Glück (Oder wie man das nennt)

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Der Regen prasselt stetig an die Fenster, als Stunden später endlich die Glocke das Ende des Schultags einläutet. Eigentlich ein beruhigendes Geräusch, aber genießen kann ich es heute nicht. 

Wie auch schon vorhin läuft Lou ohne mich eines Blickes zu würdigen an mir vorbei. Okay, ich werde heute ganz sicher nicht zu Orchester gehen. Noch einmal zwei Stunden leere Blicke halte ich nicht aus. 

Zusammen mit Lacey verlasse ich den Raum und gehe die Treppen runter. Obwohl ich versuche, nicht darauf zu achten, bleibt mein Blick natürlich doch wieder an Lou hängen, der an seinem Spind steht und mit der Geige hantiert. Genau in diesem Moment dreht er sich um und für einen kurzen Augenblick haben wir direkten Augenkontakt. Immernoch sieht er gleichgültig aus, sein Gesicht verrät mit keiner Faser, was er denkt. Und doch, für einen kurzen Moment meine ich, irgendetwas in seinen Augen flackern zu sehen, eine kleine Gefühlsregung, die hinter der Barriere hervorblitzt. 

Aber bevor ich es greifen kann, hat er sich schon wieder in die andere Richtung gedreht. Mit einem Stich in meinem Herzen laufe ich an ihm vorbei. Verdammt, so viele Stiche wie ich in den letzten 24 Stunden gespürt habe, steckt da inzwischen ein ganzer Dolch drin. Erschöpft ziehe ich meine Kapuze auf, um mich gegen Regen und Wind zu schützen, dann treten Lacey und ich ins Freie.

Als wir beim Haus der Bellafortes ankommen, sind wir völlig durchnässt. Schnell schlüpfen wir durch die Eingangstür, die uns eine mitleidig guckende Fiora öffnet, hinein ins Warme. Unsere tropfenden Jacken hängen wir an den Schirmständer und folgen ihr in die Küche. Ich schüttele mich.

„Was für ein ekelhaftes Wetter."

Lacey nickt zustimmend.

„Aber sowas von."

Wortlos gießt uns Fiora Tee aus einer Thermoskanne in zwei Tassen und schiebt sie zu uns rüber. Wir schnappen sie uns dankbar und setzen uns an den Tisch.

„Ich würd ja sagen mach ein bisschen Feuer, Nelly, aber der Tisch hier ist aus Holz und ich hätte ungern einen Hausbrand.", Fiora grinst. Ich zucke mit den Schultern.

„Da kann man nichts machen." Ooh, ich liebe heißen Tee. Es gibt nichts besseres, um sich von Regenwetter aufzuwärmen. Außer Kakao vielleicht. Aber den mag ich lieber im Winter. 

Zufrieden schlürfe ich die warme Flüssigkeit während ich spüre, wie meine Kleidung nach und nach trocknet. Als die Tasse leer ist springe ich auf, wieder voll neuer Energie.

„Ich geh in den Raum, trainieren. Bis später!"

Lacey und Fiora winken mir zu und ich laufe die Treppen hoch, bis ich den Mattensaal erreiche. Ich stoße die Tür auf und setze mich in der Mitte des leeren Raumes im Schneidersitz auf den Boden. Dann schließe ich die Augen und konzentriere mich auf meine Flammen. Innerlich beschwöre ich sie herauf und weil ich gerade in dramatischer Stimmung bin, senke ich den Kopf ein wenig und lasse das Feuer genau in dem Moment aufflackern, in dem ich meine Augen öffne. 

Auf dem Boden um mich herum züngelt ein kleiner Kreis. 

Nichts besonders beeindruckendes, zugegeben. Irgendwie bin ich nicht ganz bei der Sache. Auch die nächsten Versuche sind nicht gerade von Erfolg gekrönt. Mein Kreis ist so schwach, wie schon lange nicht mehr. Frustriert seufze ich auf. 

Das liegt alles nur daran, dass sich ständig Lous gleichgültiger Blick vor mein inneres Auge schiebt. Nicht gerade ein motivierendes Gefühl. Aber vielleicht- 

Ich überlege einen Moment. Vielleicht kann ich es nutzen. Wenn ich das Gefühl irgendwie einsetzen kann, kann ich möglicherweise endlich herausfinden, was es mit diesen kleinen Flammen auf sich hat, die immer wieder um meine Hände erscheinen. Zittrig atme ich ein. Also los. Ich lenke meine ganze Energie auf das Gefühl von Hilflosigkeit und Verletztheit in meinem Innern und wandele es langsam um, in Wut. 

Rot wie Blut und Rosenحيث تعيش القصص. اكتشف الآن