf aus der Garagentür.

"Die nächste bitte", flötet sie in einem gutgelaunten Sing-Sang. Ein schlankes Mädchen mit sonnengebräunter Haut und Modelmaßen steht auf. Die honigblonden Haare reichen ihr bis an die Hüfte. Vom Aussehen her ist sie  der Typ Mädchen den man in die Kategorie Superstar stecken würde. Wenn sie jetzt auch noch singen kann, dann hat die Band ihre neue Sängerin schon gefunden und wir können wieder gehen. Miri begutachtet die anderen sieben Mädchen, die hier noch herumlungern. Eine hat lauter Tattoos und Piercings und dazu feuerrote Haare. Wiederum eine andere hat tolle schwarze locken und ein verspieltes Lächeln im Gesicht. O Mann, jedes Mädchen hier wäre besser geeignet als ich. Ich habe nichts zu bieten. Ich bin viel zu klein und zierlich. Vor den Ferien wollte eine Vertretungslehrerin mir nicht glauben, dass ich wirklich nicht in der falschen Klasse bin. Es hat ganze zehn Minuten und Miris Hilfe gebraucht, um sie davon zu überzeugen, dass ich wirklich in die zehnte Klasse gehe. Besonders hübsch bin ich auch nicht. Miri sagt zwar immer, dass ich total süß wäre, aber wer will mit sechzehn noch süß aussehen? Aber wieso zerbreche ich mir plötzlich den Kopf über die ganze Sache. Ich will ohnehin nicht in die Band kommen. Eigentlich sollte ich froh darüber sein, dass meine Konkurrenz so hübsch ist, denn so werde ich definitiv nicht ausgewählt und kann mein leben normal weiter leben. Aber wieso mustere ich dann alle so genau und mache mir Gedanken, dass ich nicht gut genug sein werde?

Shy Star Where stories live. Discover now