Kapitel 6

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Ich sah ihn mir genau an. Er hatte sich kaum verändert. Noch immer sah er genauso aus, wie an dem Tag, an welchem er uns verlassen hatte, weil er dachte, wir würden ihm nicht vertrauen. Und jetzt, nach all den Jahren, musste ich zugeben, dass ich ihm noch immer so blind vertrauen würde wie damals. 

Samuels Blick ging zu Julien. Scheinbar erinnerten auch die zwei sich noch an den Vorfall, doch es fiel kein Ton darüber. Eigentlich sagte niemand etwas, um genau zu sein. Jedoch sollten sie reden. Wir mussten Samuel noch erklären, worum genau es ging.

Langsam stand ich auf, als Samuel herein kam. Justin schloss hinter ihm die Tür und Samuel sah zu mir. Mit einem Lächeln begrüßte ich ihn. Drei Jahre lang hatte niemand etwas von ihm gehört und zu wissen, dass er noch lebte und es ihm gut ging, war einfach schön zu wissen. 

»Ich hätte niemals gedacht, dass ihr euch nach drei Jahren noch einmal irgendwie bei mir melden würdet«, begann Samuel zu reden. »Oder mich ausfindig machen könntet.«

Tja, dachte ich. Es war möglich. Jedoch war es schwerer gewesen, als wir vermutet hatten. Doch er war hier, also schien es geklappt zu haben. Und es war gut zu wissen, dass er uns auch schon eher geholfen hätte, wenn wir jemanden zu ihm geschickt hätten. 

»Wir brauchen dich, Sam«, sagte Justin. Noch immer nannte er ihn Sam. Er war einer der wenigen, der das getan hatte. Auch ich hatte ihn meist nur Samuel genannt. 

Die Art, wie Justin das sagte, wirkte jedoch nicht mehr so wie früher. Es lag eine spürbare Distanz in der Luft, was mir persönlich nicht gefiel. Das ließ es so aussehen, als hätten wir ihn nicht vermisst. Als haben wir ihn nur holen lassen, weil er uns einen Gefallen tun soll. In gewisser Weise stimmte das ja, doch glaubt mir, ich habe schon vorher versucht, ihn zu kontaktieren. Jedoch vergeblich. 

»Ich weiß. Habe schon davon gehört. Dämonenproblem, richtig? Sind fiese Kreaturen und sie schwer zu töten«, gab er grinsend von sich. Weshalb fand er das so lustig? Aber noch viel wichtiger; er wusste, dass es Dämonen gab, weshalb hatte er uns nie gewarnt?

»Es tut mir leid, aber ich wüsste keinen Grund, weshalb ich euch helfen sollte«, fügte er noch hinzu und mit so einem Satz hatte ich nicht gerechnet. Mir war klar, dass er vermutlich noch immer ein wenig gekränkt war, weil er damals dachte, dass wir ihm nicht vertrauen würden, doch das tat irgendwie ein bisschen weh. 

Niemand sagte mehr irgendetwas. Alle blieben sie still. Julien und Justin sahen dann zu mir. Was wollten sie? Sollte ich etwa etwas sagen? Samuel würde nicht auf mich hören. Obwohl; früher hatte er das hin und wieder mal. Nur was sollte ich sagen?

»Wenn du uns nicht helfen möchtest, dann wenigstens der Stadt. Sie hat dir einige Zeit lang Sicherheit gegeben und außerdem werden Unschuldige sterben. Willst du das?«, wollte ich von ihm wissen. Das war eine dumme Begründung. Ihm waren die Menschen egal, nur seine Freunde waren ihm je wichtig gewesen und die hatten ihn seiner Meinung nach hintergangen. 

»Willst du, dass wir sterben?«, fügte ich am Ende noch hinzu und sah ihn dabei an. Das konnte er nicht wollen. Er hatte Justin und Mary nie getötet, selbst als er die Chance dazu hatte. Und dann hat er uns sogar geholfen, mehr als nur ein Mal. Wir waren ihm wichtig...jedenfalls irgendwie. 

