Kapitel 26

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„Hier liegt inzwischen fast mehr von ihm rum als von dir." Zayns Stimme war das Erste, was ich bewusst wahrnahm, als ich wieder aufwachte. Er flüsterte, sodass ich die Worte kaum verstand, aber das amüsierte Lachen war deutlich zu hören.

Ich behielt meine Augen geschlossen. Nicht weil ich lauschen wollte, sondern weil sich meine Lider noch immer so schwer anfühlten und ich die Wärme des Körpers, auf dem ich offenbar lag, genoss. Eine Hand befand sich in meinem Nacken und die Art, wie sie dort über meine Haut und meinen Haaransatz tanzte, war so unnachahmlich wie ihr Besitzer. Ich wusste, ohne ihn zu sehen, dass ich an Harry gekuschelt lag. Ich kannte ihn inzwischen gut, war nur allzu vertraut mit seinem Geruch, dem Rhythmus seines Herzschlages und dem Kontrast zwischen seiner weichen Haut und den definierten Muskeln darunter.

„Ich mag's, dass er hier ist.", raunte Harry mit seiner tiefen Stimme, „Ich will gar nicht, dass er sein Zeug wegräumt."

Sie redeten augenscheinlich über mich. Ob sie nun flüsterten, um mich nicht zu wecken oder weil sie nicht wollten, dass ich mitbekam, was sie sagten, konnte ich nicht wissen, aber Letzteres war eher unwahrscheinlich. Dann würden sie wohl kaum im selben Raum mit mir über mich reden.

„Du magst ihn, oder?" Zayn wurde noch etwas leiser. Seine Worte waren nur noch ein tonloses Wispern. „Also... wirklich meine ich. Du bist anders in seiner Nähe. Ich glaube nicht, dass ich dich schon mal so gesehen habe wie mit Louis."

Eine ganze Weile war es fast vollkommen still im Raum. Ich konnte zwar ganz leise Musik und auch Stimmen im Hintergrund hören, aber nichts verstehen. Wahrscheinlich lief der Fernseher und sie hatten die Lautstärke sehr weit herunter geregelt. In meinem halbwachen Dämmerzustand dachte ich schon, ich wäre nochmal eingeschlafen und ärgerte mich etwas, dass ich Harrys Antwort verpasst hatte, doch dann hörte ich seine gedämpfte Stimme wieder.

„Ich hätte die letzte Woche ohne ihn nicht überstanden... Louis ist wie die Sonne, die mich in meiner Umlaufbahn hält und mich mit Energie und Licht versorgt."

Ich hatte die Luft angehalten während seiner Worte. Noch nie hatte jemand auch nur etwas annähernd Vergleichbares zu mir oder über mich gesagt. In mir breitete sich von meinem Herzen ausgehend eine wohlige Wärme aus, wie ich sie noch nie gespürt hatte. Schwärme von Schmetterlingen flogen in meinem Bauch umher. Ich hätte tanzen können vor Glück. Ich war mal sowas von verliebt- wenn es mir bis jetzt nicht klar gewesen wäre, dann spätestens in diesem Augenblick.

So langsam wurde es mir allerdings unangenehm, dass ich die beiden belauschte. Vor allem wenn ich auch noch das Thema ihres Gesprächs war. Ich begann mich also vorsichtig zu strecken, atmete tief ein und öffnete blinzelnd meine Augen.

Die beiden saßen lang ausgestreckt an die Rückwand des Bettes gelehnt. Harrys Kopf ruhte an der Schulter seines besten Freundes, seine Hand lag auf dessen Oberschenkel. Zayn zeichnete scheinbar wahllos Muster auf Harrys Arm, vielleicht war das aber auch seine Art, über die tätowierte Haut zu streicheln.

Ich befand mich auf Harrys anderer Seite und lag halb auf ihm und halb unter der Bettdecke, unter welcher ich mit Sicherheit noch nackt war.

„Na, wieder wach?", fragte mich Zayn schmunzelnd und lächelte mich an. Seine tiefbraunen Augen, die von langen dichten Wimpern umringt wurden, strahlten stets Ruhe und Selbstsicherheit aus. Als könnte ihn nichts aus der Fassung bringen. Dabei wusste ich, dass es in ihm drin anders aussah. Dass er sehr wohl mit sich selbst haderte und es ihm längst nicht egal war, was andere von ihm dachten. Zayn hatte sich diesen Panzer aus Tattoos, Coolness und Gleichgültigkeit angelegt, um sein Innerstes zu schützen, weil er wusste, was Ablehnung und Ausgrenzung bedeuteten. Wer konnte schon sagen, wie er sich entwickelt hätte, wenn sich Harry nicht für ihn eingesetzt hätte, als sie beide noch Kinder gewesen waren. Vielleicht wäre er heute derselbe, vielleicht aber auch ein komplett anderer Mensch.

Roter SandWhere stories live. Discover now