20. Wiedersehen

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Mein Herz klopfte schneller. Nervosität oder Freude?
Oder beides?
Ich stand vor dem Besucherraum, wo ich auch mal mit Will gestanden hatte, als sein Bruder Peter gekommen war.

Aber nun war ich alleine und hatte ganz bewusst niemanden mitgenommen.
Denn ich musste einfach alleine sein mit meiner Mutter.
Und so betrat ich den Raum und sah sie direkt.

Meine Mutter sah aus wie immer und sie lächelte, als ich auf sie zu kam.
Doch sie war nicht alleine.
Neben ihr stand ein älterer Mann mit Halbglatze.
Wer war das denn jetzt?
"Hey, Schatz", hörte ich meine Mutter sagen und sie umarmte mich, doch ich sah nur den Typen hinter ihr, der verlegen zum Boden schaute.
Was wollte der hier?
Und wer war überhaupt?
"Hey, Mom", lächelte ich.

"Wie geht's dir, Engel?"
Sie überhäufte mich mit Fragen, die ich geduldig beantwortete. Hauptsächlich Fragen über Klinik Woods und ob es mir gut ginge.

"Jetzt muss ich aber mal fragen: Wen hast du da mitgebracht?"
Ich meinem Ton schwang mehr Verachtung mit, als ich wollte.
Der Mann schaute auf.
"Richard McMiller. Schön, Dich kennenzulernen, Allison."

Fragend schaute ich zu meiner Mutter und sie griff über den Tisch nach meiner Hand.
"Richard und ich führen eine Beziehung, Schatz."

Was?
Ich hatte mich doch verhört, oder?
Nein, das konnte sie nicht tun.
Nicht jetzt, nicht, wenn ich mich so auf die gefreut hatte.
Das konnte sie nicht bringen!

"Das ist ein schlechter Scherz", platzte es aus mir heraus.

"Allison!", mahnte mich meine Mutter entsetzt, doch die Wut kochte in mir, wie brodelnde Lava in einem Vulkan.

"Mom! Das kannst du nicht bringen! Nicht jetzt!"
Ich wurde lauter.

"Allison. Lass uns das doch ruhig und entspannt klären", schlug der Typ hinter meiner Mutter vor.

"Nein! Sie halten sich da raus, okay?! Das ist ne Sache zwischen meiner Mutter und mir!"

Meine Mutter riss entsetzt die Augen auf.
"Allison! Hör sofort auf, hier rumzuschreien und dazu auch noch so gemein zu sein!"

"Du bist gemein! Ich dachte, du kommst her, weil du dich für mich interessierst! Aber nein, du musst mir erst mal deinen neuen Freund präsentieren!"

Meine Mutter starrte mich völlig aufgelöst an, so hatte ich sie noch nie gesehen.

"Was erlaubst du dir?!", griff ihr dämlicher Freund ein.

"Klappe!", brüllte ich ihn an.

Ich hatte einen meiner Ausraster, das war klar.
Ich war so wütend auf meine Mutter, das konnte man nicht in Worte fassen.

"Allison Baker! Du hörst jetzt sofort auf und nimmst das zurück!"

"Was ist eigentlich mit Dad?", fragte ich sie laut und deutlich.

Sie schaute mich an, ihre Gesichtszüge spannten sich an.
"Nichts ist mit Dad, Allison!"

Das reichte mir endgültig.
Ich stand auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Wenn ich eins hasste, dann Streit, aber das musste ich ihr einfach sagen.
"So! Jetzt lass mir dir eins sagen: Du bist vielleicht meine Mutter und ja, ich freu mich, wenn du glücklich bist. Aber diese Aktion war echt deine schlimmste bis jetzt. Wirklich!
Wie konntest du mir die Freude nehmen, dich wiederzusehen!
Wie konntest du diesen Idioten mitbringen, nachdem wir uns ewig nicht gesehen hatten?!
Dad hätte das nie zugelassen. NIE! Hörst du mich?!
Er hätte das nie zugelassen!"
Meine Stimme wurde immer kratziger und ich merkte, wie die anderen Leute im Raum mich anstarrten.
Doch das spielte keine Rolle, denn die Worte, die meine Mutter als Antwort verwendete, rissen mich komplett aus der Bahn.

"Hättest du nicht im Auto gesessen, wäre er doch jetzt noch hier, Allison. Also verdammt nochmal, hör auf rum zu heulen!"

Kurz darauf schlug sie sich die Hand vor den Mund und man sah ihr an, dass sie diese Worte bereute.

Doch sie hatte sie ausgesprochen und sie konnte diese Worte nie wieder zurücknehmen.
Diese Worte brannten sich in mein Gedächtnis und sie würden nie verschwinden.
Denn meine Mutter brach mir damit mein kaputtes Herz.
Sie hatte mir zum ersten Mal offen gesagt, dass ich schuld war.
Ja, ich war schuld und ich wusste es. Doch das sie das aussprach, tat unfassbar weh.

"S-Schatz. Es tut mir leid. Ich - ich wollte das nicht!", sagte meine Mutter leise und Tränen liefen ihr übers Gesicht.

Diesmal nicht, nein.
Diesmal konnte ich ihr nicht verzeihen.
Noch nicht.
Ich brauchte Zeit und Abstand von ihr.
"Viel Glück noch", lächelte ich gebrochen und schaute zu meiner Mutter und ihrem Freund.

Dann ging ich.
Ich verlies den Raum und lies meine heulende Mutter zurück.

Sie hatte mich verletzt, sie hatte mich gebrochen.

Meine eigene Mutter.

Die Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen und ich rannte den Gang entlang zu meinem Zimmer.
Auf dem Weg war zum Glück kein Betreuer, der mich aufhalten konnte.

In meinem Zimmer angekommen, fing ich an zu schreien.
Ich schrie einfach drauf los und haute mit den Fäusten gegen die Wände, bis meine Knöchel aufrissen und bluteten.
Ich schrie und schrie und dann sackte ich auf dem Boden zusammen und heulte einfach.

Die Wut hatte ich rausgelassen, was folgte war der unerträgliche Schmerz und der Hass auf mich selbst und auf meine Mutter und auf die Welt.

Ich saß also neben der Wand, auf die ich eingeschlagen hatte und betrachtete heulend meine offenen Fingerknöchel. Das Blut lief an meiner Hand herunter und ein paar salzige Tränen mischten sich darunter.
Zischend schloss ich die Augen und genoss den Schmerz.

Ich musste hier weg.
Ich musste hier raus, ganz weit weg.

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