Verwundert blickte er auf, als ich eintrat.
„Hanie? Was machst du denn hier?"
Himmel, wie ich es liebte, wenn er mich so nannte.
Augenblicklich wanderte ein angenehmes Prickeln durch meinen Magen, als ich mich dicht neben ihn an die Kücheninsel stellte und ihm sanft über den Rücken strich.
„Hey, Surprise."
Die Verwirrung war deutlich in seinem Gesicht abzulesen.
„Und nein, du hast nichts vergessen."
Schmunzelnd lehnte ich mich für einen kurzen Augenblick gegen ihn und genoss die Wärme, die seine Nähe stets durch meinen Körper schickte.
„Aber was -"
„Ich wollte dich überraschen. Und entführen. Hab's extra mit den Jungs abgesprochen, damit du ja nichts anderes vorhast."
Etwas huschte über sein Gesicht, das ich nicht greifen konnte und dennoch die Wärme in mir verstärkte. Ich gab dem Drang nach und fuhr mit den Fingern durch seine vom Schlaf zerzausten Haare. Vielleicht sollte ich mir doch öfter mal den Wecker stellen, um ihn in der Aufmachung zu sehen.
„Du willst mich also entführen, hm?"
Lee Know hatte seine Verwunderung anscheinend überwunden. Ein schiefes Grinsen hob seine Mundwinkel, während mich seine dunklen Augen zu durchleuchten schienen. Hatte er mich schon immer so angesehen? Ich bekam eine Gänsehaut.
„Und wohin, wenn ich fragen darf?"
Blinzelnd befreite ich mich aus dem Bann seines Blicks, in dem ich mich kurzzeitig verloren hatte.
„Hm... erfährst du noch. Ist schließlich ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk."

*

Der Bus rumpelte um die nächste Kurve und riss mich damit aus meinem Dämmerzustand. Fast schon schmerzhaft traf meine Schläfe auf Lee Knows Schulter, an der ich einen Großteil der Fahrt gedöst hatte. Leise grummelnd rieb ich mir die lädierte Stelle, ehe Lee Know meine Hand davon wischte und durch seine kühlen Finger ersetzte.
„Na, endlich ausgeschlafen?", schmunzelte er, während er mir sachte über die Schläfe strich.
„Aufgehört."
Ich unterdrückte ein Gähnen. Ja, der Ausflug in aller Herrgottsfrühe war meine Idee gewesen, nur bewies es mir mal wieder, dass ich nun wirklich nicht zum Morgenmensch geboren worden war. Sobald sich der Bus in Bewegung gesetzt hatte, hatte es mir die Augen zugezogen.
„Ich bin immer noch überrascht, dass du dich um diese Uhrzeit freiwillig aus dem Haus getraut hast. Noch dazu an unserem freien Tag."
„Ja, beton's auch noch." Ich schnitt eine Grimasse, die ihn zum Lachen brachte. „Ich wollte halt so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen."
Huch. War das etwa ein leichter Rotschimmer, der seinen Hals hinauf wanderte?
Verlegen wandte er den Blick ab, doch nicht ohne vorher nach meiner Hand zu greifen.
„Laut Haltestellenplan sind wir übrigens bald da."

*

Der Wind zerrte an meinem Schal, sodass ich ihn noch enger um meinen Hals schlang und die Nase darin vergrub. Mir war kalt. Meine Finger fühlten sich inzwischen steif an, da die Taschen meiner Jacke leider nicht gefüttert waren und ich auch keine Handschuhe dabei hatte.
Lee Know schien das Ganze nichts auszumachen. Mit einem feinen Lächeln war er stehen geblieben und sah die restlichen Stufen hinauf, unserem Ziel entgegen.
„Ich glaube, wir sind gleich oben."
Das wollte ich auch hoffen. Gerade verfluchte ich mich dafür, dass ich mir die Wegbeschreibung zum Geumsunsa Tempel nicht genauer durchgelesen hatte. An sich hatte ich einfach mit Lee Know einen entspannten Ausflug mit einer kurzen Wanderung und schöner Aussicht machen wollen, um ein wenig die Seele baumeln zu lassen. Außerdem mochte er die Natur und liebte es zu campen. Für eine Nacht im Zelt war es allerdings die falsche Jahreszeit und für einen Tag definitiv zu stressig, somit war meine Wahl auf einen Kurztrip zu diesem Tempel gefallen. Unter der Woche waren laut den Bewertungen kaum Besucher da, was uns hoffentlich ein wenig Privatsphäre verschaffte und zusätzlich kam der tolle Blick auf Seoul dazu. Also, wenn man denn dann mal oben war. Aktuell schien mir der Aufstieg über die vielen Treppen unendlich lang.
Wieso, zum Teufel, war Lee Know nicht außer Atem, während ich hinter ihm her schnaufte?
Grinsend streckte er mir die Hand entgegen, die ausnahmsweise mal wärmer war als meine.
„Gleich geschafft, Hanie."

Through the years (Minsung)Where stories live. Discover now