Nachtlicht

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Die Nacht ist lang. Kälte dringt durch meinen Schlafsack und lässt meinen Schlaf unruhig werden. Immer wieder erwache ich, Fetzen des Uhrentraums vor dem inneren Auge. Irgendwann kommt Wind auf, rüttelt an den Zeltwänden und raubt mir das letzte bisschen Ruhe. Einige Minuten lang versuche ich, wenig erfolgreich, wieder in den Schlaf zurückzufinden, gebe jedoch auf, als mir eine weitere Windböe die Zeltwand ins Gesicht klatscht. 

Seufzend erhebe ich mich und tapse in den Zelteingang. Vielleicht tut mir frische Luft ja gut. Der Wind, der mir ins Gesicht schlägt, lässt mich meine Entscheidung sofort bereuen. Die Nacht hängt tiefblau über dem Wald, graue Wolkenfetzen bedecken den Mond. Die Bäume wiegen sich hin und her und die schwarzen Silhouetten geben der Szenerie etwas Unheimliches. Fröstelnd ziehe ich die Arme um mich.

„Ist dir nicht kalt?", fragt eine Stimme hinter mir. Ich drehe den Kopf und sehe in von blonden Haaren umrahmte braune Augen. Zur Antwort klappere ich mit den Zähnen, während ich den Blick wieder nach vorn richte.

„Du solltest wieder reingehen."

Ich zucke mit den Schultern.

„Ich weiß, aber..." ...wenn Lacey die ganze Nacht Höllenqualen erleiden muss, kann ich wenigstens ein paar Minuten Kälte ertragen. 

Lou schweigt, als wüsste er, was ich nicht ausgesprochen habe. Er streckt seine Hand aus.

„Komm mit."

Zögerlich greife ich nach seinen Fingern und lasse mich in Richtung Wald ziehen. Die Zweige knacken unter unseren Füßen, als wir zwischen den dunklen Bäumen entlang laufen.

„Wohin gehen wir?"

Er legt bloß einen Finger an die Lippen. Ich runzele ein wenig die Stirn. So lieb ich ihn auch habe, wenn ich nachts durch Wälder laufe habe ich doch lieber einen Plan. 

Einige Minuten folge ich ihm, der Wind stetig durch die Baumkronen und mein Shirt pfeifend. Wir müssen inzwischen tief im Wald sein. Um uns herum sind nichts als finstere Tannen und Büsche. Hin und wieder höre ich ein Käuzchen rufen oder sehe ein Tier von rechts nach links huschen. Lou bleibt stehen, so plötzlich, dass ich beinahe in ihn hineinlaufe.

„Weißt du, was ich mache, wenn ich nicht schlafen kann? Ich komme an Plätze wie diese hier."

Ich sehe mich um. Vor mir tut sich eine winzige, von dichten Bäumen umgebene Lichtung auf. Die Büsche schirmen sie beinahe vollkommen vom Rest des Waldes ab. Die Baumkronen bilden ein Dach, das den Wind weitestgehend draußen hält und auf dem Boden, zwischen Gras und Laub, steht ein Baumstumpf, um den einige Pilze aus dem Boden sprießen. Einzig das kleine Tierskelett neben dem Stumpf stört den friedlichen Anblick ein wenig. Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

„Du warst schon öfter hier?"

Er folgt meinem Blick zu dem Skelett und grinst.

„Ein, zwei Mal." Dann finden seine Augen meinen Blick.

„Wälder sind ruhig, friedlich. Es gibt niemanden, der dir wehtun will. Nichts, das deine Gedanken erfüllen muss. Du kannst... nur für einige Momente die Dinge um dich herum beobachten", seine Stimme verliert sich ein wenig, „Tut manchmal gut." 

Unsicherheit flackert in seinen Augen und ich versuche gar nicht erst das Lächeln, das sich auf meinem Gesicht ausbreitet, zu unterdrücken. Meine Augen, die sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt haben, wandern über die kleinen Äste um mich herum, das Holz, die Blätter, die vom Wind bewegt werden. Mit vorsichtigen Schritten laufe ich zum Baumstumpf und setze mich darauf. Lou lässt sich neben mir auf dem Boden nieder, die Beine überschlagen. Für einen Moment höre ich nur die Geräusche des Waldes, das Knacken der Äste, das Rauschen des Windes. Er hat recht, es ist beruhigend. Ich spüre, wie ein wenig Anspannung von mir weicht.

„Es ist wunderschön hier."

Er lächelt. Eine Weile sehen wir in die Dunkelheit. Langsam dringt die Kälte der Nacht doch in meine Knochen und lässt mich zittern.

„Dir ist kalt.", bemerkt er, „Wir sollten vielleicht zurück."

Ich will noch nicht zurück. Nur noch einige Momente will ich den Frieden dieses Ortes genießen.

„Warte."

Er sieht mich fragend an.

„Ich... kann es warm machen." Seine hochgezogene Augenbraue ignorierend konzentriere ich mich auf meine Finger. Einen Moment später flackert eine orangefarbene Flamme in meiner Handfläche. Vorsichtig sehe ich ihn an. Ich sehe das Erstaunen auf seinem Gesicht, als er mit großen Augen die Flammen mustert, aber er sagt nichts. Die Wärme breitet sich langsam auf meiner Haut aus und vertreibt das Zittern aus meinem Körper. Der Schein des Feuers erhellt die Lichtung und wirft einen warmen Schein auf Lous Gesicht. Sein Blick ruht auf mir.

„Du bist wunderschön, weißt du das?"

Ich würde gern etwas antworten, aber mein Gehirn ist wie leergefegt. Er wendet den Blick wieder ab.

„Nein, nicht wirklich", bringe ich heraus, „Sags nochmal."

Er lacht leise.

„Wirklich. Ich habe schon lang niemanden mehr so...", er schüttelt den Kopf und sieht mich an.

„Du bist besonders. Für mich.", ein leichtes Grinsen zupft an seinen Mundwinkeln, „Und bitte belohne mich dafür, es hat nämlich ganz schön viel Überwindung gekostet, das zu sagen."

Jetzt bin ich es, die lacht.

„Du bist nicht besonders gut mit Gefühlen und Vertrauen, was?"

„Nein. Absolut nicht.", das Grinsen verschwindet wieder aus seinem Gesicht. „Aber ich vertraue dir." Die Flammen spiegeln sich in seinen Augen und seine Haut sieht aus, als wäre sie aus orangerotem Licht gemalt. Die kleine Flamme zittert, als ich mich erhebe und Lou auf die Beine ziehe.

„Ich bin für dich da. Immer. Vergiss das nie."

Ein kleines Lächeln erhellt sein Gesicht und ich lege eine Hand an seine Wange.

„Und du bist noch viel schöner."

Er schlingt seine Arme um mich und ich küsse ihn, sanft und vorsichtig, während die kleine Flamme in meiner Hand ihr Licht auf uns wirft.



Rot wie Blut und RosenWhere stories live. Discover now