KAPITEL ACHTZEHN

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DIE MATSCHIGE ERDE UNTER seinen Stiefeln gab groteske Geräusche von sich und Min Yoongi spürte, wie sich die Nässe langsam durch das Material seiner braunen Stiefel bahnte. Die Nadelbäume um ihn herum sprossen hoch hinauf in den Himmel, jeder einzelne Baum schien darum zu ringen, mit seiner Spitze am höchsten zu ragen und am meisten von der schwachen Sonne zu erhaschen, die in Dásos normalerweise schien. Am heutigen Tag hielt sich die Sonne jedoch zurück, wie auch schon in den vergangenen Tagen. Stattdessen bevölkerten dunkle Wolken den Himmel und Regen fiel unaufhörlich und ohne Nachgeben, so als würde der Himmel weinen und seine Aversion darüber kundtun, dass Min Yoongi in die Heimat seiner Familie zurückgekehrt war. Die Nadelbäume boten nur wenig Schutz vor dem prasselnden Nass und der Lord hatte sich aus dem Grund unter der schützenden Baumkrone einer einzelnen Esche gestellt, eine von wenigen Laubbäumen, die zwischen den unzähligen, immergrünen Nadelbäumen wuchs. Dennoch waren sein Umhang und Wams bereits durchnässt, seine Kapuze ebenso nass wie sein dunkles Haar und seine Extremitäten bereits verkühlt.

Den Holzfällern erging es nicht besser als ihm. Resignation zeichnete sich auf ihren wettergegerbten Gesichtern wieder, Schlamm zierte ihre Kleider und der barsche Ton zwischen ihnen wurde immer ungehaltener. Die Männer waren das Arbeiten bei dem mäßigen Wetter in Dásos gewöhnt, aber ein so bitterlicher Regen war unüblich und der aufgeweichte Boden erschwerte ihre Arbeit. Die schweren Hufe der Zugpferde, welche die Bäume aus dem Wald hinausschleppten, wirbelten den Schlamm und Morast auf, hinterließen mit Wasser gefüllte Furchen und die Tiere kamen immer wieder ins Rutschen.

Beschweren tat sich jedoch niemand. Die Holzfäller arbeiteten grimmig, aber tüchtig. Und auch die Pferde gaben unter den erschwerten Bedingungen ihr Bestes. Yoongi konnte nicht abstreiten, dass sein älterer Bruder sich gut um diesen Teil des Holzhandels in Dásos gekümmert hatte. Jede nötige Stelle war besetzt, die Holzfäller mit ihrem Lohn so weit zufrieden, dass keiner von ihnen auf die Barrikaden ging, und die Pferde für ihren Job gut ausgebildet. Umso rätselhafter war es für Yoongi, dass Kibum wie vom Erdboden verschluckt war.

Als er in Dásos angekommen war, hatte niemand so recht mit ihm sprechen wollen. Weder seine Mutter, seine ältere Schwester, noch die Holzfäller oder die Verwalter des Familiengeschäfts. Jeder hatte ihn betreten angeschwiegen und ausweichende Antworten gegeben. Niemand hatte über Kibum reden wollen, darüber, dass der Erbsohn und der Verantwortliche für den gesamten Holzhandel, den Dásos reich und berühmt gemacht hatte, verschwunden war. Es hatte einiges an Geduld und Faustschlägen benötigt, bis schließlich einer der Verwalter, ein Mann mit fleckigem, schwarzem Bart namens Go Namgun, angefangen zu reden hatte. Und was Yoongi da erfahren hatte, bereitete ihm Kopfschmerzen und bitterböse Sorgen.

Er wollte nicht glauben, dass Kibum seine Familie ohne ein Wort einfach zurückgelassen hatte, um sich abzusetzen. Sein älterer Bruder war immer schon ein Geschäftsmann gewesen, hatte das übernommen, was ihr Großvater in Dásos aufgebaut hatte, und hatte das Geschäft sogar noch erweitert. Er war ein Mann, der stehts gewusst hatte, wie man mit Gold umgeht, wie man seine Gewinne steigert, wie man seine Arbeiter verwaltete. Kibum hatte jahrelang sein Herzblut in den Holzhandel seiner Familie gesteckt und Yoongi wollte, nein er konnte nicht glauben, dass sein Bruder freiwillig gegangen war. Egal wie er es dreht und wendete, es ergab keinen Sinn. Doch die unterschlagenen Holzmengen, wie er herausgefunden hatte, sprachen für sich.

Ein kehliger Seufzer entkam Yoongi und er wandte sich von den Holzfällern ab. Er war erst wenige Male in seinem Leben in Dásos gewesen und hatte keinerlei Verbindung zum Holzhandel seiner Familie aufgebaut. Mit Kibums Abwesenheit war es jedoch nun ihm auferlegt worden, das Geschäft der Familie zu verwalten und dieser neuen Verpflichtung kam er nur widerstrebend nach. Er hatte nicht die Zeit, sich in Dásos um alles zu kümmern und zeitgleich seinen Verpflichtungen am Königshof und gegenüber Seokjin nachzukommen. Als Leiter des Familiengeschäfts musste er vor Ort sein und es lagen zu viel Strecke zwischen Dásos und Sabora. Dabei war es gerade — ausgerechnet jetzt, wenn der kirinische Prinz in Sabora residierte — umso wichtiger, dass er an Seokjins Seite stehen sollte. Der König sollte nicht ohne seinen engsten Berater solche Verhandlungen führen. Es schickte sich nicht, es war riskant und es warf ein schlechtes Bild auf sie. Ein König ohne eine rechte Hand war angreifbar, zeigte Schwäche. Sein Herz brannte schmerzhaft bei dem Gedanken daran, dass er Seokjin im Stich gelassen hatte. Und auch wenn er es niemals laut ausgesprochen hätte, zweifelte Yoongi an seiner Entscheidung, nach Dásos gereist zu sein.

Die Ritter der Krone ‒ Der neue Thron | ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWhere stories live. Discover now