Eine Weile blieb Samuel still, dann seufzte er. In diesem Moment wusste ich, dass er nachgeben und uns helfen würde. 

»Fein, ich werde euch helfen«, meinte er und setzte sich auf einen Stuhl. »Aber seid euch sicher, dass ich danach wieder fort bin und wir nie wieder Kontakt miteinander haben, verstanden?« Ich schluckte und sah zu Justin. Auch ihm schien es schwer zu fallen, das zu akzeptieren, doch wir mussten es. Deshalb nickten wir. 

Theoretisch könnte ich mich wieder hinlegen und noch etwas schlafen, doch das tat ich nicht. Riley und Arizona würden ohnehin bald aufstehen und Justin und Julien würden sich nicht noch einmal hinlegen. Aus diesem Grund tat ich es auch nicht. Es war mir unangenehm zu schlafen, wenn alle anderen wach waren. Außerdem würde mich das früher oder später sowieso aufwecken. 

Stattdessen begann ich das Sofa aufzuräumen. Zuhause bei meinen Eltern oder im Haus von Justin, Julien und mir würde ich es einfach so lassen, doch hier lebte ich nicht, deshalb gehörte es sich so. Justin half mir. Die anderen zwei standen stumm daneben. 

Als wir damit fertig waren, setzten Justin und Julien sich hin, ich blieb stehen. Genauso wie Samuel. Doch es blieb weiterhin fast peinlich still. Diese Stille war kaum noch auszuhalten. Gerade, als ich meinen Mund öffnen wollte, um endlich etwas zu sagen, klopfte es an der Tür. Und das nicht gerade leise. 

Wir alle sahen zur Tür. Nun überlegte wohl jeder, wer hingehen sollte und als sich niemand in die Gänge setzte, tat ich es. Jedenfalls wollte ich das, doch Samuel hielt mich fest. 

»Du bist immer noch ein Mensch und Rileys Wohnung ist nicht mit einem Zauber geschützt. Du könntest sterben«, sagte er, bevor er die Tür öffnete. Das ließ mich ein wenig lächeln. Er sorgte sich noch immer um meine Sicherheit. Und ich fühlte mich bei ihm auch sicher. 

Doch bei demjenigen, der vor der Tür stand, brauchte er keine Angst um mich haben. Er würde nicht einmal einer Katze hinterher rennen. Man beachte den Witz, denn es war ein Werwolf. 

Ich konnte nicht anders, als breit zu lächeln und Kyle sofort zu umarmen. Wie sehr ich ihn doch vermisst hatte. Allzu oft hatten wir uns in den letzten Jahren nicht gesehen, doch aus den Augen hatten wir uns nie verloren. 

Er trug dieselbe Jacke, die er anhatte, als wir ihm damals das Leben gerettet haben. Und noch immer hatte er meist eine Kapuze auf. 

Hinter ihm wurde die Tür geschlossen. Justin und Julien begrüßten ihn mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und einem nicken. Samuel tat es ihnen gleich, nur ohne das Lächeln. Wir setzten uns auf die Couch und erklärten ihm die Lage. 

»Okay, ich habe alles verstanden, außer den Fakt, weshalb ihr gegen Dämonen kämpfen wollt, ohne dass ihr auch nur das Geringste über sie wisst und, dass ihr mit Leuten zusammenarbeitet, denen man nicht vertrauen kann«, sagte Kyle mit verschränkten Armen. Er machte eine Anspielung auf Jorge, aber ich wusste, dass er auch Samuel meinte. Allzu gut hatten er und Kyle sich nie verstanden. 

Aber mit einem hatte er definitiv Recht; wir haben keine Chance, wenn wir nicht bald alles über Dämonen lernen, was es zu lernen gibt. Und auch Samuel schien nicht mehr zu wissen, als er gesagt hat. Also blieb uns nur eine einzige Wahl; wir würden mit Jorge darüber reden müssen. Und das so schnell wie möglich.




dark night ➹ j.b ✓Where stories live. Discover now