Kapitel 28

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Den ganzen Abend über redete und trank die Schildmaid mit ihren Freunden, sowie mit dem Fürsten. Als der Wein seine Wirkung zeigte, wurde sie lockerer und auch mutiger. Immer wieder wurde die Schildmaid von Éomer zum tanzen aufgefordert. Doch auch mit ihren Freunden tanzte sie jeweils mindestens einmal. Sogar der Fürst bat sie um einen Tanz. Es kam ihr so vor, als hätte sie seit Jahren nicht mehr so viel Spaß gehabt.

Plötzlich schoben sich die Gesichter ihrer Familie vor ihr inneres Auge. Ihr Vater, ihre Mutter und ihr geliebter großer Bruder. Jeden hatte sie sterben sehen. Tränen funkelten in den Augen der Schildmaid, welche sie versuchte weg zublinzeln. Mit wenigen Schritten war sie an der Tür und mit einem weiteren trat sie nach draußen auf die Terrasse. Ihre Familie war tot. Sie waren alle tot und sie feierte zusammen mit dem künftigen König von Rohan. Auf einmal fühlte sich Háwena schlecht. Schuldgefühle machten sich in ihr breit. Sie hatte es nicht verdient hier zu sein, während ihre Familie tot war. Nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Langsam flossen sie ihre, mittlerweile kühlen, Wangen hinab und tropften auf ihr Kleid. Zitternd ließ sie sich an der Wand hinab gleiten. Nun gab sie die junge Frau ihrer Trauer ganz hin. Ihr ganzer Körper bebte, während sie lautlos schluchzte.


Éomer versuchte sich währenddessen Lothíriel vom Leib zu halten. Seit geraumer Zeit versuchte sie sich bei ihm einzuschmeicheln und machte ihm ein Kompliment nach dem anderen. Er mochte die Fürstentochter nicht. Schon als er sie vor Jahren zum ersten Mal sah konnte er sie nicht leiden. Die meisten anderen Männer würden wohl auf die Annäherungsversuche eingehen. Ja, sie war eine Bildschöne Frau und von sehr guter Herkunft. Sie war eines Königs, wie er es schon bald sein würde, würdig. Doch in seinen Augen war sie nur ein Püppchen. Natürlich war sie nicht dumm. Ihr Vater hatte dafür gesorgt, dass sie nicht nur schön, sondern auch gebildet war. Doch in Éomers Augen gehörte sie zu der Sorte Frau, mit denen sich Männer schmückten. Sie trug stets die besten Kleider und den edelsten Schmuck. Auch ihre Haare waren zumeist aufwendig frisiert. Zudem traute er ihr einfach nicht über den Weg.

Háwena dagegen war eine Kriegerin. Eine Schildmaid Rohans. Natürlich hatte sie keine Ahnung von Politik oder wie man in königlichen Kreisen verkehrte. Doch sie war stark, klug, ehrlich und schon jetzt vom Volk geliebt. Sie wusste sich und ihr Volk zu verteidigen. Außerdem war auch sie wunderschön, obwohl sie nie viel aus sich machte. Sie bevorzugte schlichte Kleider, wobei er wusste, dass sie lieber Hosen trug. Auch aus Schmuck machte sie sich nicht viel. Die Menschen mochten sie. Und nicht nur die Menschen. Auch mit dem Zwerg und dem Elben verstand sie sich hervorragend und die Hobbits liebten sie regelrecht. Háwena machte keinen Unterschied zwischen den Völkern. Sie war sogar sehr interessiert was andere Lebewesen betraf. Müsste Éomer sich zwischen den beiden Frauen entscheiden, so müsste er nicht lange überlegen. Denn seine Wahl hatte er schon vor langer Zeit getroffen. Er hoffte nur, dass sie seine Gefühle erwidern würde. Als er so an seine Herzensdame dachte, huschte ein lächeln über seine Lippen. Er hob den Blick und versuchte sie in der Halle auszumachen, während die Fürstentochter noch immer auf ihn einredete. Doch konnte er sie nicht finden.

„Ihr entschuldigt mich?" fragte Éomer während er sich schon erhoben hatte. Es war ihm egal, dass er Lothíriel in ihrem Redefluss einfachunterbrochen hatte. Es kümmerte ihn nicht, was sie von ihm dachte. Denn sie war ihm schlicht und einfach egal.

Langsam schritt er durch die Halle, nickte dem einen oder anderen freundlich zu, währen er nach der Schildmaid suchte. Auch nachdem er zweimaldurch die Halle gelaufen war konnte er sie nicht finden.

Mit einem lautlosen seufzen machte er sich auf den Weg nach draußen.

