Müde kam Jungkook von der Arbeit. Es waren mittlerweile zwei Wochen vergangen, in denen Jimin kein Wort mehr mit seiner Familie gewechselt hatte. Das neue Jahr war angebrochen, Chanhyun käme nächste Woche zur Schule und Danbi würde in zwei Monaten den Kindergarten besuchen. Und doch fühlte sich momentan alles falsch an.
"Bin wieder Zuhause!"
Achtlos verstaute der Geschäftsmann seine Tasche. Draußen hatte es angefangen zu schneien und zu regnen. Er musste dringend in die Dusche, ihm war so eisig kalt. Seine Lackschuhe waren immerhin keine Winterschuhe, die dem unangenehmen Wetter stand halten konnten.
"Appa?"
Glücklich rannte Chanhyun auf seinen Vater zu. "Wo ist denn deine Schwester?" "Malen." "Und wo ist Jimin?" "Im Zimmer. Er hat gesagt, er braucht ganz viel Ruhe. Weil er ganz traurig ist. Ich habe ihn nicht gestört. War das richtig?" "Das war sehr richtig, Chanhyun. Vielen Dank. Ich komme gleich zu euch, dann spielen wir etwas. Ich schaue eben nach Jimin, in Ordnung?" "Er möchte nicht, dass jemand ins Zimmer geht." "Es ist ja auch mein Zimmer, Baby." "Oh, ja stimmt." Lachend umarmte Chanhyun Jungkooks Bein. "Ich bin dann jetzt malen, Appa." "Zeigst du mir nachher deine Bilder?" "Mhm. Mache ich. Oh, Appa?" "Ja mein Schatz?" "Danbi hat heute Pipi gemacht! In die Toilette!"
Überrascht riss Jungkook die Augen auf. Er hatte mit Jimin darüber gesprochen, das Mädchen nun von Windeln abzugewöhnen. Denn er wollte, dass sie im Kindergarten nicht mehr gewickelt werden müsste. Aber das es direkt am ersten Tag funktionierte, überraschte ihn sehr.
"Wie?"
"Sie macht das gut", lächelte Chanhyun. "Ich bin ganz stolz." "Du bist ein guter großer Bruder. Ich bin besonders stolz auf dich." Chanhyun fing breit zu strahlen an. Ihm schien das Kompliment zu gefallen. "Hab dich lieb, Appa." "Ich dich auch, Channie."
So schnell wie der Junge angeflitzt war, war er auch schon wieder davon. Und Jungkook machte sich auf den Weg, um nach seinem festen Freund zu schauen.
Leise klopfte er an ihrer gemeinsamen Zimmertür, ehe er eintrat. Jimin lag mit der Decke über seinen Körper gezogen auf seiner Betthälfte und schaute durch das Fenster in den dunklen Nachmittag. Lediglich das Licht der Stadt beleuchtete den Raum.
"Hallo Jimin."
Jungkook trat sanft an den Mann. Augenscheinlich hatte Jimin geweint. Seine Augen waren rot und auf seinen Wangen waren getrocknete Tränenspuren. "Was ist los?"
"Nichts."
"Das sieht mir nach mehr als nichts aus. Geht es dir gut?" "Körperlich ja." "Und sonst? Du bist traurig. Aber warum?"
"Meine Eltern."
Tief durchatmend setzte sich Jimin auf. "Sie haben mir ein Paket geschickt. Zumindest habe ich von ihnen ein Paket bekommen."
"Der Inhalt gefällt dir nicht?"
"Ich weiß es nicht."
"Darf ich es sehen?"
Still nickte der Amerikaner, ehe er aufstand. Er trug nur eine Unterhose, dazu einen weiten Pullover. Jungkook fand, dass der Mann für die Temperatur in diesem Raum unpassend gekleidet war. Es war fürchterlich kalt.
"Hier."
Jimin schob ein großes Paket in die Raummitte. Und Jungkook schaltete das Nachtlicht ein, um ein wenig besser sehen zu können.
Vorsicht öffnete er das Paket.
"Aber-"
Jungkook war verwirrt. Denn er kannte den Gegenstand, der oben auf dem Paket lag. Es war eine Fahne. Eine Regenbogenfahne. Und daneben lag ein Brief, den Jimin anscheinend schon gelesen haben musste. Die Fahne fand den Weg schnell aus dem Paket. Und darunter befanden sich einige Bilderrahmen, auf denen Jimin mit verschiedenen Personen zu sehen war. Anscheinend war das seine Familie, Jungkook kannte die Gesichter von anderen Bildern.
"Was ist das?"
"Mom hat geschrieben. Sie-Sie sind plötzlich doch damit okay, dass ich schwul bin. Es haben mir alle Briefe geschrieben. Dad, Mom selber, meine Schwestern Addison und Riley, meine Freunde Tony und Blake. Sie alle haben mir geschrieben, dass sie stolz auf meine Entscheidung sind. Aber es fühlt sich nicht so an."
"Hast du persönlich mit allen gesprochen?" "Nein. Ich will nicht. Also nicht heute." "Wollen wir morgen zusammen anrufen? Ich kann die ganze Zeit neben dir sitzen und deine Hand halten, wenn dir das hilft."
Still nickte Jimin. "Ich gehe kurz heiß waschen. Mir ist kalt." "Duschen muss ich auch noch", lächelte Jungkook. "Draußen spielt das Wetter wieder verrückt." "Duschen wir zusammen?"
Sofort nickte Jungkook. Er hatte nicht mit so einer Frage gerechnet. Aber anscheinend suchte Jimin gerade seine Nähe.
"Tut mir leid Jungkook."
"Was genau meinst du?"
"Ich-Ich habe die Kids alleine gelassen."
Still umarmte der Familienvater seinen Partner, ehe er ihm einen Kuss auf die Stirn hauchte.
"Du brauchst die Zeit alleine. Wir gehen jetzt duschen. Danach kannst du wieder alleine sein." "Kannst du bei mir bleiben? Ich-Ich fühle mich sad. Really sad. Like I'm a huge disappointment to everyone I know. I feel like I failed to be a real man. And I fear getting treated as my sexuality instead of being myself, you know?"
Jungkook verstand nicht wirklich, was Jimin von sich gab. Aber anscheinend half es ihm, seine Gefühle besser auszudrücken. Und wichtig war, dass Jimin sich alles von der Seele sprechen konnte. Deshalb unterbrach er ihn nicht.
Und als Jimin mit seiner kleineren Ansprache an sich selber fertig war, weinte er erneut. Er verstand sich selber nicht richtig. Er hatte sich Akzeptanz gewünscht, bekam diese nun und mochte sie nicht. Vielleicht, weil ihm das alles zu gequält rüberkam. Vielleicht, weil er zuerst abgelehnt wurde und man nicht auf seine Gefühle geachtet hatte.
Er verstand sich selber nicht. Am liebsten würde er sich erneut unter den Bettdecken verstecken, bis er keine Luft mehr bekäme und wohl oder übel zurück in die richtige Welt müsste.
"Geht es? Oder brauchst du Zeit zu zweit?" Sanft strich Jungkook Jimin eine etwas längere Haarsträhne aus der Stirn. Und dadurch kehrte Jimin zurück in die Realität.
"Duschen", hauchte er, weshalb Jungkook nickte.
"Duschen", antwortete er. Jimin brauchte gerade keine Worte.
Er brauchte Gesten.
Und die würde Jungkook ihm geben, bis es ihm besser gehen würde.

Au Pair ^JiKook^Onde histórias criam vida. Descubra agora