Kapitel 45

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Jackys Sicht:

*zwei Wochen später*

Morgen ist Linneas erster Schultag. Wir sind gerade Shoppen. Linnea sucht sich ein paar Oberteile und Hosen aus. Danach gehen wir in einen Schreibwarenladen und kaufen alles, was sie für die Schule braucht. Sie kann schon lesen, zum Beispiel Fenster, Tier, Stift, Haus, also kurze Wörter. Schreiben kann sie so kurze Wörter auch schon, allerdings ist ihre Handschrift ein bisschen krakelig. Ihr scheint es gut zu gehen, sie redet und lacht viel mit uns. Nachmittags hat sie Psychotherapie, die von der Klinik angeordnet wurde. Das Erlebnis sei vermutlich retraumatisierend für sie, meinten die Ärzte. 

Linneas Sicht:

Ich bin gerade mit Jacky Schulsachen einkaufen. Ich kann schon einigermaßen gut lesen und ein bisschen schreiben. Morgen habe ich meinen ersten Schultag. Ich hoffe ich finde schnell Freunde, aber das Problem ist dass ich keine Ahnung habe wie man Freunde bekommt. Ich glaube Jacky denkt, dass es mir super geht. Was sie nicht weiß, ist dass ich jede Nacht mindestens einen Albtraum habe. Dann hole ich mir Xanax aus ihrem Schrank. Das weiß sie nicht. Ohne Xanax ist es mir schon fast unmöglich, zu schlafen. Als wir wieder zu Hause sind, lege ich mich neben Paula aufs Sofa. Hoffentlich wundern sich die Anderen nicht dass ich soviel schlafe.

Er kommt auf mich zu. Schließt seine Hände um meinen Hals. Ich versuche panisch irgendwie Luft in meine Lungen zu bekommen. Trete und schlage um mich. Jemand rüttelt an meiner Schulter. "Linnea, möchtest du mir helfen Abendessen zu kochen?" ich bin plötzlich wach und setze mich auf. Er war doch eben noch hier! Jetzt ist hier kein geisteskranker Entführer, sondern nur Paula die neben mir sitzt und ihr Buch liest. "Äh, ja gerne." sage ich. Paula legt ihr Buch weg und wir gehen in die Küche. Gerade kommt er um die Ecke. Ich zucke heftig zusammen. "Tschuldigung, hab ich dich erschreckt?" fragt er. Auf einmal ist er nicht mehr er, sondern nur Dustin. Ich nicke. "Geht schon wieder." sage ich und starre ihm hinterher. Warum sehe ich in gefühlt jeder männlichen Person dieses Arschloch, das mich entführt hat, obwohl er nicht hier sein kann? Mit Franco und den Ärzten in der KaS ist mir das auch schon passiert. Mein Herz schlägt wie sonst was. Schnell husche ich zu Paula und helfe ihr beim Kochen. Wir lachen viel und es macht Spaß mit ihr zu kochen. Dann decken wir den Tisch und rufen die Anderen zum Essen. Das Curry riecht gut. Ich esse einen richtig großen Teller davon.

Ich liege schon im Bett und freue mich auf morgen. Ich lerne Menschen in meinem Alter kennen und kann endlich in die Schule gehen. Aber was ist wenn die mich alle nicht mögen? Ich bin total aufgeregt. Vielleicht finde ich ja auch am ersten Tag eine richtig gute Freundin. Das ist ein schöner Gedanke, weshalb ich ihn immer wieder in meinem Kopf wiederhole. 

Um sechs Uhr weckt Jacky mich. Ich glaube ich bin in meinem Leben noch nie so früh aufgestanden. Eigentlich müsste ich ja müde sein, aber meine Aufregung erlaubt es mir nicht.


Jacky klopft an die Tür des Sekretariats und umarmt mich noch zum Abschied Dann geht sie. Die Sekretärin führt mich einmal kurz durchs Schulgebäude und dann zu meinem Klassenraum. Ich sehe mich um. Ca. 20 Mädchen und Jungen starren mich an. Eine in der hintersten Reihe besonders. Es gibt drei Viererreihen auf jeder Seite des Klassenraums, sodass in der Mitte eine Art Gang ist. Das Mädchen sitzt mit zwei anderen Mädchen in der letzten Reihe. Neben ihr ist noch ein Platz frei.

"Hallo Linnea!" begrüßt mich die Lehrerin. Sie sieht ganz nett aus. Die Sekretärin schiebt mich nach vorne vor die Tafel. Ich starre die Anderen an, da ich noch nie wirklich andere Jugendliche gesehen habe. Ein Paar flüstern während sie zu mir sehen. 

"Magst du dich vorstellen, also Name, Alter, und so?"

"Ähm, ja. Ich bin Linnea und ich bin 14." sage ich knapp. Ich bin immer noch zu beschäftigt damit, die Anderen anzustarren.

"Dann setz dich doch mal hin. Wir haben hier vorne noch einen Platz frei, neben Mark und dort hinten einen neben Nano." Ich gehe nach hinten zu dem Mädchen das mich eben so angestarrt hat. Hieß nicht diese eine angebliche Freundin von mir aus dem Kindergarten Nano?

ca. 10 Minuten vorher:

Nanos Sicht:

"Wir bekommen heute eine neue Schülerin. Ihr Name ist Linnea. Sie kann nicht perfekt lesen und schreiben, da sie entführt und gefangen halten wurde seit sie vier war. Seid also bitte freundlich zu ihr. Sie hat eine traumatische Vergangenheit. Hoffentlich findet sie hier schnell Anschluss in der Klasse, mh?" informiert uns Frau Patz. Vor zehn Jahren wurde eine meiner besten Freundinnen aus dem Kindergarten entführt, und sie hieß auch Lina, oder irgendwas mit L-. Aber sie wurde nie gefunden und von der Polizei für tot erklärt, also kann sie es nicht sein. Etwa zehn Minuten später kommt ein Mädchen in die Klasse. Sie soll sich vorstellen und ist ebenfalls vierzehn, also so alt wie die meisten in der Klasse. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor. Allerdings war sie schwer verletzt als ich sie das letzte mal im Spielhaus des Schulhofes versorgt habe. Anscheinend hat sie ihre Verletzungen überlebt.

Als sie sich eine Platz aussuchen soll, hat sie die Wahl zwischen neben mir oder Mark zu sitzen. Sie setzt sich neben mich, was ich ihr nicht übel nehme, da Mark ein absolutes Arschloch ist. Angeblich hat er schon zwei Anzeigen wegen übergriffigem Verhalten am Hals, weshalb sich die meisten Mädchen aus der Klasse von ihm fernhalten. Sie hat Verbände um beide Unterarme und humpelt leicht. An ihrem Hals sind feine weiße Linien zu sehen, die ein Wort zu bilden scheinen. Ich nehme mir vor, sie in der Pause anzusprechen.

Der Wind in meinem GesichtWhere stories live. Discover now