Dort angekommen atmete er erst einmal die frische Nachtluft ein. Es war eine Sternenklare Nacht. Doch schon nach kurzer Zeit wandte er seinen Blick wieder ab und wollte wieder in die Halle gehen, als er etwas entfernt eine Person ausmachen konnte. Erschrocken stellte er fest, dass es seine Schildmaid war, welche dort auf den kalten Steinen der Terrasse kauerte. Sie umklammerte ihre angewinkelten Beine mit ihren schlanken Armen und hatte die Stirn auf ihre Knie abgelegt. Mit schnellen Schritten war er bei ihr und hockte sich neben sie.

„Háwena, alles in Ordnung?" fragte er mit besorgter Stimme. Erschrocken schnellte ihr Kopf nach Oben und wandte sich ihm zu. Als er ihr ins Gesicht blickte, stockte ihm das Herz. Er konnte noch immer die Tränen auf ihren Wangen glitzern sehen. „Warum weinst du? Ist etwas passiert?" wollte er erneut wissen. Langsam setzte er sich neben sie und legte einen Arm um ihre schmalen Schultern. Als er bemerkte, wie kalt sie bereits war, zog er sie noch etwas näher an sich und versuchte sie zu wärmen. Sofort schmiegte sie sich an ihn und vergrub ihren Kopf an seine breite Brust. Doch noch immer sagte sie kein Wort. Was auch immer passiert war, er würde sie nicht drängen. Stattdessen zog er sie ganz auf seinen Schoß und schloss seine Arme um ihre schlanke Gestalt. Er wollte nicht, dass sie weiterhin auf den kalten Steinen saß. Vorsichtig streichelte er ihr über ihre Arme und ihren Rücken, während er sie fest in seinen Armen hielt. Ihr Atem kitzelte seinen Hals und bescherte ihm eine leichte Gänsehaut. Trotz seiner Sorge genoss er es mit ihr so zu sitzen.

„Ich habe an meine Familie denken müssen." erklang dann ihre Stimme. Sie war leise und etwas rau vom weinen. „Es ist nicht gerecht. Wie kann ich hier Feste feiern, während sie tot sind? Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte ihr Schicksal teilen und bei ihnen sein." schluchzte sie leise. Er spürte, wie ihre Tränen seine Tunika benetzten. Erschrocken hielt er in seinen Bewegungen inne.

„Nein, es ist nicht gerecht, dass sie tot sind." fing er ebenfalls mit leiser Stimme an zu sprechen. „Es ist nicht gerecht, dass so viele im Krieg gefallen sind. Doch war es nicht dein Schicksal mit ihnen zugehen. Auch meine Eltern sind früh gestorben. Sie wurden von Orks getötet. Doch das Leben musste weitergehen. So wie ich damals, bist du nicht allein Háwena. Wir werden unsere Lieben eines Tages wiedersehen. Davon bin ich überzeugt. Doch müssen wir die Zeit bis dahin nutzen. Du darfst nicht in Trauer versinken. Du bist nicht alleine." Er spürte, wie sie langsam ihren Kopf hob um ihn ansehen zu können. Als auch er seinen Blick senkte, sah er in ihr verweintes Gesicht. Trotz der leicht verquollenen Augen, sah sie unbeschreiblich schön aus.


Sie war ihm so nah, dass er ihren Atem in seinem Gesicht, auf seinen Lippen spürte. Kurz huschte sein Blick auf ihre Lippen. Schon solange spürt er das Verlangen sie zu küssen. Er musste sich zusammenreißen, um nicht einfach den letzten Abstand zu überbrücken und seine Lippen auf die ihren zu legen. Wieder huschte sein Blick zu ihren roten, vollen Lippen, ehe er ihr wieder in die Augen sah. Ihre grün-grauen Augen schimmerten. Keine Träne war mehr darin zu finden. Beinahe erwartungsvoll sah sie ihn an und eine stumme Bitte lag in ihrem Blick. Er konnte nicht mehr länger dagegen ankämpfen. Wieder einmal wanderte sein Blick zu ihren Lippen, welche nun leicht geöffnet waren. Ganz langsam kam er ihr noch etwas näher. Wartete auf eine Reaktion von ihr. Er wollte sich sicher sein, dass auch sie es wollte. Niemals würde er sie zu etwas zwingen. Er spürte, wie sich ihr Atem beschleunigte. Spürte ihren Atem auf seinen Lippen und nahm ihren Geruch so intensiv wahr. Es fiel ihm immer schwerer sich zu beherrschen, während er ihr langsam immer näher kam. Er wollte ihr keine Angst machen, musste behutsam mit ihr umgehen. Noch immer machte sie keine Anstalten sich von ihm zu entfernen. Dadurch ermutigt, kam er ihr noch näher und überbrückte auch den letzten Abstand zwischen ihnen. 


Wie das Leben so spielt - Herr der Ringe - Éomer ffWhere stories live. Discover now