18 - Han

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Kapitel 18 - Han

Ende Juli 2023

Das Blut pulsierte durch meine Adern. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mich hinter Lee Know kniete, seinen warmen Körper dicht an meinen zog.
Sollte ich das wirklich tun?
Ich glaubte, seinen kräftigen Herzschlag an meiner Brust zu spüren, aber vielleicht war es auch nur mein eigener.
Die Blicke der anderen lagen auf uns, ich hörte ihre Stimmen, doch ich verstand sie nicht. Da war nur ein stetiges Rauschen in meinen Ohren, das alles andere in den Hintergrund rücken ließ. Vergessen waren die unzähligen Kameras im Raum, unsere Crew, die uns durch die Challenge leitete, und selbst die Jungs.
Alles, worauf ich mich konzentrieren konnte, war Lee Know.
Die Zeit schien immer zäher zu laufen, beinahe stehen zu bleiben. Langsam senkte ich den Kopf, atmete seinen vertrauten Geruch ein. Wie in Trance drückte ich meine Lippen auf die weiche Haut, fühlte seine Wärme und die –

„Uff!"
Erschrocken riss ich die Augen auf und blinzelte in das grelle Licht. Ich brauchte einige Sekunden, um richtig zu begreifen. Ein ungewohntes Gewicht trampelte auf meinem Bauch herum, ehe es sich hinsetzte und mich hechelnd ansah.
Ich unterdrückte ein Stöhnen und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Mann, Bbama!", nuschelte ich in meine Handflächen. „Hättest du nicht noch zwei Minuten warten können? Es war gerade so schön."

Ein fragendes Winseln antwortete mir, während ich versuchte, die letzten Traumbilder festzuhalten. Gut, es waren weniger Traumbilder als Erinnerungen.
Ein versonnenes Lächeln legte sich auf meine Lippen.
War es wirklich schon fast ein Jahr her, seit ich es das erste Mal gewagt hatte, Lee Know zu küssen? Gut, es war nur ein viel zu kurzer Kuss in den Nacken gewesen, dennoch hatte es dazu geführt, dass sich unsere bis dahin freundschaftliche Beziehung veränderte.
Ein altbekanntes Kribbeln flutete meinen Bauch. Am liebsten hätte ich dämlich grinsend mit den Beinen gestrampelt, um die aufwallenden Emotionen irgendwie in den Griff zu bekommen. Stattdessen griff ich nach meinem Hündchen und drückte es fest an mich, das Gesicht in seinem Fell vergrabend.
Himmel, war das – keine Ahnung. Ich konnte die Gefühle kaum beschreiben, die in mir waberten. Obwohl Lee Know und ich uns schon immer nahe gestanden hatten und wir inzwischen so etwas wie eine ernstzunehmende Beziehung führten und ich das Ganze eigentlich gewohnt sein sollte, schafften es bloße Erinnerungsstücke, meinen Körper jedes Mal in Aufruhr zu versetzen und in meinen Magen hunderte Schmetterlinge auf einmal losflattern zu lassen.
Ob das jemals wieder aufhörte?
Hoffentlich nicht.

Bbama wurde unruhig in meinen Armen, sodass ich ihn schließlich loslassen musste. Doch statt wieder ins kühle Innere des Hauses zu fliehen, machte er es sich neben mir im Schatten gemütlich. Ein warmes Sommerlüftchen strich hauchzart über meine Haut, die Grillen zirpten leise. So ließ es sich aushalten.
Zufrieden seufzend blieb ich auf dem Rücken liegen, schloss die Augen und lauschte auf die Umgebungsgeräusche. Da waren gedämpfte Schritte im Haus, das leise Knarren der Holzdielen. Irgendwo fuhr ein Auto durch eine der Nebenstraßen. Einige Vögel zwitscherten in den Bäumen, während der Wind leise durch die Blätter wehte.
Sosehr ich das Großstadtleben in Seoul zu lieben gelernt hatte, so sehr vermisste ich manchmal diese ruhigen Momente hier im Garten meiner Oma. Inzwischen konnte ich sehr gut nachvollziehen, was Lee Know so sehr am Camping schätzte: Ruhe und Natur. Das hier fühlte sich für mich ähnlich an: herrlich entspannend.
Und natürlich fehlte mir auch Bbama sehr. Viel zu selten hatte ich Zeit für ihn, weshalb ich bei jeder Begegnung fürchtete, dass er mich irgendwann nicht mehr erkennen würde. In unseren Wohnungen durften keine Haustiere gehalten werden, weshalb er für gewöhnlich bei meinen Eltern lebte. Doch da sie momentan unterwegs waren, war er bei Oma untergekommen. Glück für mich, denn so konnte ich beide nach etlichen Monaten endlich mal wiedersehen.

„Möchtest du ein Eis, Jisung?"
Die weiche Stimme meiner Großmutter ließ mich aufsehen. Da stand sie, wie schon in meiner Kindheit, in der Tür zur Terrasse, mit diesem warmen Lächeln auf den Lippen, das mir jedes Mal ein Gefühl von Zuhause gab. Zwar war sie faltiger geworden, ihr dunkles Haar inzwischen ergraut, auch wirkte sie etwas kleiner als früher. Aber sonst hatte sich kaum etwas geändert.

Through the years (Minsung)Where stories live. Discover now