Kapitel 28

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Harry

Es klopfte zaghaft an meiner Zimmertür. Ich brauchte nicht fragen, wer dahinter stand. Ich konnte es mir bereits denken. Meine Mum machte sich Sorgen um mich und nach all dem, was in der vergangenen Woche über mich hereingebrochen war und wie ich darauf reagiert hatte, würde ich mich an ihrer Stelle wahrscheinlich auch um mich sorgen. Noch dazu war dieser Tag einfach besonders scheiße. Die Stadt nahm von Taylor Abschied und ich konnte nicht daran teilnehmen.

Wie ungerecht war die Welt denn bitte? Ich kannte Taylor fast mein ganzes Leben lang. Wir standen uns wirklich nahe. Kannten uns in und auswendig. Und auch wenn ich nicht immer fair ihr gegenüber gewesen war und sie nicht immer so behandelt hatte, wie sie es verdient hatte, war sie eben doch eine meiner Bezugspersonen gewesen. Und ich die ihre.

Alle dachte, ich hatte sie nur für meine Zwecke ausgenutzt, weil sie in mich verliebt gewesen war... und ja, das stimmte ein Stück weit sicher auch, worauf ich nicht stolz war. Aber andererseits war ich auch für sie da gewesen, als ihr Opa gestorben war. Mir hatte sie damals in der achten Klasse als einzigem anvertraut, dass sie in der Schule gemobbt worden war, es ihren Eltern aber nicht erzählen wollte. Ich wusste Dinge über Taylor, über die sie mit keinem anderen gesprochen hatte. Und andersrum genauso.

Und nun durften Menschen von ihr Abschied nehmen, die sie nicht einmal halb so gut oder sogar gar nicht gekannt hatten, aber ich hatte nicht das Recht dazu. Und warum? Weil ich noch immer als derjenige galt, der für ihren Tod verantwortlich gemacht wurde. Anfangs hatte ich mir selbst nicht getraut. Ich hatte Angst gehabt, dass es ein Unfall gewesen war und ich mich nicht daran erinnern konnte, aber seit der Blutuntersuchung bei Ruth konnte ich mir das nicht mehr vorstellen. Nie im Leben würde ich mit irgendwelchen seltsamen Substanzen experimentieren und damit womöglich auch noch Menschen in Gefahr bringen, die mir wichtig waren. Irgendjemand versuchte mir das anzuhängen. Die Frage war nur, wer zu so etwas fähig war.

„Komm rein.", murmelte ich unter meiner Bettdecke hervor, die ich mir über den Kopf gezogen hatte. Seit Louis mein Zimmer verlassen hatte, um an meiner statt zu der Gedenkfeier zu gehen, fühlte ich mich einsam und schutzlos und brauchte das wärmende, leicht einengende Gefühl der Decke um mich herum.

Louis könnte das viel besser, aber was sollte ich machen... Ich konnte ihn nicht davon abhalten hinzugehen. Mit welchem Recht denn auch?! Er tat es ja für mich. Genauso wie Zayn, Liam und Niall. Trotzdem tat es weh, dass sie gehen durften und ich dazu verbannt war, in der Dunkelheit meines Zimmers auszuharren, bis sie wiederkamen. Mein ganz persönliches Exil.

„Hey mein Schatz.", säuselte meine Mum in ihrem lieblichsten Mutter-Singsang, der nur verwendet wurde, wenn sie Angst hatte, mich zu sehr aufzuregen. In den vergangenen Tagen hatte sie ihn viel zu häufig angewandt, allerdings ließ meine emotionale Verfassung auch kaum etwas anderes zu. „Magst du nicht zu Johannah und mir herunterkommen und uns beim Essen Gesellschaft leisten? Wir machen frische Pancakes. Die magst du doch so."

Ich war mir bewusst, dass sie es nur gut meinte, aber momentan wollte ich mich einfach nur in meinem Selbstmitleid suhlen und ausharren, bis Louis wieder da war. Ich konnte nicht genau erklären, weshalb das so war, aber nur er konnte machen, dass es mir etwas besser ging. Wenn Louis bei mir war... wenn ich mich an seinen zierlichen Körper schmiegen und seine weichen Lippen küssen konnte, dann fanden mein Körper und mein Geist zur Ruhe.

Louis Tomlinson war ein Phänomen. Als er vor einer Woche vollkommen verloren im Eingangsbereich unseres Hauses gestanden hatte... vollbepackt mit viel zu vielen Taschen für seine schmale Statur... da hatte ich gespürt, dass er irgendetwas an sich hatte, das besonders war.

Klar, mir hatte direkt sein Körper gefallen. Louis war locker einen halben Kopf kleiner als ich und eher sehnig als muskulös, aber genau das gefiel mir. Ich war gerne der Stärkere. Ich gab gerne den Ton an und spielte mit meiner körperlichen Überlegenheit. Und Louis, der anfangs vollkommen überfordert gewesen war und der auch heute noch durch eine gezielte Berührung oder ein Wort von mir Wachs in meinen Händen wurde, war mein perfektes Gegenstück.

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