Hintern

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Clarisia

Lorelie rührte mit versunkener Miene Honig in ihren Tee.
Der Löffel klirrte leise am Innern der Tasse.
"Lori?" Mit gerunzelter Stirn sah ich meine Freundin an.
"Hm?" Sie hob den Kopf, ein Schleier trübte ihre Augen, als wäre sie in einen tiefen Traum versunken.

Ich seufzte und strich beruhigend über ihren Rücken. "Es ist dein Wolf, nicht wahr?"
Lorelie nickte. Mit einem Scheppern legte sie den Löffel auf den kleinen Porzellanteller.
"Bei mir war es genauso vor meinem achtzehnten Geburtstag", sagte ich und nahm einen Schluck Tee, der mir sogleich die Zunge verbrannte.
Ich zuckte mit den Schultern. "Eigentlich ist es immer noch so."

"Du machst mir Mut!" Lorelie stöhnte entsetzt auf. "Ich hoffe nur, dass ich mich bald nach meiner Reife prägen werde."
"Ja." Ich senkte den Blick auf die Tischplatte. "Das hoffe ich auch für dich."

Seit dem Kindergarten war ich mit Lorelie befreundet. Sie hatte dieselben braunen Haare wie ich, doch ihre Augen hatten die Farbe eines tiefen Bergsees, strahlend und von dunklem Blau.
Stets hatte ich sie um ihre Augenfarbe beneidet, bis ich herausfand, dass sie neidisch auf meine braunen Augen war.
Seit diesem Tag waren wir Freunde.
Beste Freunde.

"Tschüss, Cass." Meine Mutter rauschte in die Küche und drückte mir einen Kuss auf die Wange. "Schön, dass ihr da wart."
Ich erwiderte ihr Lächeln und sah zu, wie sie zur Tür ging.
"Lori, komm bald mal wieder vorbei, ja?", rief meine Mutter über die Schulter und Lorelie hob zum Abschied die Hand.

"Jonah, du hast den Nachtisch verpasst", hörte ich die Stimme meiner Mutter, als sie über die Schwelle trat.
"Tut mir leid, Mam", entgegnete mein Bruder mit seiner tiefen Stimme. "Ich komme morgen Abend nochmal vorbei, versprochen."
"Wehe du vergisst es, junger Mann!" Mit dieser scherzhaften Drohung entfernten sich die Schritte meiner Mutter.

"Mädels!"
Ich drehte mich zu meinem Bruder um, der sich aus den Schuhen zwängte und in die Küche auf uns zusteuerte.
Jonah fuhr sich mit der kräftigen Hand durch sein wildes, braunes Haar, ein amüsiertes Lächeln auf dem Gesicht.
Ein kleines Grübchen bildete sich in seiner Wange und die warmen Augen begannen zu strahlen.

"Hallo Jonah", sagte Lorelie leise.
"Lori, hey", erwiderte Jonah und sein Lächeln wurde noch breiter. "Und wie geht es meiner Lieblingsschwester?"
Er legte den Arm um meine Schultern und drückte fest zu, sodass ich nach Luft schnappte.
"Ich bin deine einzige Schwester", grummelte ich, doch das Lachen meines Bruders wirkte ansteckend.

"Teeparty?" Jonah spähte in meine dampfende Tasse und zog eine dunkle Brauen in die Höhe.
Ich sah ihn vielsagend an. "Eigentlich wollten wir über Jungs lästern."
Lorelie kicherte in ihre Tasse.
Jonah lehnte mit verschränkten Armen gegen den Tisch. "Nun, lasst euch von mir nicht davon abhalten."
Grinsend stiess ich ihn gegen die Schulter. "Verzieh dich!"

"Hat es Nachtisch übrig?", wollte er wissen, während er mich unter dem Tisch in den Oberschenkel zwickte, sodass Lorelie es nicht sehen konnte.
Ich zuckte zusammen und schlug nach ihm, doch er wich geschickt aus.
"Im Kühlschrank", antwortete ich genervt.
Jonah trollte sich, nicht ohne meine Freundin charmant anzulächeln.

"Du willst also über Jungs tratschen?" Lorelies Gesicht begann zu leuchten und ich lachte verlegen auf. "Na, ich höre!"
Ich senkte meine Stimme, damit mein Bruder micht nicht verstehen konnte, der hinter der offenen Kühlschranktür zu uns herüberspähte.

"Luke ist letztens vor dem Fernseher eingeschlafen und du glaubst nicht, wie süss er aussah", flüsterte ich.
"Oh, ja, er ist wirklich zum Anbeissen", pflichtete mir Lorelie entzückt bei.
"Wer?" Die tiefe Stimme liess mich zusammen zucken.
"Geht dich nichts an!", rief ich meinem Bruder zu, der nun an der Kühlschranktür lehnte und mit den Händen ein riesiges Stück Schwarzwälder Kirschtorte verspeiste.

