Am nächsten Tag bemerkte es auch Lorelie. Mit merkwürdigem Gesichtsausdruck sah sie mich an.
"Cass", flüsterte sie geheimnistuerisch. "Bist du in deiner Hitze?"
Mein ertappter Blick verriet mich und meine Freundin japste nach Luft. "Du hast dich geprägt! Wer ist es?"
Sie packte mich an den Händen und gab ein aufgeregtes Quietschen von sich.
"Hör zu", zischte ich, bevor sie vor Euphorie die Aufmerlsamkeit der Klassenkameraden auf uns lenken konnte. "Es tut mir leid, dass ich dir nichts davon erzählt habe. Aber es ist kompliziert."
Ich seufzte über ihre enttäuschte Miene. "Sobald ich selber Klarheit habe, werde ich dir alles erzählen."
Ich drückte ihre schmalen Finger. "Versprochen."

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Die Hitze in meinem Bauch nahm zu.
Schmerzhaft strahlte sie in den unteren Rücken aus und schoss bei jedem Schritt hinab in meine Beine.
Am Abend besuchte ich meine Eltern, meine Mutter tanzte vor Freude durch die Küche, als auch Jonah zum Abendessen auftauchte.
Ohne mich gross an den Gesprächen zu beteiligen, würgte ich Bissen für Bissen hinunter. Meine Hitze verdarb mir den Appetit, ich hoffte inständig, dass ich den Reis im Magen behalten konnte.

Jonah und ich räumten den Tisch ab und mein Bruder setzte im uralten, italienischen Kocher Kaffee auf.
Während ich die Teller abspülte, klopfte er mir auf die Schulter.
"Warum so eine saure Miene?", bemerkte er gut gelaunt.
Seine braunen Augen leuchteten warm.
Mein Blick fiel hinab auf die frische Markierung auf seinem Hals.

"Wusstest du eigentlich, dass Lorelie deine Gefährtin ist?" Ich zwang mich zu einem Lächeln.
"Natürlich", antwortete er mit einem selbstgefälligen Grinsen. "Seit meinem achtzehnten Geburtstag. Aber ich fand sie schon vorher süss."
"Warum hast du es ihr nicht gesagt?", fragte ich mit hochgezogenen Brauen.
Er zuckte mit den Schultern, angelte einen Apfel aus der Schale auf der Küchentheke und schlug seine Zähne in das saftige Fruchtfleisch.

"Sie war damals erst sechzehn", antwortete er mit vollem Mund. "Das wäre komisch gewesen. Und danach war der geeignete Zeitpunkt irgendwie vorüber."
Er stützte sich mit den Ellbogen auf die Ablage. "Sie war in den letzten Wochen etwas anhänglich und ich habe mir überlegt es ihr zu sagen."
Ein glückliches Lächeln trat auf sein Gesicht. "Aber ich wollte, dass sie die Prägung unvoreingenommen erleben konnte." Jonah zwinkerte mir zu. "Jungfräulich, sozusagen."

"Ew!", machte ich, ich stiess ihn gegen die Schulter, woraufhin er frech grinste.
"Ach, deshalb warst du immer so nett, wenn sie auf Besuch war", bemerkte ich trocken. "Und nicht ein Arsch wie sonst."
Er lachte bloss.
"Ich freue mich für dich." Ich trocknete meine Finger ab und lehnte den Rücken gegen den Kühlschrank, der brennende Schmerz tobte hinter meinem Bauchnabel.
"Ich mich auch für dich", entgegnete mein Bruder.

Überrascht liess ich das Geschirrtuch in meinen Händen sinken.
Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. "Wer auch immer es ist."
Heisse Schamesröte stieg in meine Wangen. "Kannst du etwa auch..."
Die Worte blieben in meinem Hals stecken.
"Tja, auch wenn ich dein Bruder bin, kann ich deine Hitze trotzdem riechen", meinte Jonah, er zog seine Nase kraus. "Du solltest dringend etwas dagegen unternehmen."
Mein Blick wanderte entsetzt hinüber zu meinen Eltern. Nun ergaben ihre komischen Mienen Sinn.
Sie konnten meinen veränderten Geruch offenbar ebenfalls riechen.
Gott, das war so peinlich.

