29. Verwirrt & Nacht Eins

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Mit zusammengekniffenen Augen stand ich mitten auf der Straße und wartete in den folgenden Millisekunden darauf, dass das Auto mich erfasste und ich auf dem Asphalt zusammenbrach.

War das mein Ende?
Würde ich so sterben?

Ich hörte das ohrenbetäubende Quietschen der Reifen und dann eine unbekannte Stimme.

War ich jetzt tot? Oder nicht?

"Oh verdammt! Geht's Ihnen gut? Sind sie verletzt?"

Zu meiner Überraschung war ich tatsächlich nicht tot.
Geschweige denn verletzt.
Jedenfalls spürte ich keinen Schmerz.

Ich öffnete meine Augen vorsichtig und bemerkte, dass ich einfach mitten auf der Straße stand und mich kein Stück rührte.

Das Auto war genau vor mir.
Ein halber Meter mehr und ich würde jetzt unter den Reifen liegen, dachte ich.

"Hallo? Geht's Ihnen gut?", fragte die Stimme und ich blickte total verwirrt zu der Person rüber.

Es war eine junge Frau mit kurzen, blonden Haaren. Sie schien leicht überfordert mit der Situation. Genauso wie ich.

Verwirrt nickte ich.
Ich lebte noch. Kein einziger Kratzer war zu finden, als ich an meinem Körper hinunterschaute.
Ich war noch hier, doch irgendwie fühlte ich mich so, als wäre ich schon gestorben. Als wäre ich schon lange tot und mein Körper hatte nur darauf gewartet diese Welt zu verlassen wie meine Seele, dachte ich.

Doch die Frau hatte früh genug abgebremst und so konnte ich mein Leben weiterleben.
Wenn man das leben nennen konnte.
Ich existierte nur und der Gedanke daran, tot zu sein, gefiel mir irgendwie.

"Sicher?", fragte die Frau und machte einen Schritt auf mich zu.

"Ja - Ganz sicher. Ich - Es tut mir leid, dass ich vor Ihr Auto gelaufen bin."
Das klang komischer als ich es gedacht hatte.
Jetzt denkt sie sicher, ich wäre vollkommen irre, dachte ich.

"Oh, Gott", murmelte sie. "Wollen Sie, dass ich einen Krankenwagen rufe?"

"Nein. Alles okay. Tut mir echt leid. Danke -", stotterte ich.

"Okay", sagte sie nach einer Weile, stieg in ihr Auto und fuhr davon.
Ich war froh, dass sie mich nicht mehr gefragt hatte. Wer ich war oder was ich hier machte, zum Beispiel, denn dann wäre ich ziemlich aufgeschmissen gewesen.

Sichtlich verwirrt lief ich zurück zum Wald, blieb aber am Straßenrand stehen.

Ich lies mir alles nochmal durch den Kopf gehen.
Gerade war ich fast angefahren worden.
Okay, dachte ich nur und seufzte.

Dann dachte ich wieder an die Sache mit Will, die ich tatsächlich kurz vergessen hatte.
Ich musste zurück zu ihm und dem Rest.
Ich musste einfach.
Du musst ihn vergessen, sprach ich zu mir selbst.
Doch ich wusste, dass das nicht funktionieren würde.

Immer noch total durcheinander stolperte ich zurück zur Wiese und sah dann auch schon meine Freunde, die immer noch auf der Wiese saßen.

"Allison! Wo warst du?", fragte Bella und kam auf mich zu.
"Hey? Alles okay? Was ist denn?", fragte sie, hielt mich an den Schultern fest und durchbohrte mich mit ihrem besorgten Blick.

"Alles gut. Alles perfekt", antwortete ich und rappelte mich auf.
Ich musste mich jetzt zusammenreißen.
Ich musste jetzt stark sein, dachte ich und setzte mich mit Bella wieder in den Kreis zu den anderen.

Will saß mir gegenüber und wich meinem Blick immer noch aus.
Warum konnten wir nicht einfach weiter Freunde sein?
Warum hatte ich nur gesagt, dass ich ohne ihn nicht weiterleben konnte?
Ich hatte zwar nicht gesagt, dass ich ihn liebte, doch diese Worte hatten gereicht, um es ihm klarzumachen.
Die Blicke, das Handhalten und dann diese Worte... Das war wirklich genug, um es ihm endlich klarzumachen, dachte ich.

Meine Gedanken kreisten sich und mir wurde ganz schwindelig.
Verdammt, dachte ich und seufzte lauter als ich wollte.

"Wo warst du denn jetzt?", fragte Bella wieder, aber so leise, dass nur ich es hören konnte, während die anderen sich unterhielten.

"Nirgends. Ich bin einfach durch die Gegend gelaufen", flüsterte ich zurück und kassierte einen ungläubigen Blick von Bella, den ich aber ignorierte.

Mein Zustand war schwer zu beschreiben. Ich war einfach nur am Ende. Ich stand noch näher am Abgrund als ich es eh schon war.

Ich wollte einfach nur noch verschwinden.
Ich war innerlich tot, so fühlte es sich an.
Es fehlte nur noch, dass mein Herz endlich aufhörte, zu schlagen.

Depressionen. Depressiv. Deprimiert.

Die Worte schwirrten in meinem Kopf herum und die Stimmen fingen an, zu schreien.

Allison.
Er liebt dich nicht. Er kann dich nicht lieben.
Man kann dich nicht lieben.
Guck dich an.
Dass du dir die Hoffnung gemacht hast, dass er dich mag, war einfach nur armselig. Du bist naiv.

Am liebsten wollte ich schreien und weinen und einfach nur wegrennen.

Doch das ging nicht, denn ich war mit meinen Freunden aus Klinik Woods ausgebrochen und nun unterwegs mit ihnen zu dem See, wo ich früher mit meinem Vater gewesen war.
Ich musste jetzt durchhalten. Da gab es kein zurück mehr für mich, ganz einfach, dachte ich.

*

Ich lag auf meinem Rucksack und auf einer dünnen Matte von Nick. Zugedeckt war ich von meiner eigenen Jacke, aber es war eh nicht wirklich kalt.

Links neben mir lag Bella, rechts neben mir Lola. Die beiden Jungs lagen daneben.

Bella und Lola schliefen schon, die Jungs waren noch am Reden.

Über was sie sprachen, wusste ich nicht, denn ich verstand kaum etwas.

Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und schaute hoch zum Himmel, der dunkelblau gefärbt war.

Will liebte mich nicht.
Und das war irgendwie okay, obwohl es sehr weh tat.
Schließlich konnte ich von niemandem erwarten, dass er mich liebte.
Man konnte mich nicht lieben.

Ich war das komische, verdrehte Mädchen von nebenan, die jeden Tag ohne Freunde zur Schule lief und jeden Tag alleine nach Hause kam.
Ich war das Mädchen, was bis tief in die Nacht nachdachte.
Ich war das Mädchen, was in die Klinik gekommen war.

Wie sollte man mich lieben?

Ich verstand Will von Minute zu Minute mehr.
Ich verstand, dass er mich nicht liebte, denn ich tat es ja auch nicht.

Ich liebte mich ja auch nicht.
Wie sollte es dann irgendwer tun?

Freaks [wird überarbeitet]Where stories live. Discover now