KAPITEL NEUN

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DIE SONNE VERBARG sich hinter Wolken und eine leichte Brise brachte die Baumwipfel und Blumen in den königlichen Gärten zum Tanzen. Aus der Ferne war das leise Spiel einer Laute zu vernehmen, zu der zwei junge Mädchen tanzten. Seokjin genoss diese Tage sehr. Die Gärten hatten immer schon eine Idylle und einen Frieden vorgegaukelt, auch zu Kriegszeiten schon, doch diese Zeiten waren nun vorbei und die königlichen Schlossgärten hatten eine neue Blüte erreicht. Es gab neu angelegte Beete mit Blumen und Kräutern aus fremden Ländern, üppiges Obst hing an Bäumen und zu fast jeder Tageszeit vernahm man das Lachen und Kichern von Kindern und jungen Damen, die sich im bunten Meer der Pflanzen aufhielten und ihren Tag genossen. Und auch wenn Seokjin selbst bei Spaziergängen im Schlossgarten nicht vollends die Last von seinen Schultern abschütteln konnte, fühlte er sich dort am freiesten.

Er wusste, dass er zu oft und zu lange allein durch die Gärten wandelte und es eine nicht von der Handzuweisende Mühe für die Bediensteten und seine Berater war, ihn auf den riesigen Flächen des Schlossgartens aufzuspüren, wenn sie ihm eine Nachricht überbringen wollten oder er im Schloss benötigt wurde. Aber nach den Geschehnissen der letzten Jahre nahm Seokjin sich die Zeit dafür. Es gab niemanden, der ihm seine ausgedehnten Spaziergänge verbieten konnte und mehr als ein unzufriedenes Schnauben von Yoongi hatte er in der Regel nicht zu befürchten, wenn er erst spät zu einem Treffen des Rates dazustieß.

Nach all den Jahren des Krieges war endlich Ruhe in Raellé eingekehrt. Eine Ruhe, die Seokjin zuvor gar nicht gekannt hatte. Aber nur weil der Krieg geendet hatte, war es dem Königreich und seinen Bürgern nicht von einem auf den anderen Tag besser gegangen. Der Krieg hatte seinen Tribut gefordert. Zu viele junge Männer und Frauen waren gefallen, es fehlten Bauern zum Bestellen der Felder, Fachkundige im Handwerk und Freiwillige, die als Soldaten und Wachmännern in den Städten dienten. Aber ganz langsam, hatte sich Raellé von den Strapazen des Krieges angefangen sich zu erholen. Auf den harten Winter nach Ende des Krieges war ein langer, ertragreicher Sommer gefolgt und ein milder Herbst. Und auch in den Jahren danach, waren ihnen üppige Ernten und kurze Winter vergönnt gewesen. Der Handel mit anderen Königreichen war erblüht, bestehende Handelsverbindungen, wie beispielsweise zu den Sonneninseln, waren gestärkt worden und wurden ertragreicher. Unzählige Händler aus fremden Ländern standen nun auf den Markplätzen in Städten des ganzen Königreichs und die Schiffsanleger und Kais in Mávros waren so stark frequentiert wie noch nie.

Selbst die Beziehung zu dem neuen Königreich Kirin machte den Anschein, sich in Zukunft zu verbessern. Seokjin hatte lange mit seinem Rat darüber gesprochen, ob die Handelsbeziehungen zu dem Land, welches einst zu Raellé gehörte, verstärkt werden sollten. Aber in Hinblick dessen, dass sie von nirgendwo sonst so viel und besonders so billiges Eisen und Erz einkaufen konnten, war dies ein Übel, das sie nicht ignorieren konnten. So ungern sie es zugeben wollten, für ein florierendes Königreich, brauchten sie diese Handelsrouten. Und schlussendlich hatten sie sich dazu entschlossen, die Königsfamilie Kirins zu einem Besuch am raellischen Hof einzuladen. Seokjin blickte dieser Ankunft mit gemischten Gefühlen im Bauch entgegen. König Jaesun — Seokjin sträubte es immer noch, den Usurpator des Ostens so zu nennen — hatte die Einladung zwar angenommen, aber auch geschrieben, dass er nur seinen Neffen schickte, was Seokjin und seinen Rat irritiert hatte. Zwar war der Junge der anerkannte Thronfolger von König Jaesun, jedoch war es ein Junge, einst aus Raellé. Seokjin hatte das erste Mal von Kwon Taehyung gehört, als er kurz vor dem Kriegsende eine Brieftaube aus dem Armeelager vom General bekommen hatte.

Der verschollene Neffe Kwons. Seokjin hatte es damals kaum glauben wollen. Wie war der Junge in der Armee der Krone gelandet? Wie hatte es niemand bemerken können? Der Rat war genauso erstaunt und ratlos wie Seokjin selbst gewesen. Später war ihm erzählt worden, dass der Junge aus einem kleinen Dorf ganz im Norden des Königreiches, irgendwo im Vouná-Gebirge, stammte. Wie er dort hingekommen war, vermochte niemand sagen zu können und auch bis zum heutigen Tag, blieb Kwon Taehyung für sie ein Rätsel.

Die Ritter der Krone ‒ Der neue Thron | ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWo Geschichten leben. Entdecke jetzt