Der Kaffeekocher pfiff und ich zuckte erschrocken zusammen.
Jonah balancierte vier Espresso Tassen in der einen und den Kaffeekocher in der anderen Hand hinüber zum Tisch.
Mit gesenktem Kopf folgte ich meinem Bruder und nahm dankend eine Tasse entgegen.
Unter dem tadelnden Blick meiner Mutter rührte ich drei Zuckerstücke in den Kaffee. Dank ihren italienischen Wurzeln war sie der Meinung, Espresso sollte nur pur getrunken werden.
Das bittere Getränk beruhigte etwas die Übelkeit.

Nach einer Weile verzogen sich Jonah und mein Vater hinüber zum Wohnzimmer, um Fussball zu schauen.
Meine Mutter stöberte in einer Modezeitschrift, die Seiten raschelten leise, als sie sie umblätterte.
"Sieh mal, das ist nun in Europa angesagt." Sie deutete auf das Foto eines Models in einem pastellfarbenen Jumpsuit.
"Dafür muss man aber hoch gewachsen sein", fügte sie hinzu und zog ihre Nase kraus. "Mit langen Beinen."

"Mam?" Ich holte tief Luft. "Weisst du etwas gegen Hitzeschmerzen?"
Meine Mutter sah von ihrem Magazin auf. Die dunklen Augen, die sie an Jonah und mich weitervererbt hatte, musterten mich.
"Da hilft eigentlich nur eines, mein Liebes", antwortete sie vorsichtig.
Ich schluckte schwer, den Blick auf die Kaffeerückstände in der Tasse gerichtet. "Das geht nicht."
Nach kurzem Schweigen rückte meine Mutter näher, die Stuhlbeine schabten leise über den Boden. "Möchtest du darüber reden?"

Ich schüttelte den Kopf.
Sie legte einen Arm um meinen Rücken und ich lehnte meine Stirn gegen ihre Schulter. Liebevoll strich sie über mein Haar.
"Weisst du, meine Tante aus Italien hat mir das Magazin geschickt", sagte sie plötzlich. "Zusammen mit diesen Bazzis."
Ich sah irritiert in ihr Gesicht, ein Lächeln trat auf ihre Lippen. "Diese leckeren Schokokekse."
"Baci di Alessandria", sagte ich leise.
"Ja, genau." Meine Mutter schmunzelte.
"Sie hat mich angerufen und sich erkundigt, ob auch wirklich alles angekommen sei. Eine ganze Stunde hatte ich sie am Telefon."

Sie lachte amüsiert. "Nun bin ich genauestens darüber informiert wie es meinen Cousinen, Cousins, Onkels, dem italienischen Präsident und wem auch immer zum Kuckuck geht.
Ach, und Grossonkel Pier hat sich jetzt ein Toupet gekauft."
Ihre Erzählungen entlockten mir ein Lächeln. Auch wenn wir nicht über meine Prägung sprachen, tat es gut zu wissen, dass sie da war.

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So sehr ich mich dagegen sträubte, wusste ich, was das Einzige war, was die Hitze vorübergehen lassen würde.
Es war beinahe Mitternacht, als ich barfuss über die Holzdielen hinüber zu seiner Tür lief.
Von unten drang das Stimmengewirr des Fernsehers an meine Ohren.
Vereinzelte Sterne leuchteten am dunklen Himmelszelt, ihr blasses Licht fiel durch das Fenster und hinterliess langgezogene Schatten auf dem Gang.

Unschlüssig lehnte ich mit dem Rücken gegen die Tür.
Der Schmerz pulsierte in meinem Unterleib, fest presste ich die Hand gegen meinen Bauch.
Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
"Verzieh dich, Cass", drang seine gereizte Stimme durch das Holz.

Nach weiteren fünf Minuten löste ich mich von der Tür und verkroch mich unter meine Bettdecke.
Schlafen konnte ich in dieser Nacht kaum.
Den nächsten Tag über mied Damien meine Nähe.
Den Sportunterricht schwänzte er, dieser feige Hund.

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Uff, es wird hitzig!

Wichtig: Trigger-Warnung für sexuelle Gewalt im nächsten Kapitel.
Fiktive oder reale Welt, das Opfer trägt niemals die Schuld!

Aufbrausend, Ahnungslos, AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt