Etwas stimmt nicht

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Der nächste Morgen ist kalt und klar. Ich schlinge bibbernd die Arme um mich, während ich aus dem Zelt klettere. Nur das Amulett spendet mir ein wenig Wärme. Es ist still draußen. Nichts regt sich. Nur ein kleiner Vogel raschelt irgendwo neben mir im Unterholz. 

Gestern Nacht hatte ich keine Gelegenheit, die Umgebung zu betrachten. An den Felshang, der sich hinter Deanas Hütte erhebt, schließen sich Baumgruppen an, die in einen dichten Wald übergehen. Ich betrachte die hohen Bäume für eine Weile, bis meine Sicht verschwimmt. Hinter mir höre ich Schritte. Ich drehe mich um und sehe Lou. Er sieht ungefähr so ausgeruht aus, wie ich mich fühle.

„Du siehst scheiße aus."

Als Antwort zieht er nur eine Augenbraue hoch und ich werde ein bisschen rot, weil, okay, er sieht immer noch ziemlich großartig aus und leider kann ich diesem Blick nichts entgegensetzen.

„Du bist doch der Zombie", sagt er und schlingt von hinten die Arme um mich. Ich schmiege mich ein wenig an ihn. Nur, damit mir wärmer wird. Versteht sich von selbst. 

Mein Blick schweift zur Hütte. Lacey liegt irgendwo da drinnen. Wie sehr leidet sie wohl? Ist sie überhaupt bei Bewusstsein? Ist man während der Verwandlung bei Bewusstsein? Ich wünschte, diese drei Tage währen schon vorbei.

„Sie wird wieder", sagt Lou leise, als hätte er meine Gedanken gelesen. Was ich nicht ausschließen kann. Aber irgendwie wäre es beunruhigend.

„Hoffentlich. Was, wenn sie wütend auf uns ist?"

„Warum sollte sie?"

„Vielleicht wollte sie kein Vampir werden."

Er schnaubt leise.

„Glaub ich nicht. Wir haben ihr das Leben gerettet. Warum sollte sie das schlecht finden? Außerdem mag sie Vampire."

Ja, in der Theorie. Aber selbst einer zu werden? 

Trotzdem sage ich nichts weiter. Eine Weile stehen wir nur so da. Dann frage ich:

„Wie bist du eigentlich zum Vampir geworden?"

Ich spüre, wie er sein Gewicht verlagert.

„Ich war 17. Und naja, 1912 war nicht das beste Jahr. Meine Familie war nicht besonders wohlhabend, also war ich auf der Suche nach Arbeit. Und dann hat mich diese Gruppe von Männern gefunden, die irgendwie an Vampiren interessiert waren. Sie haben gut gezahlt, also hab ich mitgemacht und bin bei einer Hexe gelandet, die mich verwandelt hat. Danach", er stockt kurz, „hat die Gruppe ein paar Experimente durchgeführt. So wegen der Unsterblichkeit und so. Und irgendwann hab ich dann Clara und John getroffen."

Warte. Ich befreie mich aus seinen Armen und starre ihn an.

„Experimente? Du wurdest von Leuten verwandelt, die Experimente an dir durchgeführt haben? Lou, das ist furchtbar."

Erweicht meinem Blick aus.

„Habs ja überstanden."

Bevor ich widersprechen kann, kommt Fiora aus dem Zelt. Sie sieht gefasster aus als gestern Abend.

„Kommt ihr mit rein? Deana hat sicher etwas zu essen."

Ich zögere. Ich weiß, es klingt irrational, aber alles in mir sträubt sich dagegen, wieder in die Hütte zu gehen. Lacey wieder schreien zu hören. Am liebsten würde ich hier draußen warten, bis alles vorbei ist. Lou jedoch nickt und bewegt sich in Richtung Tür. Nach einem winzigen Moment trotte ich den beiden nach.

Deana sieht nicht unbedingt erfreut aus, uns zu sehen, aber sie weist uns trotzdem an den Tisch.

„Ihr wisst, wo ihr Brot findet", sagt sie zu Fiora und Lou und verschwindet dann wieder in dem Gang, der zu dem Raum führt, in dem Lacey liegt. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch sehe ich ihr nach. Kurz darauf ertönt wieder ein gedämpfter Schrei und ich zucke zusammen. Was, wenn Lacey es nicht schafft? Kann man die Verwandlung auch nicht überstehen? Als der nächste Schrei ertönt sehe ich, wie Fiora gequält die Augen schließt. Lou stellt Brote vor uns ab, aber ich kriege keinen Bissen runter. Die Sorge um Lacey verdirbt mir jeglichen Appetit. Ich bin froh, als die anderen schließlich ihr Frühstück beendet haben und aufstehen.

Rot wie Blut und RosenWhere stories live. Discover now