Kapitel 1

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Es ist Sonntagabend, meine Eltern sind Essen gegangen und haben mir Dosenfutter aufgetischt. Dabei mache ich meine Hausaufgaben für die Schule. Seit 3 Wochen gehe ich jetzt auf die Whitefish Bay High School und bin nicht wirklich sozialisiert, was Menschenmengen angeht.

Trotzdem habe ich schon Freunde gefunden, wobei sich das 'Freunde' nur auf eine bezieht. Sie heißt Karen, und wenn man sie nicht kennt, wirkt sie womöglich etwas seltsam.

Ich schaue auf die Uhr meines Handys. Gleich ist es soweit. Vor 2 Wochen hat das Ganze angefangen und spielt sich nun jeden Abend ab. Es ist nicht immer dieselbe Uhrzeit, aber ich konnte einen stetigen Rhythmus erkennen.

Leise gehe ich in den Vorgarten und stelle mich hinter die Hecke, die das Nachbarhaus verdeckt. Leider ist die Hecke zu hoch, um darüber zu schauen, weshalb ich auf die Mülltonne davor klettere und mich mit den Knien darauf abstütze.

Das verlangt eine Menge Gefühl fürs Gleichgewicht und gemütlich ist es auch nicht.

Was tut man nicht alles für eine Privatveranstaltung.
Ich höre ein Klacken und weiß, die Haustür nebenan ist aufgegangen. Dann vernehme ich aufgebrachte Stimmen und luge etwas über die Hecke hinweg und hoffe, dass die Hauptdarsteller in dieser Vorstellung mich nicht erwischen.

Es ist jeden Abend das Gleiche. Reeve Hunter serviert ein Mädchen ab - jedoch niemals ein und dasselbe.

Sie kommen aus dem Haus (wir können uns wohl alle denken, was die dort getrieben haben) und er weist sie ab. Meistens fängt er sich dann eine Ohrfeige und ein Rumgezicke ein.

Suck it, Reeve.

Das heutige Mädchen geht, glaube ich, sogar auf meine Schule, aber das ist auch nichts verwunderliches. Sie stampft wütend vor ihm her und geht zielsicher auf ein Auto zu. Vermutlich ist es ihres, aber wen juckt das in solch einer Situation?
»Ich dachte wirklich, dass du mich mögen würdest«, ruft sie aufgebracht und dreht sich zu ihm um. Gott, wie kann man nur so naiv sein? Reeve verdreht nur die Augen und verschränkt seine Arme vor der Brust.

»Und ich dachte, du wärst nicht so dämlich.« Er geht wirklich nicht nett mit seinen Bettgeschichten um, aber was soll man denn schon erwarten? Das ist Reeve Hunter und er macht seinem Namen alle Ehre, das können immerhin nicht viele behaupten.
Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich jeden Abend hier auf der Mülltonne hocke, mir das anschaue und mich echt zusammenreißen muss, um nicht loszulachen? Ich weiß ja nicht, was er den Mädchen erzählt, damit die mit ihm mitkommen, aber eine Hoffnung auf eine Beziehung mit Reeve scheint mir Fehl am Platz zu sein.

Ich meine, wie lange kennen die sich? Drei Stunden?
Reeve will gerade den Mund öffnen und seine Rede halten, die jeden Abend dieselbe ist, als ich mit meinem Knie von der Tonne abrutsche, mit den Armen panisch herumwedel und mit dem Rücken auf dem Gras lande. Die Mülltonne landet laut klappernd auf dem Boden und ich kann von Glück sprechen, dass diese heute Morgen geleert wurde.

Mist.

Ich hoffe, dass die mich nicht gehört haben, was ziemlich unwahrscheinlich ist, aber träumen darf man ja wohl. Ich höre nur noch einen empörten Schrei von dem Mädchen, dann Motorengeräusche von einem Auto.

My Bad NeighborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt