Kapitel 29

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Songempfehlung: Conan Grey - Yours

Eine Stunde später kam ich am Logan International Airport in Boston an und wartete darauf, dass der Flieger eintraf, der mich nach Hause bringen würde.

Nochmal zwei Stunden später saß ich schließlich in den bequemen, braunen Ledersitzen von Moms und Dads Privatjet und starrte aus dem kleinen, ovalen Fenster. Ich beobachtete, wie der Flughafen von Boston immer kleiner wurde, bis er nur noch der Hauch einer Erinnerung war. Häuser, Bäume, ja ganze Dörfer und Städte wurden so winzig wie Ameisen, bis sie schließlich von einem Kleid aus Wolken verschluckt wurden. Ich wünschte, das gleiche würde auch mit meinen Problemen passieren. Mit meiner Trauer. Meinem Liebeskummer. Ich wünschte, die vielen glücklichen Momente, die ich mit diesem kurzweiligen, aber dennoch sehr intensiven Urlaubstrip verband, könnten genauso verschwinden. Jener Urlaubstrip, der Hals über Kopf in einem absoluten Desaster geendet hatte.

Für ein paar Tage hatte ich wirklich geglaubt, dass das Glück auf meiner Seite war. Dass sich das Schicksal endlich fügte. Dass sich alles zum Guten wandte.

Doch das genaue Gegenteil war passiert. Niemals hätte ich geglaubt, mich einer solch bösen Überraschung gegenüberzusehen. Dass sich mein Leben innerhalb weniger Minuten so drastisch ändern würde.

Erneut brannten meine Augen und wütend wischte ich mir die Tränen weg, die beim Gedanke an Jona immer wieder aufkamen.

Der Flug dauerte knappe drei Stunden. Ich hatte also drei Stunden Zeit, mich in meinem Elend und meinem Selbstmitleid zu suhlen.
Drei Stunden, um mir zu überlegen, was ich meiner Mom erzählen sollte.

Und immer wieder fragte ich mich, was eigentlich in mich gefahren war. Wie zum Teufel ich bloß auf diese bescheuerte Idee gekommen war, Zuflucht in Hinsdale zu suchen! Ich befand mich auf dem Weg zu meiner Mom. Meiner Mom. Meiner Mom, die mich noch nie hatte ausstehen können. Die mich beleidigt hatte und verhöhnte. Die mich noch nie akzeptiert hatte. Die versuchte, eine Person aus mir zu machen, die ich nicht war.

Doch leider saß ich nun in einem Flugzeug. Tausende von Fuß über dem Boden. Es gab keinen Ausweg mehr. Ein Rückzieher war unmöglich. Und so landete ich drei Stunden später am Flughafen von Chicago, wo mich auch schon Charles - Moms Fahrer - in Empfang nahm.

»Miss Carpell«, er tippte sich einmal an seinen Hut und nickte mir freundlich zu. Ich bewunderte Charles für seine Souveränität. Ich hatte vorhin auf der Flughafentoilette schon bemerkt, dass mein Gesicht gerötet war vom Weinen. Meine Augen geschwollen. Ich musste ein furchtbares Bild abgeben. Doch Charles ließ sich absolut nichts anmerken und hielt mir sogar die Tür des SUVs auf, als wäre ich die Queen höchstpersönlich.

Die Fahrt nach Hinsdale dauerte nur zwanzig Minuten und so stand ich schon kurze Zeit später mit meinem Koffer und einem gebrochenen Herzen vor meinem Elternhaus. Vor dem Haus, in dem ich aufgewachsen war. Das Haus, mit dem ich so viele schöne, aber auch traurige Erinnerungen verband. Das Haus, in das ich mir geschworen hatte, nie mehr zurückzukehren. Tja, wer hätte gedacht, dass Mom doch Recht behielt? Ich jedenfalls nicht. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht, was ich hier eigentlich tat. Ich war einfach einem inneren Instinkt gefolgt. Und dieser Instinkt hatte mir geraten, nach Hause zu kommen. Nach Hause, wo ich aufgewachsen war. In eine gewohnte Umgebung. Nach Hause zu der Familie, die mir eigentlich nie eine war, aber trotzdem auf gewisse Weise tröstlich erschien.

Ich erwartete bereits, dass Mom mich in der Eingangshalle empfangen würde. Doch es fehlte jede Spur von ihr. Also schleppte ich mühsam meinen Koffer nach oben in den ersten Stock, wo sich mein früheres Zimmer befand.

Ich öffnete die Tür, trat ein paar Schritte ein und blieb wie angewurzelt stehen.

Es hatte sich nichts verändert.
Absolut nichts.

Love me tomorrowWhere stories live. Discover now