Kapitel 14

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Ich blieb vor dem Zimmer meiner jüngsten Schwestern stehen, als ich meine Mum herauskommen sah.

„Schlafen die beiden?", flüsterte ich.

Sie lächelte milde und hielt ihr Smartphone in die Höhe. „Die Folge ‚Bibi und Tina' haben sie nicht mal zu Ende gehört. Ich glaube, es ist die Seeluft, die sie so müde macht."

„Wahrscheinlich.", stimmte ich ihr zu. Außerdem konnten Daisy und Phoebe sich hier den ganzen Tag draußen austoben. Im Doncaster saßen sie entweder in der Schule oder das Wetter war so schlecht, dass selbst wir regenerprobten Briten keinen Fuß vor die Tür setzten.

„Wie war's bei euch? Lou, eigentlich finde ich es nicht so toll, dass ihr... dorthin... gegangen seid." Sie betonte das Wort dorthin, weil sie offenbar auch nicht wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Dass in Bournemouth ein Mädchen in meinem Alter zu Tode gekommen war, machte auch meiner Mum ordentlich zu schaffen. Sie war mit uns hergekommen, um nach der schwierigen Zeit nach Dads Tod mal wieder etwas Schönes mit ihren Kindern zu erleben und keine Sorgen zu haben. Dass so etwas passieren würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Niemand hatte das. Natürlich nicht.

„Aber wir müssen doch irgendetwas tun, Mum.", rechtfertigte ich mich, „Wir können doch nicht nur hier herumsitzen und abwarten. Die denken, dass Harry was damit zu tun hat."

Meine Mutter strich sich ihre Haare zurück und sah mich mit diesem Blick an, bei dem ich das Gefühl bekam, sie könnte mir bis in die Seele blicken. „Du magst ihn sehr, nicht wahr?"

„Muuuum...", jammerte ich mit den Augen rollend.

„Ach, komm schon, Schatz. Ich kenne dich. So viel hast du noch nie über einen Jungen gesprochen."

Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden und konnte nichts dagegen tun, also konnte ich auch gleich die Wahrheit sagen.

„Ich mag Harry.", flüsterte ich, damit ja keine meiner Schwestern mein Geständnis mitbekam. Oder noch schlimmer: Harry selbst. „Aber was... was daraus wird, kann ich dir nicht sagen. Wir kennen uns noch nicht mal eine Woche."

Meine Mum nickte verständnisvoll. „Das verstehe ich. Ich möchte nur nicht, dass du dich in Gefahr bringst, ja? Pass einfach auf dich auf. Und auf dein Herz auch."

Auf mein Nicken hin drückte sie mich kurz an sich und gab mir einen Kuss auf den Scheitel. Anschließend ging sie zurück ins Erdgeschoss. Es war erst kurz nach zehn. Sicher würden Anne und sie noch eine Weile zusammensitzen und den Abend mit einem Glas Wein ausklingen lassen.

Ich lehnte mich an den Türrahmen und warf noch einen Blick auf meine Schwestern. Wenn sie so selig schliefen, waren sie doch wirklich niedlich. Beide hatten ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Zum Glück hatten Phoebe und Daisy bis jetzt noch nichts von dem ganzen Trubel mitbekommen. Mum hatte es erfolgreich geschafft, die Aufregung um Taylors Tod von den beiden fernzuhalten und das war auch gut so. Die beiden hatten eine möglichst unbeschwerte Kindheit verdient. Vor allem nach dem, was sie durch den Tod unseres Vaters durchmachen mussten.

Urplötzlich erfasste mich eine unheimliche Sorge um meine Schwestern. Was, wenn einer von ihnen etwas passieren würde? Noch waren sie so unbeschwert und sorglos, ließen sich von uns schützen und vor Unheil bewahren. Aber sie würden auch älter werden. Selbstständiger. Sie würden anfangen, ihre eigenen Wege zu gehen und sich abzunabeln. Charlotte war doch das beste Beispiel. Nur drei Jahre älter und doch schon so viel reifer. Sie ließ sich jetzt schon nur äußerst ungern etwas sagen- selbst wenn sie genau wusste, dass wir es nur gut meinten.

Aber letztlich konnte wohl immer etwas passieren. Taylor schien mir alles andere als eine Rebellin gewesen zu sein. Trotzdem war sie nun tot. Und ich konnte nicht anders, als zu hoffen, dass sie nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen war und so etwas meinen Schwestern niemals passieren würde.

Roter SandWhere stories live. Discover now