Nur fünf Minuten

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16 Jahre alt, Clarisia

Der mächtige Wolf schleuderte sein Gegenüber durch die Luft.
Die helle Gestalt blieb regungslos auf dem Boden liegen und die Angst schlich sich eiskalt in meinen Brustkorb.
Mit angehaltenem Atem sah ich zu, wie unser Alpha sich zurück in seine Menschengestalt verwandelte.

"Steh auf!", befahl er mit schneidender Stimme.
Der sandfarbene Wolf wurde langsam kleiner, das dichte Fell zog sich in die Haut zurück.
Etliche Schrammen bedeckten Damiens Körper. Er stemmte sich auf die Knie und wollte sich erheben, doch seine Beine gaben nach.
"Ich kann nicht", brachte er heraus.
"Du musst", erwiderte sein Vater in einem Tonfall, der keine Widerrede zuliess.
"Du bist ein Alpha. Wenn du nicht mehr aufstehst, tötet dich dein Gegenüber."

Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam Damien schwankend auf die Füsse.
Staub und Blut bedeckten seine verschwitzte Haut.
"Sieh mich an", forderte unser Alpha. "Sieh deinem Feind stets in die Augen, er darf nicht erkennen, dass du Angst hast."
"Ich habe keine Angst!", entgegnete Damien heftig.
Er hob das Kinn und starrte seinem Vater ins Gesicht, doch sein Körper zitterte wie welkes Laub im Wind.

"Komm, lass uns gehen." Florin legte einen Arm um meine Schultern, sanft zog er mich fort.
Am Abend suchte ich vergeblich das Jugendhaus nach Damiens grosser Gestalt ab.
"Wo ist Damien?", fragte ich schliesslich Jayce, der es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte.
"Oben", antwortete er, ohne den Blick vom Fernseher zu lösen.
Ich räusperte mich. "Wie geht es ihm?"
"Gut." Jayce zuckte mit den Schultern. "Er wollte nichts essen, aber er hat gesagt, dass es ihm gut gehe."

Ich verzog die Lippen zu einem schmalen Strich. Nachdem ich eine halbe Stunde mit mir selbst gerungen hatte, tapste ich die Stufen hoch und klopfte an seine Tür.
"Lass mich in Ruhe", ertönte seine tiefe Stimme durch das Holz.
"Jayce hat gesagt, dass du nichts gegessen hast", sagte ich. "Ich habe dir Schokolade mitgebracht."
"Geh weg", erwiderte er gereizt.
Am liebsten hätte ich mich umgedreht und getan, was er gesagt hatte.
Doch das Gewissen nagte an mir, das war ich ihm schuldig.

"Die Schokolade mit der Milchfüllung", doppelte ich nach.
Einen kurzen Moment herrschte Schweigen.
Dann hörte ich das Rascheln der Bettdecke. "Komm rein."
Mit einem tiefen Atemzug stiess ich die Tür einen Spaltbreit auf.
Ich straffte die Schultern und trat in sein Zimmer. Auf dem Pult stapelten sich Bücher über fremde Werwolfsrudel, dreckige Wäsche lag zerstreut auf dem Boden. Ein Poster einer Band war an die Wand gepinnt. Das Bild darauf wirkte düster, die Bandmitglieder trugen gruselige Masken.
Slipknot, entzifferte ich den roten Schriftzug.
Mein Blick fiel auf Damien, der sich wankend von seinem Bett erhob, die Zähne zusammen gebissen, sodass die Kiefermuskeln hervortraten.

"Meine Güte, du musst nicht aufstehen", sagte ich hastig. "Ich bin nicht dein Feind."
Damien trug ein weisses Shirt, welches ihm zwei Nummern zu gross war und graue Boxershorts.
Obwohl ich ihn bei den Verwandlungen schon oft in Unterwäsche gesehen hatte, beschlich mich ein beklemmendes Gefühl.
Das hier war anders.
Hastig lenkte ich meinen Blick hinauf in sein Gesicht. Seine gleichgültige Maske war gefallen, ich konnte den Schmerz auf seinen Zügen erkennen.

"Wo ist die Schokolade?" Auffordernd streckte er eine Hand aus, mit der anderen stützte er sich am Bettpfosten ab.
"Setz dich hin", wies ich ihn an. "Dann gebe ich sie dir."
Lamgsam liess er sich auf die Matratze sinken, ein tiefer Seufzer hob seine Brust.
Mit gerunzelter Stirn drückte ich ihm die Tafel Milchschokolade in die Finger.
Die Verpackung raschelte leise, als er sie öffnete. Verkrustetes Blut klebte an Damiens geschwollenen Lippen und ein blauer Schatten hatte sich bereits über sein rechtes Auge gelegt.
Mein Blick fiel auf sein Schienbein, an dem sich ein riesiger, dunkler Bluterguss ausgebreitet hatte.

Aufbrausend, Ahnungslos, AlphaDove le storie prendono vita. Scoprilo ora