Through the years (Minsung)

24 - Han

Kapitel 24 - Han

Mitte Oktober 2023

„Jisung, du bist schon wieder falsch."
Ich hörte die anderen kichern, während sich Lee Know mit zuckender Augenbraue und in die Hüften gestemmten Fäusten vor mir aufbaute und jedem strengen Lehrer eindeutig Konkurrenz machte.
Beschämt ließ ich mich in die Hocke sinken und versteckte mich hinter meinen Armen. Ich spürte, wie Hände mitfühlend auf meinen Rücken klopften – wahrscheinlich war es Felix, der bis eben noch neben mir gestanden hatte. Heute war einfach nicht mein Tag. Okay, gestern auch nicht. Und die Tage davor – Ach, vergessen wir's.
Es war frustrierend und ich nervte mich selbst, weil ich durch meine Unfähigkeit das Training und das gesamte Team aufhielt. Es war zwar keiner ernsthaft böse auf mich, denn auch die anderen machten hin und wieder Fehler, nur leider häuften sie sich bei mir aktuell.

Ein Finger stupste mir gegen den Kopf, solange, bis ich schließlich wieder aufsah.
Lee Know hockte nur eine Armeslänge von mir entfernt. Seine dunklen Augen schienen mich regelrecht zu durchleuchten, dennoch saß ein verstecktes Grinsen in seinem Mundwinkel.
„Du kannst übrigens aufhören, auf meinem Kopf herumzutippen."
„Sicher? Vielleicht hilft es ja, dass du dir endlich die Schritte merkst", schmunzelte er.
Ich ließ die Aussage unbeantwortet und streckte ihm dafür sehr erwachsen die Zunge heraus, ehe ich mir noch einmal mit den Händen über das Gesicht rieb.
Jetzt musste es doch etwas werden!

Seufzend erhob ich mich, schüttelte kurz die Gliedmaßen aus, dann begab ich mich zurück auf meine Ausgangsposition. Im Vorbeigehen fing ich Hyunjins Grinsen auf, ich zuckte nur mit den Schultern. Er wusste, was los war. Natürlich, immerhin hatte ich in den letzten Tagen fast nichts anderes getan, als ihm – wie er es so nett formuliert hatte – die Ohren voll zu jammern – wenn ich nicht gerade mit Lee Know unterwegs oder mit der Arbeit beschäftigt war.
Außerdem: Ich jammerte nicht, ich brauchte nur Hilfe und Ideen.

„Kann's weitergehen?"
Obwohl Lee Know die Frage in die Runde stellte, lag sein Blick prüfend auf mir. Mehrstimmiges Gemurmel erklang.
Obwohl ich ihn schon so lange kannte, mittlerweile auch mit Facetten, die er nur mir gegenüber durchblicken ließ, war es dieser strenge Ausdruck in seinen Augen, der mir stets einen leichten Schauder über den Rücken laufen ließ. Irgendwie mochte ich es sehr, ihn in seiner Trainerrolle zu sehen. Es machte etwas mit mir.

Seine Augenbrauen wanderten leicht nach oben und erinnerten mich daran, dass er eine Frage gestellt hatte. Ich beeilte mich zu nicken, Chan kicherte neben mir leise.
Oh Mann, ich musste mich wirklich zusammenreißen. Es fiel mir nur so schwer, denn meine Gedanken drifteten ständig ab. Mein Kopf war zu voll und fühlte sich gleichzeitig leer an, weil ich einfach nicht vorankam. Und wer war schuld? Natürlich Lee Know. Oder vielmehr sein Geburtstag, der in unaufhaltsamen Schritten immer näher rückte.
Was für mich in den vergangenen Jahren ein Grund zur Freude gewesen war, setzte mich seit letztem Jahr gehörig unter Druck. Und ich hatte partout keine Idee, was ich machen sollte.
Zwar hatten wir seinen Geburtstag letztes Jahr nicht direkt gefeiert, da wir in dem Zeitraum als Band viele Termine hatten absolvieren müssen, doch wenige Tage später hatte ich Lee Know zu einem Ausflug entführt. Nur wir beide und wir hatten –
Selbst wenn ich jetzt daran zurückdachte, bekam ich noch Herzklopfen.
Es war der Tag unseres ersten Kusses gewesen.
Himmel, war das wirklich fast ein Jahr her? Oder sollte ich viel mehr sagen: erst?
In der Zwischenzeit war so viel passiert und ich hatte das Gefühl, schon ewig mit ihm zusammen zu sein.

So schön Lee Knows letzter Geburtstag gewesen war, so sehr stresste er mich jetzt. Denn ich hatte das Gefühl, dass es dieses Mal mindestens genauso, wenn nicht gar besser werden musste. Aber wie sollte etwas besser werden, wenn es denn schon perfekt gewesen war?
Genau solche Fragen hatte ich Hyunjin immer wieder gestellt, inzwischen reagierte er nur noch mit einem Augenrollen darauf. Er hatte mir anfangs einige Anregungen geliefert, aber sie alle hatten mir nicht genügt, weshalb er es inzwischen aufgegeben hatte und seither mein – ja, okay – Gejammer schweigend ertrug.
Was sollte ich tun? Mir fiel nichts Passendes ein, nicht mal eine klitzekleine Geschenkidee.
Wahrscheinlich würde Lee Know mich für verrückt erklären, nur weil ich einen derartigen Aufriss machte, nur konnte ich gerade einfach nicht anders. Das Thema beschäftigte mich. Besonders da mir Lee Know vor wenigen Wochen einen so schönen Geburtstag bereitet hatte.

Ein kleines Lächeln huschte unwillkürlich über meine Lippen, als ich an den kleinen, gravierten Anhänger dachte, der sich momentan in meiner Trainingstasche befand.
Wir beide teilten viele Sachen, seien es Klamotten, Brillen oder Schmuck. Die Fans liebten es, wenn sie mal wieder etwas an uns entdeckten, das vorher der andere getragen hatte oder wenn wir sogenannten Partner-Schmuck, wie unsere Armbänder von der Insel Jeju, trugen. Leider war mir meins vor einigen Monaten kaputtgegangen, seither bewahrte Lee Know das Gegenstück dazu in einer kleinen Kiste neben seinem Bett auf.
Der Kettenanhänger, den er mir geschenkt hatte, war ein Ersatz für die Armbänder und hatte ebenfalls ein Gegenstück. Im Moment verbarg sich dieses unter Lee Knows Shirt, wie das kurze, silberne Aufblitzen unter seinem Kragen verriet.
Nur dieses Mal wollten wir die beiden Ketten, die sich so wunderbar ergänzen, nicht öffentlich zeigen, wie wir es bisher getan hatten. Sie waren privat und nur für uns.
Wie sollte ich das nur toppen?

Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken. Alle Blicke lagen auf mir.
Shit, ich war schon wieder abgelenkt gewesen.
Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Wenn das so weiterging, musste ich wirklich noch eine Auszeit beantragen, nur um meinen Kopf geordnet zu bekommen.

„Jetzt?"
Ich straffte die Schultern und konzentrierte mich auf das halb verborgene Glitzern an Lee Knows Kragen, um so für einen kurzen Moment die Gedanken zum Schweigen zu kriegen.
„Ja, jetzt. Bin bereit."