"Ach, kommt schon", bettelte er mit vollem Mund. "Ich will auch Teil eurer kleinen, geheimnisvollen Besprechung sein."
Etwas Sahne tropfte von seinen Fingern und klatschte mit einem unappetitlichen Geräusch auf die Fliesen. "Ups."

"Na gut." Ich fixierte Jonah über den Küchentisch hinweg. "Luke ist im Wohnzimmer eingeschlafen und er sah so sexy aus, dass ich ihn am liebsten mit in mein Zimmer genommen hätte.
Oh und Jayce hat gestern beim Training aus Versehen sein Shirt zerrissen, heilige Mutter Gottes, sein Körper ist echt geil!"

Mein Bruder erbleichte, die Hand mit der Torte auf halbem Weg zu seinem Mund erstarrt. Nur mit Mühe konnte ich ein Grinsen unterdrücken und fuhr fort:
"Ach und Damien ist zwar ein riesiger Arsch, dafür hat er einen süssen Hintern. Von dem würde ich mich gerne mal vögeln lassen. Und nicht zu vergessen, Derik! Oh mein Gott!"
Ich schlug die Hände zusammen und sah hoch an die Decke. "Nur schon, wenn ich in seine stahlblauen Augen sehe, beginnt mein Blut zu kochen!"

Jonah blickte hinab auf die Torte in seinen Händen und schluckte schwer.
"Mir ist schlecht."
Lorelie brach in lautes Gelächter aus und ich konnte nicht anders, als mit einzustimmen.
"Wisst ihr was?" Mein Bruder legte das zerdrückte Stück Torte zurück in den Kühlschrank und wusch sich die Hände.
"Mir ist gerade eingefallen, dass ich mich mit sexy Luke zum Fussballspielen verabredet habe."

Ich zuckte mit gespieltem Bedauern mit den Schultern. "Wie schade, gerade eben wurde es erst interessant."
Jonah runzelte zweifelnd die Stirn, zögernd kam er in meine Nähe, doch überlegte es sich offenbar anders.
Ich sprang von meinem Stuhl, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange.

"Ew!", schrie er entsetzt. "Komm mit deinem dreckigen Mund nicht in meine Nähe!"
Er stieg in seine Schuhe und schüttelte mit angewiderter Miene den Kopf. "Meine Güte, Cass! Was hast du mit meiner unschuldigen, kleinen Schwester gemacht?"

"Du hast sie verdorben", entgegnete ich frech und für eine Sekunde starrten wir uns in die Augen.
Ein Lächeln zauberte das kleine Grübchen in Jonahs Wange. "Da muss ich dir Wohl oder Übel Recht geben."
"Lori, pass ja auf, dass sie keine Dummheiten macht!" Mein Bruder salutierte und flüchtete hinaus ins Freie.
"Wird gemacht, Sir!", rief Lorelie ihm grinsend hinterher.

"Gott, Brüder!" Ich rollte mit den Augen und nahm einen weiteren Schluck von meinem Tee, der inzwischen abgekühlt war.
"So schnell habe ich noch nie deine Vorlieben für Jungs aus dir herausbekommen", entgegnete Lorelie mit einem schelmischen Leuchten in den Augen.

Ich legte den Kopf in den Nacken und lachte. "Das war gelogen!"
"Ja, klar", entgegnete sie neckisch.
"Gut, dann kannst du mir jetzt erzählen, auf wen du stehst!" Ich stiess sie spielerisch gegen die Schulter. "Meine düsteren Geheimnisse kennst du nun ja schon."
Lorelie kicherte in ihren Tee. "Tja, also Luke würde ich definitiv nicht von der Bettkante stossen."
"Uhu", machte ich und wackelte anzüglich mit den Brauen.

"Hast du eigentlich eine Vorahnung, wer dein Gegährte sein könnte?", fragte ich nach kurzem Schweigen.
Lorelie zuckte mit den Schultern. "Ich weiss nicht. Eine Weile lang dachte ich, dass ich mich vielleicht auf Derik prägen würde."
Sie hob den Kopf, sodass ich in ihre tiefblauen Augen sehen konnte. "Aber ich fühle mich körperlich überhaupt nicht zu ihm hingezogen."

"Hm." Ich wiegte den Kopf. "Und Jayce?"
Sie zog ihre spitze Nase kraus. "Ach, nein, er ist mir zu kindisch."
Ich lachte leise. "Das wird der Mondgöttin ziemlich egal sein."
Ein Grinsen breitete sich auf Lorelies Gesicht aus. "Nun, das stimmt. Ann muss sich auch mit Brians kindischem Getue herumschlagen."

"Dann würde ich sagen, geniessen wir die Freiheit bis zu deinem Geburtstag." Ich hob feierlich meine Tasse in die Höhe und Lorelie stiess mit ihrer Tasse an.
"Auf die Freiheit vor kindischen Gefährten!"

Aufbrausend, Ahnungslos, AlphaWhere stories live. Discover now