Kapitel 4

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Jonas bernsteinfarbenen Augen ruhten unverwandt auf mir. Sie sorgten dafür, dass sich mein Herzschlag im Bruchteil einer Sekunde ins Unermessliche beschleunigte.

Warum musste ausgerechnet Jona mich in diesem Zustand vorfinden? Hätte es nicht einfach mein Bruder sein können? Oder doch einer ihrer Nachbarn?

»Was ist passiert?«, fragte Jona, wobei seine Augen verständnislos über meine Koffer und die Reisetasche streiften.

Ich seufzte laut und wischte mir hastig die Tränen aus dem Gesicht. Dann stütze ich mich mit den Händen auf dem Boden ab und erhob mich.

»Tja«, ich räusperte mich, bemüht um eine feste Stimme. »Mom und Dad haben mich rausgeworfen.«

Jonas Augen weiteten sich vor Erstaunen.

»Sie haben was

»Sie haben mich rausgeworfen«, wiederholte ich und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Ich hatte alle Mühe, nicht erneut in Tränen auszubrechen, als ich an das Gespräch mit meinen Eltern zurückdachte und daran, wie enttäuscht sie von mir waren...

»Ich wusste nicht wohin, also...«, ich zuckte unschlüssig mit den Schultern und sah beschämt zu Boden.

»Oh Tony«, hörte ich Jona sagen und eine Sekunde später packte er mich bei den Schultern und zog mich in eine herzliche Umarmung.

Noch ehe ich begriff, wie mir geschah, spürte ich auch schon seine unmittelbare Nähe, spürte seinen Körper, der sich gegen meinen drückte. Ich nahm einen Atemzug und sog seinen Duft tief ein.

Ich mochte Jonas Umarmungen.

Sie waren innig und so voller Wärme.

Aber vor allem waren sie eines; eine Kostprobe dessen, was ich niemals haben würde.

Sie waren meine eigene, ganz persönliche Definition von Sehnsucht.

Niemals zuvor hatte sich etwas derart himmlisch angefühlt und gleichzeitig wiederum wie die wahrhaftige Hölle auf Erden, als ginge ich durch ein Inferno.

Jona löste sich wieder von mir und sah auf mich herab. Ich konnte gar nicht anders, als seinen Blick zu erwidern, mich in den warmen Brauntönen seiner Augen zu verlieren.

»Okay, ich helfe dir erst einmal mit dem Gepäck und dann erzählst du mir, was passiert ist, ja?«

Ich nickte stumm. Unterdessen öffnete Jona die Wohnungstür und wandte sich dann meinen Koffern zu. Nachdem wir meine Habseligkeiten mühsam nach drinnen geschleppt hatten, begab ich mich erst einmal in den Wohnbereich, während Jona zur Küchenzeile lief.

»Möchtest du etwas trinken? Wasser, Kaffee oder Tee?«, fragend warf er mir einen Blick über die Schulter zu.

»Einen Kaffee«, ich grinste.

»Wieso frage ich überhaupt?«, Jona erwiderte mein Lächeln. Da meine Eltern Kaffee für ungesund hielten, hatte ich in der Pubertät gelernt, dieses Gebräu zu lieben. Seither war ich ein richtiger Kaffeefanatiker.

Jona kam mit einer dampfende Tasse auf mich zu und stellte sie vor mir auf den Tisch.

»Hier, bitte schön, mi pequéna, einen Kaffee mit einem Schuss Milch und ohne Zucker.«

»Danke schön«, bei seinen Worten schoss mir die Röte ins Gesicht. Ich war mir allerdings nicht so ganz sicher, ob es der Tatsache geschuldet war, dass er noch immer wusste, wie ich meinen Kaffee am liebsten trank oder dass er den spanischen Kosenamen, den er mir schon als Kind gegeben hatte, verwendete.

Love me tomorrowWhere stories live. Discover now