13. Narben

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"Was ist mit dir, Allison?", seine dunklen Augen durchbohrten mich.
"Was soll mit mir sein?", fragte ich verwirrt.
"Woher hast du deine Narben?"
"Vom Kämpfen."
"Mit wem?", seine Stirn lag in Falten.
"Mit mir selber", murmelte ich und zupfte an meinem Pulli.
"Was hat dich so zerstört?"

"Ich hab mich selber zerstört, Will."

"Aber was hat dich dazu gebracht?"

"Halsschmerztabletten. Mein Vater und ich sind zur Apotheke gefahren, weil ich Halsschmerzen hatte, Will.
Er ist gegen einen Baum gefahren, Will."

Will schaute mich an und dann nahm er mich in den Arm.

"Ich bin schuld, Will."

"Nein, du kannst nichts dafür, dass er einen Unfall gebaut hat."

"Doch, Will. Ich hab Saft im Auto verschüttet und er hat sich tierisch aufgeregt. Er war so abgelenkt, dass er gegen einen Baum gefahren ist"
Ich spürte, wie Wills Atem stockte.

"Liz, du trägst trotzdem keine Schuld. Er hätte sich ja nicht so aufregen müssen, oder?"

Ich wusste, dass er es nett meinte, doch er hatte keine Ahnung.
"Nein. Es war ein Leihwagen und wir waren schon so gut wie pleite. Wie hätte er das denn bezahlen sollen?! Will, ich bin schuld.
Nicht mein Vater. Mein Vater wollte doch nur Tabletten für mich kaufen und ich hab ihn aufgeregt und dann ist er gegen einen Baum gefahren. Nach dem Aufprall ist meine Erinnerung verschwommen.
Ich weiß noch, dass irgendein Jogger den Krankenwagen gerufen hat und später, dass der Airbag zwar aufgegangen war, mein Vater aber trotzdem schwer verletzt gewesen war.
Will, das einzige, was ich hatte waren Halsschmerzen und eine Platzwunde und eine mittlere Gehirnerschütterung. Er ist auf dem OP- Tisch gestorben. Um 14:22 Uhr am 04. Januar. Das weiß ich noch."

"Wie alt warst du?"
"13."
Ich schluckte. Es war jetzt zwei Jahre her und es hörte nicht auf, wehzutun, wenn ich an ihn dachte.

"Ich erinnere mich an den Moment, als die Ärztin kam und mit meiner Mutter sprach. Ich saß währenddessen noch im Krankenzimmer, weil meine Platzwunde genäht wurde. Ich hatte so unfassbar Glück, Will.
Glück, dass ich nicht verdient hatte. Meine Mutter kam rein und sie weinte.
Sie versuchte es zurückzuhalten, doch schaffte es nicht. Ich wusste, dass er weg war.
Schon als er weggebracht wurde, wusste ich es. Seine Augen waren geschlossen, sein Mund leicht geöffnet. Ich wusste es einfach. Klar, da war die Hoffnung, dass alles wieder gut wurde, doch nein. Tief in mir drin wusste ich es. Jedenfalls denke ich das manchmal, wenn ich mich daran erinnere."

Will fuhr mir mit einer Hand über den Rücken.
"Will?"

"Ja?"

"Das ist das erste Mal, dass ich mit jemandem so darüber gesprochen habe."

"Du kannst immer mit mir reden. Über alles, okay?"

"Danke."

Er löste sich von mir und lächelte leicht.
"Ich will ja nicht komisch kommen, aber heute heiße ich nicht Will, sondern Thomas."

Ich boxte ihn leicht und lachte dann. "Okay, Thomas!"

Dann schauten wir uns lange an. Seine dunkelbraunen, fast schwarzen, Augen waren so viel schöner als meine langweiligen hellbraunen Augen.
Wir standen ganz nah beieinander und ich hörte und spürte, wie er langsam atmete und wie sein Herz klopfte. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast und mein Gesicht wurde ganz warm von seinem Pfefferminzatem, der mir leicht entgegenkam. Seine Hände lagen an meinem Rücken und meine Arme schlangen sich um seinen Nacken.
Unsere Lippen waren nur noch wenige Millimeter entfernt und das, was in meinem Körper vorging, war unbeschreiblich.
Mein Herz hüpfte auf und ab wie verrückt und meine Knie wurden ganz weich, doch er hielt mich.

Es klopfte an der Tür.

Will blieb stehen und starrte mich immer noch an. Dann schloss er die Augen und löste sich von mir.
Ich stand planlos in seinem Zimmer herum, während er wirklich genervt die Tür öffnete.
"Hey!", ich erkannte Bellas Stimme.
"Was ist?", krächzte Will und ich zuckte zusammen.
Warum war er auf einmal so genervt?
"Das sollte ich wohl eher dich fragen! Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du mit Lola, Nick und Ally und mir später noch raus willst. Ally muss ich noch fragen, aber sie wird sicher mitkommen!"
Ich trat etwas vor, damit sie mich sah.
"Ach, hey, Ally! Ich hatte dich schon gesucht!"
"Hey, Bella", grinste ich und Will drehte sich zu mir um mit einem fragenden Blick.
Ich nickte nur kurz und er stimmte zu.
"Ja, wir kommen."
"Okay", sagte Bella und lächelte überglücklich.
"Bis dann, also...", fügte sie hinzu und schaute mich mit einem verwirrten Blick an, der sehr wahrscheinlich sagen wollte: "Was geht hier vor sich?"
Doch bevor ich irgendwas sagen konnte, schloss sich die Tür und Will lehnte sich dagegen.

Seine grimmige Miene war verschwunden und er lächelte mich an.
"Was hast du denn auf einmal gegen Bella?", fragte ich und zog die Augenbrauen in die Höhe.

"Nichts. Ich hasse es nur, wenn ich bei wichtigen Dingen unterbrochen werde."

Mir wurde ganz heiß und ich war mir sehr sicher, dass ich gerade rot anlief, wie eine Tomate.

"K- Kann ich mal kurz in dein Bad?", stotterte ich und er grinste.

"Ja, Liz."

Ich stand vor dem kleinen Spiegel neben der Dusche, die jeder hatte und einer Toilette.
Mein Gesicht war rot, sehr rot, meine braunen Haare waren durcheinander und ich hatte dunkle Augenringe unter meinen braunen Augen.

Wie konnte er mich nur anlächeln und mich mögen?
Ich war nicht schön, dachte ich.
Äußerlich und innerlich. Wie konnte er mir so nah kommen und mich sogar fast küssen?
Ich verstand das alles nicht.
Ich war kein guter Mensch, warum mochte er mich? Und warum verbrachte er überhaupt Zeit mit mir?

Er klopfte an der Tür und ich lies ihn rein.
"Sorry, dass ich störe, aber du bist jetzt schon echt verdammt lang im Bad und ich wollte einfach sicher gehen, dass alles in Ordnung ist."

"Alles okay", murmelte ich und schaute ins Waschbecken.

"Echt?", fragte er und griff nach meiner Hand, die auf dem Waschbecken Rand lag.

"Ja, echt", sagte ich und schaute vorsichtig zu ihm hoch.
Er schaute mich an, mit seinen unbeschreiblich dunklen Augen.
Dann vernahm ich das Geräusch von Regen.
Klar, es war Mitte Juli, doch es war eindeutig Regen.
"Komm mit", grinste ich und zog Will mit aus seinem Zimmer nach draußen.

Freaks [wird überarbeitet]Where stories live. Discover now