Kapitel 33

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In meinem Kopf gab es nur einen einzigen Gedanken.

Er durchdrang alles. Übermächtig. Urgewaltig und erdrückend.

Olivia.

Olivia hatte das getan.

Olivia war für Taylors Tod verantwortlich.

Olivia hatte Louis auf die Intensivstation gebracht.

Olivia hatte versucht, mein Leben zu zerstören. Hatte es sogar fast geschafft.

Ich hatte das Gefühl, als würde mein Kopf implodieren. Ich konnte es nicht verstehen. Warum? Wieso hatte sie das getan? Was hatte sie so weit getrieben? Ich war mit ihr zusammen gewesen, verdammt! Ich war ihr so nahe gewesen. Hätte ich das nicht merken müssen? Dass sie zu so etwas fähig war? Dass sie Menschen umbringen konnte? Ich war mit einer Psychopathin liiert gewesen. Ich hatte sie in meinen Freundeskreis gelassen. In mein Leben. Ich war für das alles verantwortlich, was geschehen war.

Hatte ich sie womöglich sogar zu der Tat getrieben? Hatte ich mich ihr gegenüber so falsch verhalten, dass dies ihre Rache war? Ich überlegte krampfhaft, was ich wann getan hatte. Sie war mir gegenüber in letzter Zeit nicht feindselig gewesen. Ganz im Gegenteil. Sie machte eher den Eindruck, unsere Trennung gut verkraftet zu haben. Ja sogar, als würde sie mit mir befreundet sein wollen. Hatte ich die Zeichen übersehen? War ich denn so blind gewesen? Wie konnte das passieren? Hätte ich das alle verhindern können, wenn ich bloß aufmerksamer gewesen wäre? Ich war wirklich an allem Schuld. Weil ich so unfassbar egoistisch gewesen war und nur auf mich geachtet hatte. Taylor könnte noch leben. Louis könnte wohl auf sein. Ich war so ein Idiot. So selbstsüchtig. Ich sollte an Taylors Stelle sein. Ich hätte das verdient. Nicht sie. Sie hatte nichts falsch gemacht, ich hingegen alles...

Ich.

War.

Schuld.

„Harry... HARRY!"

Alles um mich herum wurde rot. Die Welt pulsierte und ich mit ihr. Ich konnte mich nicht länger aufrecht halten, musste mich auf meinen Oberschenkeln abstützen, um nicht vollends umzukippen und auf dem Asphalt zusammenzubrechen.

Wieder zitterte ich am ganzen Körper wie Espenlaub. Ich hörte meine Zähne klappern, konnte sie aber auch nicht davon abhalten, unablässig gegeneinander zu schlagen. Magensäure bahnte sich den Weg meine Speiseröhre hinauf. Auch sie konnte ich nicht daran hindern. Vornübergebeugt stand ich da und würgte bittere Galle hervor. Ich sah nicht, was um mich herum geschah. Alles war rot. Rot vor unbändiger Wut.

Wut auf Olivia, aber vor allem Wut auf mich selbst, weil ich solch ein blinder Idiot gewesen war. Ein naiver, egoistischer Volltrottel, der dachte, er hätte alles unter Kontrolle. In meiner Vorstellung war stets ich der Strippenzieher gewesen, dabei war ich die ganze Zeit die Marionette.

„AAAAAHHHRRRRRR!"

Ich schrie meine Wut hinaus, brüllte den schwarzen Asphalt an, der mir genauso feuerrot erschien wie alles um mich herum. Ich schrie, bis meine Stimme versagte. Bis nur noch Schluchzer meinen Mund verließen und Tränen sich mit Spuckefäden vereinten, die an meinen Lippen hingen.

Ich schloss meine Augen. Konnte das Rot nicht mehr ertragen.

Ich spürte leichten Druck an meinem Rücken. Kreisende Bewegungen, die mich allmählich beruhigten. Finger, die sich über meinen Haaransatz bewegten und sachte meine Kopfhaut massierten.

„Alles wird gut."

„Wir schaffen das."

„Du bist nicht allein."

„Ganz ruhig."

Die Stimmen meiner Freunde drangen irgendwann zu mir durch. Beruhigten mich. Holten mich zurück. Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, war die Welt wieder da. Ich wischte mir über den Mund und richtete mich wieder auf.

Roter SandOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz