Kapitel 30

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Jackys Sicht:

Brutal zerrt er mich in die kleine Kammer, in der Linnea immer noch bewusstlos zu unseren Füßen liegt. Er öffnet mit einem Schlüssel, den er aus seiner Hosentasche holt, einen Wandschrank den ich vorher noch nicht bemerkt habe. Während er mich mit einem Arm im Schwitzkasten hält, öffnet er den Schrank mit der anderen Hand. Zangen, Hämmer,  Nägel, Bretter. Man könnte glatt denken, dass sich hier eine Werkstatt befindet, doch die Blutflecken die sich an den Werkzeugen befinden zeugen von einer Art Folterkeller. Aus einem Fach nimmt er ein Seil, bindet meine Handgelenke auf den Rücken und auch meine Fußknöchel zusammen. Er zieht mir einen Sack über den Kopf. Ich zapple wie wild, ich kann Linnea hier nicht alleine lassen. Mühelos wirft er mich über die Schulter und ich werde weggetragen. Ich höre Türen, Schlösser, wie er eine Treppe hoch steigt, dann wie sich die Heckklappe eines Autos öffnet. Er wirft mich in den Kofferraum und steigt vorne ein, das Auto fährt los. Verdammt.


Paulas Sicht: 

Als ich nach dem Unfall im Krankenhaus aufgewacht bin, konnte ich mich an nichts erinnern. Doch als Dustin mich besuchen kam und erzählte, dass ich Jacky und Linnea abholen wollte, kommen alle Erinnerungen zurück: der Feldweg, der fremde Wagen, mein Ausweichmanöver und letztendlich auch der Baum. Mir ging es einigermaßen gut, aber Linnea und Jacky werden immer noch vermisst. Die Polizei hat keine Spur. Dustin und ich sind zurück nach Köln gefahren.


Jackys Sicht:

Während der Fahrt versuche ich meine Fesseln zu lösen. Funktioniert aber nicht, er hat die Fesseln zu fest gezogen. So fest, dass meine Hände und Füße anfangen zu kribbeln. Nach einer gefühlten Ewigkeit hält das Auto und die Kofferraumklappe öffnet sich. Um mich herum ist es mittlerweile auch kalt geworden, vermutlich ist es schon nachts. Sicher kann ich mir da aber nicht sein, da ich immer noch einen Sack über meinem Kopf habe. Er hebt mich aus dem Wagen und fängt an, auf mich ein zu prügeln. Als der erste Schlag mich trifft, schreie ich überrascht auf. Allerdings lässt er schon bald wieder von mir ab. Ich spüre, wie warmes Blut aus meiner Nase läuft. Auch an meiner Schläfe ziept es. Ehe ich mich wieder sammle, werde ich wieder in den Kofferraum gehoben und dort eingesperrt. Vielleicht zehn, fünfzehn Minuten später hält das Auto. Eine Minute später liege ich gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf auf Stein oder beton. Langsam schleicht sich die Wärme unter meinen dünnen Pullover. Mir wird klar, dass ich das hier eventuell nicht überlebe, wenn ich nicht bald ins Warme komme. Mühevoll versuche ich mich aufzusetzen. Geschafft! Jetzt muss der Sack runter von meinem Kopf. Mit meinem Fuß versuche ich irgendwie, indem ich ihn zu meinem Kopf führe, diesen dämlichen Sack abzubekommen. Eine Viertelstunde, zwei Oberschenkelkrämpfen und einmal Umfallen bin ich ihn endlich los. Erstmal musste ich mich an das Licht gewöhnen. Warte- Licht? Ich sehe mich um. Da sitze ich doch tatsächlich vor der Haustür der WG. Der Bewegungsmelder hat vermutlich meine Versuche beim Sack-vom-Kopf-entfernen wahrgenommen. Ich stehe auf und laufe ein bisschen wackelig zur Klingel. Da meine Hände immer noch gefesselt sind, betätige ich diese mit meinem Ellenbogen. Zwei Minuten später stehe ich immer noch vor der verschlossenen Haustür. Ich klingle ein weiteres mal. Über der Haustür im Flur geht das Licht an. Hoffnungsvoll drücke ich nochmal auf die Klingel.


Paulas Sicht:

Seit Jacky und Linnea vermisst werden mache ich mir furchtbar viele Vorwürfe. Ich habe das Gefühl, dass es meine Schuld ist. Wäre ich dem Auto ausgewichen, genauso wie dem Baum, wären die beiden jetzt hier. Die Anderen helfen mir ziemlich gut, aber wovon sie nichts wissen sind meine schlaflosen Nächte. Mittlerweile ist es drei Uhr. Ich sitze immer noch im Dunkeln auf meinem Bett, als draußen vor der Haustür das Licht angeht. Ich sehe es aus meinem Fenster. Das ist bestimmt nur ein Vogel. Oder ein Eichhörnchen oder irgend sowas. Langsam fallen mir glücklicherweise die Augen zu. Bevor Jacky und Linnea verschwunden sind, ist Jacky oft spät nach dem Feiern nach Hause gekommen. Sie trank meistens nichts, tanzte einfach mit ihren Freunden. Jetzt ist es ein Tier das den Bewegungsmelder auslöst. Nicht Jacky.  

Ein Klingeln ließ mich wenige Minuten später aufschrecken. Ich kniff mir in den Arm. Träumte ich? Habe ich mir das nur eingebildet? Bestimmt. Wer würde um 3 Uhr nachts an einer Tür klingeln? Ich legte mich wieder hin. Schon wieder klingelte es. Ich stehe auf, gehe in den Flur und schalte das Licht ein. Das kann doch nicht wahr sein, oder? Warum sollte jemand so spät, oder so früh, je nachdem wie man's nimmt, klingeln? Ich tappste die Treppe hinunter. Durch das milchige Glas der Haustür konnte ich eine Silhouette erkennen. Sollte ich die Tür öffnen oder nicht? Ich werde sie öffnen. Hoffentlich werde ich nicht abgestochen. Als ich die Tür öffne, glaube ich meinen Augen kaum.  Dort vor mir steht Jacky. Mit dunklen Augenringen, zerzaustem Haar, einem blauen Auge und Nasenbluten. "Jacky?! Komm rein, dir ist doch bestimmt kalt!" rufe ich erschrocken aus. "Wird schwierig..." sagt sie und wirft einen Blick auf ihre Füße. Erst jetzt merke ich, dass ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden sind, genauso wie ihre Füße. Schnell laufe ich in die Küche und hole eine Schere. Ich schneide ihre Fesseln auf und stütze sie nach drinnen ins Wohnzimmer. Erschöpft lässt sie sich aufs Sofa fallen. Ich mache ihr einen Tee. Währenddessen frage ich sie: "Wo zur Hölle wart ihr? Was ist passiert? Und wo ist Linnea?". Sie vergräbt ihr Gesicht ihn den Händen, erzählt mir dann aber alles, was passiert ist...

"...und jetzt hat er mich hier abgesetzt und Linnea stirbt vielleicht gerade. Und ich bin Schuld weil ich zu aufmüpfig war." beendet sie ihre Erzählung. Tränen füllen ihre Augen, aber sie wischt sie schnell weg. Ich nehme sie vorsichtig in den Arm. Schnell schlürft sie ihren letzten Rest Tee aus und sagt dann: "Wir müssen zur Polizei, Paula! Fährst du mich?"

Der Wind in meinem GesichtWhere stories live. Discover now